Wolf Dieter Blümel

Wüsten


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innerhalb nur weniger Jahrtausende (Kap. 3.4.2; 12.1.3). Ausweitung der Ökumene, kulturelle Blütezeit und schließlich Aufgabe des Lebensraumes (Wüstenflucht, Migration) korrelieren mit den natürlichen Veränderungen. Eine deterministische Beziehung ist unübersehbar.

      Die ehemalige kulturhistorische Bedeutung heutiger Vollwüsten beruht auf drei wesentlichen Ursachen, die durch klimatische Feuchtperioden bedingt sind:

      Schrumpfung des Wüstenareals durch das Vorrücken der Savannen- und Steppenformationen;

      Vegetationsausbreitung innerhalb der Wüste durch autochthone Niederschläge;

      Erhöhte Tragfähigkeit der Fremdlingsfluss-Oasen durch verstärkte und regelmäßige Wasserführung.

      Zu Punkt 1 und 2: Das Wüstenökosystem mit seinen episodischen, geringen Niederschlägen wird durch tropische Gras-Gehölz-Gesellschaften (Savannen) oder außertropische Gras- und Krautfluren (Steppen) abgelöst. Ursache ist die vergrößerte Reichweite und Ergiebigkeit des Monsuns bzw. der größere Einflussbereich von Tiefdruckgebieten der Westwindzirkulation. Die Wüstengrenzen rücken gegen das Kerngebiet vor. Auch fallen jetzt Niederschläge unmittelbar vor Ort und erlauben die Kulturausbreitung in neue Gebiete hinein. Als besondere Leitlinien bieten sich die (wiederbelebten) Wasserläufe mit ihren Kolken und Sumpfstrecken an. Ebenso sind durch Überflutungen oder durch die Auffüllung des Grundwasserkörpers neu entstandene Seen besonders attraktive Gebiete (Kap. 12.1.3). Der verstärkte Vegetationsbesatz in den angrenzenden Flächen zieht Savannentiere als potenzielles Jagdwild an und ermöglicht Pastoralnomadismus, später Domestikation und sesshafte Viehwirtschaft in der Sahara.

      Zu Punkt 3: Flüsse, die Vollwüsten durchqueren oder in deren Kernräumen gänzlich versickern und verdunsten (endorhëische Flüsse), erhalten ihr Wasser hauptsächlich aus stärker beregneten Einzugsgebieten angrenzender Räume. In den asiatischen und südamerikanischen Wüsten wurzeln solche Fremdlingsflüsse häufig an Gletschern. Allochthone Flüsse sind somit keine integralen Teile des klimatischen Wüstensystems, sondern bewirken als externe Faktoren höherwertige Lebensraumqualitäten in wüstenhaft-lebensfeindlicher Umgebung, sodass hier bedeutsame kulturelle Entfaltungen möglich sind. Als Prototyp eines bis heute kulturträchtigen Fremdlingsflusses gilt der Nil. Hochstehende Zivilisationen waren zu unterschiedlichen Zeiten ebenfalls beispielhaft an Euphrat und Tigris, an den andinen Flüssen der peruanischen und chilenischen Atacama oder an innerasiatischen Wüstenflüssen entwickelt.

      3.4.1 Wüstenränder/Wüstenrandgebiete

      Die Ränder von Ökozonen sind relativ labil – vergleicht man sie mit den Kernzonen. Dies gilt insbesondere für die Wüstenränder, da hier die ohnehin niedrigen Niederschlagsmittel sehr stark variieren. Das trifft sowohl für die zeitliche und räumliche Verteilung zu, wie auch für die Menge und die lokale/regionale Intensität. Der Grad der Variabilität wächst mit der Abnahme des durchschnittlichen jährlichen Niederschlags.

      Wüstenränder als Übergangssäume (Ökotone) zwischen Savannen- oder Steppenökosystemen sind ökologisch wie ökonomisch und sozial äußerst sensitiv (Bubenzer 2010). Sie sind weitaus schlechter gepuffert als Übergangsbereiche zwischen deutlich feuchteren Vegetationsformationen (z. B. Borealer Nadelwald/Steppe; Regenwald/Feuchtsavanne).

      Entsprechend vulnerabel sind menschliche Gesellschaften, die in/an Wüstenrändern leben. Sie sind einem hohen Dürrerisiko ausgesetzt, bei insgesamt schwacher Wirtschaftsleistung. Hoher Bevölkerungszuwachs (trotz höchster Kindersterblichkeit) und damit verbundene Überstrapazierung der physiologischen Tragfähigkeit führen häufig zu irreversibler Desertifikation oder gravierender Degradierung der Landschaft – ihr Ertragspotenzial in der Weidewirtschaft oder im Feldbau geht ständig zurück (Kap. 4.8). In Anbetracht dieser bedrohlichen Entwicklung speziell in den Wüstenrandbereichen haben die UN im Jahr 2010 die „Dekade der Wüsten und zur Bekämpfung der Wüstenausbreitung“ ausgerufen.

      Manche der heutigen Wüsten spielen eine unerwartete Rolle in der Kulturentwicklung – Sahara und Atacama werden in diesem Kontext näher beschrieben (Kap. 3.4.2; 12.1.3; 3.4.4). Eitel (2008, 2007) hat in grundlegenden Abrissen die kulturgeschichtliche Bedeutung von Wüstenrandgebieten beleuchtet. Der nachfolgende Text greift einige seiner Gesichtspunkte auf: Zwar werden 60 % der Katastrophentoten in Trockengebieten gezählt, umso erstaunlicher ist, dass die ältesten festen Siedlungen in semi-ariden Gebieten zu finden sind. So fand der Prozess der Sesshaftwerdung (Ackerbau, Bewässerungsfeldbau, Domestikation) – die sog. Neolithische Revolution – in einem semi-ariden Klimamilieu des Vorderen Orients statt. Aufgrund der hohen Klimavariabilität müsste dieser Raum als (Dürre-)Risikogebiet eingestuft werden. Eitel vertritt die These, dass „… gerade die hygrischen Fluktuationen in den Wüstenrandgebieten und die resultierenden Umweltveränderungen ganz wesentlich die Kulturentwicklung im frühen und mittleren Holozän stimulierten“ und charakterisiert Wüstenränder als „… raumzeitlich hoch dynamische Gebiete mit Umweltsystemen, die auf Klimaschwankungen […] sehr schnell und tiefgreifend reagieren.“ Hier lebende Gesellschaften müssen folglich öfter als andernorts Anpassungsleistungen vollbringen oder mit Migration reagieren, zumal die Wüstenränder äußerst klima-sensitiv sind und bereits bei schwächeren Klimafluktuationen sehr schnell reagieren. Solche Fluktuationen waren in den letzten Jahrtausenden recht häufig und haben auch in besser gepufferten Regionen die Lebensmöglichkeiten der Menschen stark positiv oder negativ beeinflusst (Blümel 2009, 2006). Für die Wüstenränder mit ihrer Vegetationsbedeckung zwischen <50 % und >10 % bedeutet dies eine Stellung zwischen voll-ariden und semi-ariden Gebieten und in der Klimadynamik des Holozäns einen mehrfachen Wechsel zwischen Wüste und Grasland.

      3.4.2 Östliche Sahara: siedlungsgeschichtliche Entwicklung

      Die Hyperaridität der Sahara während des Hoch- und Spätglazials sowie die nachfolgenden Veränderungen während der holozänen Feuchtperiode(n) werden in Kap. 12.1.3 ausführlich behandelt. Hier sei vorab auf siedlungs- und kulturhistorische Aspekte verwiesen:

       Vor etwa 10 000 Jahren begann mit der Ausdehnung und Intensivierung des tropischen Monsuns wie auch der Reichweite der zyklonalen Niederschläge (Westwindzirkulation) die Transformation der Wüste in eine Halbwüste/Wüstenrandgebiet, schließlich in Steppen- und Savannenformationen (Abb. 5).

       Um 8000 bis 5000 v.Chr. unterlag die östliche Sahara einem periodischen, semi-ariden Niederschlagsregime. Felsmalereien, Artefakte, ausgetrocknete Seen, Fossilien und fluviale Prozesse dokumentieren diese intensive Feuchtphase (Foto 2; s. Dreikluft 2005).

       Für die Zeit zwischen 7000 und 5300 v.Chr. ist Weidewirtschaft (teils in sesshafter Form) mit Ziegen und Schafen nachgewiesen (= Bubalus- oder Rinderzeit in der westlichen und zentralen Sahara). Wildgetreide wurde in der Grassavanne gesammelt.

       Ab etwa 5300 v.Chr. schwächte sich der Monsun ab (Abb. 6). Menschliche Aktivitäten mussten sich zunehmend auf noch begünstigte Regionen beschränken. Der Raum verwandelte sich bis in das 3. Jahrtausend v.Chr. zurück in eine Art Wüstenrandgebiet. Nach diesem Prozess der siedlungsgeschichtlichen Regionalisierung erfolgte schließlich die Marginalisierung der kulturellen Entfaltung (Kuper & Kröpelin 2006). Es resultierte eine besondere Art der angepassten Viehhaltung in Kombination mit Jagd, Fischerei und Sammeltätigkeit, die letztlich für den gesamten subsaharischen Raum kennzeichnend wurde. Bald blieben in diesem wieder entstehenden Wüstenrandgebiet nur noch grundwassergespeiste Oasen oder bodenfeuchte Tieflagen zur Nutzung übrig.

       Nach 3500 v.Chr. lassen sich im Norden der Ost-Sahara keine Siedlungsspuren mehr nachweisen (Nussbaum & Darius 2008).

       Die erneute, natürliche Wüstenbildung im Ostteil der Sahara führte zu entsprechenden Migrationen in Gunstgebiete („Wüstenflüchtlinge“). Nun bildete die während der langen Feuchtperiode recht bedeutungslose Nil-Oase die Basis für eine Hochkultur mit Bewässerungsfeldbau, strukturierter Gesellschaft, Schrift, Verwaltung usw. (Kröpelin 2009; Abb. 47).