Claudia Matthes

Die Taufe auf den Tod Christi


Скачать книгу

zu guten Manieren stützte man sich auf Tadel und Schläge und dies reichlich. Entsprechend gespannt kann man sich das Verhältnis zwischen Aufseher und Knabe vorstellen, welcher jenem erst mit der Mündigkeit „entkam“.9 Will man also dem παιδαγωγός neben der Beaufsichtigung des Unmündigen unbedingt eine erzieherische Funktion zuerkennen, so richtet sie sich lediglich auf das äußere Betragen und wird durch Anwendung von Gewalt ausgeübt. Die Differenz zum Wissen und Fertigkeiten vermittelnden ὁ διδάσκαλος dürfte damit deutlich sein.

      1.2.3 ὑπὸ ἐπιτρόπους ἐστὶν καὶ οἰκονόμους (Gal 4,1–7)

      Auch die sich an den Tauftext anschließende Gesetzesmetapher spielt mit dem Moment des „Mündigwerdens“: ὑπὸ ἐπιτρόπους ἐστὶν καὶ οἰκονόμους ἄχρι τῆς προθεσμίας τοῦ πατρός – „sondern er untersteht Vormündern und Pflegern bis zu der Zeit, die der Vater bestimmt hat“ (4,2).1 Paulus überspitzt den Vergleich zwischen unmündigem Erbe und Sklave – welche angeblich οὐδὲν διαφέρει (4,1) seien – bewusst, um dann die Situation vor dem Kommen Christi umso dramatischer vor Augen malen zu können: wie das Leben unter der Vormundschaft (ἐπιτρόπους2 … καὶ οἰκονόμους3 [4,2]), gar wie ein Leben in Knechtschaft, nämlich ὐπὸ τὰ στοιχεῖα τοῦ κόσμου (4,3). Das Gemeinsame dieser beiden letztlich unterschiedlichen Bilder ist das Beaufsichtigt- und Bevormundetsein des unmündigen Erben wie des Sklaven. Diese Funktion wird vom Gesetz ausgeübt. Mit der Befreiung vom Gesetz durch Christus wird der Sklave nun in den Rang eines Sohnes erhoben und zwar eines mündigen (ὥστε οὐκέτι εἶ δοῦλος ἀλλὰ υἱός· εἰ δὲ υἱός, καὶ κληρονόμος διὰ θεοῦ. [4,7]).

      1.2.4 Zusammenfassung ὑπό νόμον

      Vor dem Hintergrund eines solchen Argumentationsganges wird schnell klar, in welcher der weitgefächerten Bedeutungen (Bewachen, Einschließen, Behüten/Bewahren)1 Paulus das sich ebenfalls auf das Gesetz beziehende φρουρέω (3,23) verwendet, nämlich synonym zu συγκλείω (3,23): gefangen gehalten, eingeschlossen, verwahrt. Dass die Tora wie ein Zaun begrenzt, ist eine geprägte Vorstellung,2 die hier jedoch eine negative Interpretation im Sinne von Gefängnismauern erfährt. Sie dient nicht dem Schutz, sondern steht vielmehr der Freiheit entgegen. Hier liegt auch die entscheidende Gemeinsamkeit der verschiedenen Gesetzesmetaphern. Die Betroffenen sind auf unterschiedliche Weise bewacht, begrenzt, gefangen bzw. erwarten und erhoffen daher ihre Mündigwerdung und damit „Befreiung“ vom παιδαγωγός, ἐπιτρόπος bzw. οἰκονόμος oder eben direkt aus der Knechtschaft.

      Paulus geht nicht darauf ein, in welchem Zustand und welchen Machtverhältnissen die Menschen lebten, bevor ihnen das Gesetz gegeben wurde, sondern fokussiert seine bildreiche Argumentation auf zwei Aussagen: Erstens ist das Gesetz eine Größe, die Freiheit einschränkt und Selbstbestimmung nahezu unmöglich macht und zweitens ist diese Macht seit Christus bzw. dem Kommen des Glaubens gebrochen. Gerade die über den Text hinausreichenden Argumentationslinien verdeutlichen, dass εἰς (3,23.24) in diesem Zusammenhang nicht anders als zeitlich zu verstehen ist und nicht etwa im Sinne einer auf den Glauben vorbereitenden Funktion des Gesetzes. Dabei kann das Ereignis, das die Befreiung bewirkt und damit das Ende des Gesetzes bestimmt, wechselweise als „Glaube“ (ἡ πίστις [3,23.26]), „Kommen des Glaubens“ (ἐλθεῖν τὴν πίστιν [3,23.25]) oder einfach als „Christus“ (Χριστόν [3,24]) bzw. „auf Christus getauft-Werden“ (εἰς Χριστὸν ἐβατίσθητε [3,27a]) beschrieben werden, ohne dass nähere Differenzierungen in der paulinischen Darstellung erkennbar wären. Dies wiederum leitet zu der Schlussfolgerung, dass das Christusereignis dem Gesetz nicht grundsätzlich ein Ende bereitet. Bildlich gesprochen: Es werden nicht alle Gefängnisse geöffnet, Pädagogen und Vormünder grundsätzlich obsolet oder das System der Sklaverei abgeschafft. Bereits die zeitliche Parallelisierung von Christus und Glauben vor den Kontrastbildern der Gesetzesmetaphern spricht dafür, dass dies jeweils nur für den Einzelnen gilt.

      Der Anschluss an Vers 26 mit γὰρ verdeutlicht, dass ὅσοι (3,27a) nicht etwa die πάντες (3,26) einschränken soll, sondern sie und damit die υἱοὶ θεοῦ (3,26) näher bestimmt, nämlich als solche, die εἰς Χριστὸν (3,27a) getauft wurden.3 Da die Vielfältigkeit und Deutungsmöglichkeiten der Taufformeln bereits dargestellt wurden,4 soll hier lediglich am Ende des Abschnittes gefragt werden, ob die Verse 27f zu einer weiteren Klärung, etwa im Hinblick auf eine mögliche räumliche Deutung, beitragen können.

      1.3 Χριστὸν ἐνεδύσασθε (Gal 3,27b)

      Während die in Vers 28 begegnende bildhafte Sprache eher den (neuen) Zustand des einzelnen wie der Gruppe nach dem eigentlichen Ereignis beschreibt, stellt das Χριστὸν ἐνεδύσασθε (3,27b) den Versuch einer Beschreibung des Verände­rungsvorgangs selbst dar,1 was nicht zuletzt der Gebrauch des Aoristes ἐνεδύσασθε unterstreicht: Paulus nimmt den einmaligen, punktuellen Akt der Taufe in den Blick.2 Doch was genau passiert nun bei der Taufe? Wie deutet man, was man in der Taufe gesehen und erlebt hat? Das hierfür verwendete ἐνδύω ist dazu in seinen unterschiedlichen Verwendungsmöglichkeiten zu untersuchen.

      1.3.1 ἐνδύω im NT

      Im Allgemeinen wird ἐνδύω mit „Anziehen (von)“ übersetzt und zwar unabhängig vom jeweiligen Objekt, welches „angezogen“ wird. Drei unterschiedliche Arten von Objekten lassen sich ausmachen:1 1) Kleidung, 2) abstrakte Größen wie z.B. Eigenschaften und 3) Personen. Diese Reihung der Objekte geht mit einer Steigerung der Bildhaftigkeit des jeweiligen Vorgangs des Anziehens einher.

      Für sämtliche Verwendungsarten lassen sich neutestamentliche Beispiele finden. Dabei fällt auf, dass nur eine Minderheit der Stellen vom Ankleiden anderer spricht2 und bei der Mehrheit das Sich-selbst-Ankleiden beschrieben, oftmals auch dazu aufgefordert wird.

      1) Wird Kleidung angezogen, das Verb also im Literalsinn verwendet, so kann ihre Beschaffenheit auf die Position eines Menschen3 bzw. die Art seiner Lebensweise verweisen,4 bis hin zum gänzlichen Fehlen von Kleidung.5 Sie gehört – vergleichbar der Nahrung – zum Lebensnotwendigen und soll dennoch nicht Gegenstand der Sorge sein.6

      2) Ähnlich der Kleidung können Eigenschaften aus- und angezogen werden, welche sich entweder auf das irdische Leben beziehen7 oder auch darüber hinausreichen.8 Vorwiegend in paränetischen Abschnitten der Briefe begegnen die Forderungen, bestimmte Gewohnheiten und Attribute des vorherigen Lebens abzulegen und stattdessen solche anzunehmen, die dem neuen Status als Christusgläubige entsprechen. Die Aufforderung, die Lebensführung anzupassen, ist dabei dem Ereignis des „Kommen-des-Glaubens“ oder auch der Taufe zeitlich nachgeordnet und fällt nicht etwa mit diesen zusammen oder würde diese gar erklären.9 Ἐνδύω wird vielmehr verwendet im Sinne von „sich Eigenschaften aneignen“.

      3) An insgesamt vier Stellen des NT – sämtliche im Corpus Paulinum – wird ἐνδύω mit einem personalen Objekt in Verbindung gebracht: Neben Gal 3,27b in Röm 13,14 sowie in Kol 3,9f und Eph 4,22–24. Der paränetische Kontext der drei letztgenannten Passagen ist deutlich zu erkennen, nicht zuletzt darin, dass zunächst „Altes/Vorheriges“10 abgelegt werden muss, um dann das „Neue“11 anziehen zu können. Die ausführlichen Parallelisierungen des „Alten“ mit nicht erwünschten Tätigkeiten und Angewohnheiten12 lassen die Abschnitte in große Nähe zur Kategorie 2) rücken und schließlich die Frage aufkommen, inwieweit es sich v.a. bei τὸν καινὸν / νέον ἄνθρωπον (Eph 4,24; Kol 3,10) tatsächlich um ein im eigentlichen Sinn personales Objekt handelt oder es nicht vielmehr als Kollektivbegriff für sämtliche Eigenschaften