Wolf Dieter Blümel

Wüsten


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      Es ist schwer, eine befriedigende und umfassende Kurzdefinition des Wüstenbegriffs zu finden. Die Bezeichnung Wüste ist international inhaltlich weit gefasst, nicht klar umrissen und eignet sich nicht zur unmittelbaren vergleichenden Bewertung oder ökologischen Einstufung. Im Folgenden wird Wüste als vegetationsgeographischer oder standort-ökologischer Begriff aufgefasst, d. h. die Intensität, Menge und das Erscheinungsbild des Pflanzenwuchses wird als Kriterium herangezogen. Für Gradmann (1916) sind Wüsten klimatisch bedingte Trockengebiete mit sehr geringen (meist weit unter 250 mm bleibenden) episodischen Niederschlägen, in denen eine extrem xerophytisch ausgerüstete Vegetation zwar nicht zu fehlen braucht, aber äußerst lückenhaft ist. Dieses Zitat erscheint noch immer am besten zur Beschreibung und Definition des Begriffs Wüste geeignet:

      „Wüste ist ein Gebiet, das infolge geringfügiger oder gar fehlender Niederschläge nur eine sehr geringe Vegetation mit erheblichen Zwischenräumen zwischen den einzelnen Pflanzen aufweist.“ Diese Bedingung gilt als erfüllt, wenn weniger als 10 % der Fläche oder der gesamte Raum keine dauerhafte Vegetation besitzt bzw. sich stellenweise nur kontrahierter Bewuchs zeigt. Damit ist eine handhabbare, nachvollziehbare Eingrenzung gegeben, der auch in diesem Buch meist gefolgt wird – auch wenn im nordamerikanischen oder australischen Sprachgebrauch eine andere Vorstellung zu Grunde liegt (s. o.).

      Je nach Besatzdichte der perennen (ganzjährigen) Pflanzenarten kann noch zwischen Rand- und Kern- sowie Voll- und Extremwüste (Foto 1; Abb. 2, 15) unterschieden werden. Als vermittelnder Übergangsbereich zu feuchteren Regionen (Savannen, Steppen) wird die Halbwüste (Randwüste) angesehen, bei der generell weniger als 50 % der Fläche von Pflanzen besetzt sind (Jätzold 2003; A. Gabriel 1961; Fotos 10, 64). Die Vegetation der Halbwüsten ist diffus verteilt und in Tiefenlinien kontrahiert. Halbwüsten treten mit < 50 % und >10 % Vegetationsbedeckung durchaus unterschiedlich in Erscheinung, repräsentieren eine relativ großes Spektrum an landschaftlich-vegetationsgeographischen Mustern. Sie sind geprägt durch eine karge Vegetationsausstattung aus Gräsern, Halbsträuchern, Holzgewächsen und Sukkulenten. Halbwüsten, Wüstensavannen oder Wüstensteppen – oft mehr oder minder synonym verstanden – wurden früher als traditionelle Weidegebiete von Hirtennomaden genutzt. Heute dienen sie regional als extensive, ökonomisch oder stammesrechtlich ausgerichtete (Dauer-)Weidegebiete und unterliegen damit häufig Desertifikationsprozessen durch Überweidung (Kap. 4.8).

      Anmerkung: Neben den warmen Wüsten sind noch die Kältewüsten in Polar- und Hochgebirgsregionen anzuführen, deren Existenz auf Wärmemangel (und regional auch auf Trockenheit) zurückzuführen ist. Aber auch hier lässt sich der Parameter Bedeckungsgrad < 10 % zur Abgrenzung von den Tundrengebieten anwenden (Kap. 4.6).

      2.3 Hygrische Abgrenzung der Wüsten

      Die Wissenschaft verwendet je nach Fragestellung und Fachdisziplin unterschiedliche Definitionen, Abgrenzungen und Untergliederungen. In der von Shmida (1995) vorgeschlagenen Definition von Wüstenökosystemen ist ein guter Ansatz zumindest für die Wüsten der Alten Welt zu sehen: Er beruht auf der Zuordnung von jährlicher Niederschlagsmenge zu einem bestimmten Wüstentyp (Ariditätsgrad).

       Extremwüste: <70 mm N/Jahr

       Vollwüsten: <120 mm N/Jahr

       Halbwüsten: 100/150 mm N/Jahr

      Die 100- bis 120-mm-Isohyete ist häufig als die Grenze bzw. der Übergangssaum zwischen Halbwüste (Wüstensteppe/-savanne) und der Wüstenvegetation (Zwergstrauchgesellschaften mit <10 % Flächenbedeckung) festgestellt worden. Dies sind für einen enger gefassten Wüstenbegriff geeignete, praktikable Schwellenwerte, denen auch im Buchtext gefolgt wird (s. Tab. 1). Es kann jedoch – in Anbetracht der Konzeption der internationalen Literatur – keine einheitliche Handhabung geben. Entsprechend wird bei der Behandlung der australischen Wüsten ein weitergefasster Wüstenbegriff benutzt. Zahlreiche Untersuchungen haben gezeigt, dass Wüsten und ihre angrenzenden Räume sehr sensibel auf klimatische Veränderungen reagieren und mit den geänderten hygrischen Parametern auch die Grenzsäume fluktuieren.

       Tab. 1 Äußere Grenzen und Unterteilungen der tropisch/subtropischen Trockengebiete in Abhängigkeit von den Jahresniederschlägen (n. Schultz 2000)

Der Grenze zwischen … … entspricht ein Jahresniederschlag von etwa …
äquatorwärts Wüste – Halbwüste Halbwüste – Dornsavanne Dornsavanne – Trockensavanne (sommerfeuchte Tropen) 125 mm 250 mm 500 mm
polwärts Wüste – Halbwüste Halbwüste – winterfeuchte Steppen winterfeuchte Steppen – Hartlaub-Strauchformationen (winterfeuchte Subtropen) 100 mm 200 mm 300 mm

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      3 Zur (Klima-)Geschichte der Wüsten

      Für die ökologische Konstellation sowie die Gestaltung und Dynamik der Erdoberfläche (Reliefsphäre) war und ist ganz entscheidend das regionale oder überregionale Klimaregime verantwortlich, das – in Abhängigkeit von Gesteinseigenschaften und Tektonik – die landschaftliche Evolution und Transformation des jeweiligen Raumes prägt. Es bestimmt wesentlich das exogene Prozessgefüge von Verwitterung und Abtragung, die Geomorphodynamik. In der erdgeschichtlichen Entwicklung ist klimatische Unstetigkeit Normalität. Globale Kaltphasen mit regionaler Vereisung oder Abkühlung und atmosphärische Trockenheit (Kaltzeiten; Glaziale) wechselten sich allein in den letzten 2 Mio. Jahren mehr oder weniger regelmäßig ab, unterbrochen von wärmeren und feuchteren Perioden (Warmzeiten; Interglaziale). In diesem Rahmen der globalen Klimavariabilität ist folglich auch die Geschichte der Wüsten zu sehen: Mit einer kühleren Atmosphäre geht eine Zunahme der Wüstenflächen und eine Intensivierung des Wüstencharakters einher; eine wärmere Troposphäre nimmt dagegen mehr Feuchte auf und lässt die Wüstenareale schrumpfen.

      3.1 Antarktische Vereisung: neogene Abkühlung und Aridisierung

      Wüstenhafte Verhältnisse hat es im Lauf der Erdgeschichte und der Entwicklung der Kontinente immer wieder gegeben, aber auch Zeiten, in denen sie fehlten und teils üppigen Vegetationsformationen Platz gemacht haben. So begann auch die jüngste geologische Ära, das Tertiär, vor etwa 65 Mio. Jahren mit einer langen warm-feuchten Klimaperiode während des Alttertiärs, die offensichtlich von Pol zu Pol eine Waldbedeckung bewirkte. Zeugnisse sind alt- bis mitteltertiäre Steinkohlelager auf Spitzbergen (Arktis) oder die mitteleuropäischen Braunkohlen (Ville, Wetterau, Lausitz). Laterit- und Bauxitvorkommen am Vogelsberg belegen eine intensive chemische Gesteinsverwitterung, die man als tropoid bezeichnen könnte. Immer wieder werden auch fossilisierte Holz- und Blattfunde aus der damals noch unvergletscherten, offensichtlich bewaldeten Antarktis gemeldet.

       Tab. 2 Stratigraphische Gliederung des Känozoikums (n. Eberle et al. 2010)

Ära System Serie Alter Mio. Jahre
KÄNOZOIKUM Quartär