Bent Gebert

Wettkampfkulturen


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gedehnt erscheint, fehlen andere Phasen gänzlich oder durchkreuzen die Abfolge im Nacheinander.13 Trotz seiner Hilfeleistungen für andere erscheint Iwein »kein aktiv Suchender oder ein Ziel Verfolgender« zu sein, wie Jan Mohr anmerkt, »Identität und Selbstbewusstsein« werden im Erzählprozess allenfalls »aggregativ aneinander[ge]fügt«.14 Selbst Iweins Löwe, Symbol des liminalen Übergangs und damit des Prozesscharakters schlechthin, wird zwar markant eingeführt, dann aber mit auffällig unscharfen Enden ausgeblendet. Hartmanns Iwein erscheint damit als Entwicklungsroman, der seine eigene Linearität staut, ja sogar vielfach durchkreuzt.

      Eine zweite grundlegende Prämisse der Artusromanforschung hat Annette Gerok-Reiter darin ausgemacht, diese Entwicklungslogik auf Individualisierungsprozesse zu beziehen, genauer: auf die historische Genese von Subjekten, die sich im Zuge von Bewusstsein reflexiv entdecken.15 Im Horizont mittelalterlicher Anthropologie konstituiert sich Individualität durch Negationen, nämlich »primär über die Kategorien der Nicht-Identität, der Differenz, des Widerspruchs, des Gegensatzes, der Ab- und Ausgrenzung«.16 Mittelalterliche Erzählungen verorten soziale Identität daher zumeist innerhalb von Kollektiven (Inklusion), wohingegen individuelle Helden eher experimentell ausgekoppelt werden (Exklusion).17 Rationale Reflexion spielt dafür keine leitende Rolle: »Selbsterkenntnis führt somit keineswegs zwingend zur Entdeckung der unverwechselbaren, individuellen Persönlichkeit, sondern zunächst zur Entdeckung des Höchsten und Allgemeinsten in sich selbst.«18 Fragwürdig erscheint somit, die narrative Fokussierung des Artusromans auf zentrale Figuren als selbstbezügliche Bewusstseinsgewinne verbuchen zu wollen.19 Fruchtbarer sei stattdessen zu fragen, so Gerok-Reiter, welche »Konstitutionsbedingungen von Individualität in mittelhochdeutscher Epik« auserzählt werden, die »diesseits der Entwicklungslogik des modernen Subjekts« angesiedelt sind.20 Für Romane wie Hartmanns Iwein kann dies heißen, grundlegender nach narrativen Negationsmustern als Bedingung für individuale Figurenentwürfe zu suchen, ohne diese vorschnell auf Bewusstseinskonzepte von Reflexion, Einsicht oder Lernen zu beziehen.21 Zu diesen komplexitätssteigernden Negationsmustern gehört im Iwein nicht zuletzt die Erzählform des unterlaufenen Wettkampfs.

      3.1 Ein kompliziertes Herz

      Wettkämpfen kommt für diese Perspektiven besondere Bedeutung zu, scheinen sie doch erzählerische Linearität und Reflexion zu begünstigen, gleichzeitig aber zu brechen. Dies veranschaulichen besonders deutlich Zweikampfszenen wie der Gerichtskampf zwischen Iwein und Gawein, in dem die soziale (Re-)Integrationsgeschichte des Helden ihren Höhepunkt und der Roman ein selbstbezügliches Muster findet.1 Schon seine Ausgangslage ist verwickelt, denn die verwandten Ritter treffen stellvertretend für zwei in Erbstreitigkeiten verfeindete Schwestern aufeinander. Trotz größter Nähe erkennen sich die Zweikämpfer nicht, da Iwein nach geraumer Abwesenheit von der Hofgesellschaft inkognito als Löwenritter auftritt, Gawein aber in fremder Rüstung verborgen erscheint, um seine Parteinahme vor der Artusgesellschaft zu verbergen (V. 6884–6894). Verwandte bekämpfen sich, Freunde prallen im Rechtsstreit als Feinde aufeinander, beide verhüllen sich in fremder ritterlicher Identität – Hartmanns Erzähler reizen solche Verflechtungen, um das Wettkampferzählen im wahrsten Sinne des Wortes doppelbödig werden zu lassen.2 Tief im Herzen der Freunde wohnten zugleich Zuneigung und Feindschaft auf engstem Raum in einem Gefäß:3

       [E]z dunchet die andern unde mich

       lîhte unmugelich

       daz iemer minne unde haz

       ensamt sô besitzen ein vaz,

       daz minne bî hazze

       belîbe in dem vazze

       zwâre ob minne unde haz

       nie mê besâzen ein vaz,

       doch wonte in disem vazze

       minne bî hazze

      sô daz minne noch haz

       gerûmden gâhes daz vaz.

      (V. 7015–7026)

      Zuneigung und Aggression, minne unde haz (V. 7021) bleiben somit nicht an der Oberfläche des Figurenbewusstseins, sondern nisten sich in den Innenraum des Herzens ein. Den impliziten Rezipienten des Romans provoziert dies prompt zum Widerspruch, dem Hartmann ebenfalls eine agonale Stimme verleiht:4 ich wæne, friunt Hartman, / dû missedenchest daran (V. 7027f.) – ein Irrtum, denn zu eng sei ein Herz für solches Beieinander, Zuneigung und Feindschaft müssten sich ausschließen. Der Erzähler kontert daher mit einer zweiten Unterscheidung:

       ir herze was ein gnuoc engez vaz,

       dâ wonte ensamt inne

       haz unde minne.

       si hât aber underslagen

       ein want, als ich iu wil sagen,

       daz haz der minne niene weiz.

       si tæte im anders als heiz

       daz nâch schanden der haz

       muese rûmen daz vaz;

       und rûmet ez doch froun minnen,

       wirt er ir bî im innen.

      (V. 7044–7054)

      Hartmann formuliert eine Doppelhypothese: Zuneigung und Feindschaft müssten sich ›einheizen‹, bis eine das Chaos im Herzen verließe – wenn nicht eine dünne Trennwand ihr Beisammensein in der Einheit des Herzens durch Differenz ihrer Kammern verbürgte.

      Wie die Forschung unterstrichen hat, hebt die umständliche Digression des Erzählers auch die Kampfschilderung auf eine eigentümlich »formale Ebene« der Reflexion.5 Aber was leistet diese metaphorische Konstruktion? Einerseits lässt das Bild der Herzkammern jenen Widerstreit von persönlicher Affinität und Rivalität für die Figuren latent werden, der beide von Romanbeginn spannungsvoll als Partner und Konkurrenten am Hof verbunden hatte (vgl. V. 907–918). Während andere Artusromane wie etwa der Parzival Wolframs von Eschenbach derartige Ambiguitäten von Musterrittern durch narrative Neben- oder Nacheinanderordnung gleichsam horizontal aus dem Weg räumen oder zumindest distanzieren, arrangiert sie Hartmann mit der Geheimkammer des Herzens verborgen ineinander. Voraussetzung dafür ist eine Wand des Un-Wissens, wie der Erzähler herausstreicht: [D]iu unkunde was diu want / diu ir herce underbant (V. 7055f.).6 Für den Fortgang der Erzählung ist dies unmittelbar relevant. Denn die Herzkammern sichern zumindest für die nächsten Schritte die Erzählbarkeit des Gerichtsfalls, indem sie paradoxe Verflechtungen der Figuren tieferlegen und ihnen Chaos verbergen: »Der Erzähler bewältigt das Paradox«, wie Klaus Grubmüller konstatiert.7 Auf der Oberfläche des Kampfes stürzen Iwein und Gawein nun als Feinde, nicht aber zugleich als Freunde aufeinander. Erzählerisch kann der Zweikampf damit ohne Ambivalenzen für die Figuren anlaufen (ab V. 7075).8

      Umgekehrt sieht es für den Rezipienten aus, für den Irritationen und Handlungsspannung wachsen.9 Denn die Metapher der Herzkammern speichern genau genommen die Paradoxie von Sympathie und Gewalt, die der Wettkampf aufwarf, nur umso tiefer in sich ein. Nicht nur klanglich drängt Hartmanns fünfmaliger Reim von haz / vaz darauf, sich für diesen Innenraum zu interessieren. Auch semantisch verdichtet das Herz zahlreiche Konflikte von minne und haz, die über den Erbstreit der Schwarzdorn-Schwestern und die Freund-Feinde im Stellvertreterkampf aus sämtlichen Teilen der Erzählung zusammengeführt werden: von Iweins Beziehung zu Gawein im Distinktionsmilieu des Artushofs (das gleichermaßen Bewunderung und Ehrkonkurrenz hervortreibt) über die Ambivalenz der ›leicht getrösteten Witwe‹ Laudine gegenüber dem Mörder ihres Mannes (die von Rachewünschen zur opportunen Liebeszusage umschwenkt) bis zu Lunetes jähem Umschlag von Anerkennung zur Anklage Iweins und schließlich dem Aventiureweg des Helden (der aggressiven Selbsthass in solidarisch ausgeübte Gewalt überführt). In unterschiedlichem Grad der Übereinstimmung kann der Rezipient solche