Claudia Matthes

Die Taufe auf den Tod Christi


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4,22–24) lässt sich jedoch festhalten, dass ἐνδύω als „sich in umfassendem Sinne ein neues Verhalten Zulegen“ verwendet wird, das sich sowohl auf Eigenschaften als auch Handlungsweisen erstreckt und damit der Kategorie 2) nahesteht.

      Betrachtet man nun davon ausgehend jedoch Χριστὸν ἐνεδύσασθε in Gal 3,27b, so geraten gleich mehrere abweichende Aspekte ins Blickfeld: Der Kontext hat keinerlei paränetische Pragmatik – weder die von Paulus geführte Argumentation, noch die galatische Frage nach der Beschneidung, auf welche jene reagiert.14 Zwar impliziert die durch die Beschneidung entstehende Bindung an das Gesetz auch ethische Forderungen, jedoch kreist die paulinische Argumentation doch gerade um die Pointe, dass Christus vom Gesetz befreit hat – alle die glauben und getauft sind (Gal 5,1)! Dass Paulus im Fortgang trotzdem zu einem tugendhaften Leben mahnt (Gal 5,16–25), widerspricht dem nicht. Er fordert lediglich dazu heraus, sich dem Erlebten gemäß zu verhalten: Mit dem Eingehen der Bindung an Christus, dem Moment also, in dem sie οἱ τοῦ Χριστοῦ (5,24) geworden sind, hat sich ihre Lebenssituation grundlegend gewandelt – … τὴν σάρκαν ἐσταύρωσαν σὺν τοῖς παθήμασιν καὶ ταῖς ἐπιθυμίαις (5,24). Dass dies aber keineswegs als Automatismus zu verstehen ist, sondern als lebenslange Aufforderung macht der adhortative Charakter des Folgesatzes mehr als deutlich: Εἰ ζῶμεν πνεῦματι, πνεῦματι καὶ στοιχῶμεν (5,25). Eine tugendhafte Lebensführung soll demnach Folge der erlebten Wende sein, fällt aber mit diesem Moment nicht zeitlich zusammen.15 Inwieweit sind aber dann Formulierungen wie in Röm 13 und Eph 4, welche erst zum „Anziehen“ auffordern und dies eindeutig mit „gutem Verhalten“ in Verbindung sehen, als vergleichbare Parallelen zu 3,27b anzuführen?16

      Kol 3 wiederum scheint die Aufforderung zu einem besseren Lebenswandel gerade auf das bereits vollzogene „Angezogenhaben des neuen Menschen“ zu stützen. Für eine ähnliche Situierung spricht zudem auch der Folgevers: ὅπου οὐκ ἔνι Ἕλλην καὶ Ἰουδαῖος … ἀλλὰ [τὰ] πάντα καὶ ἐν πᾶσιν Χριστός (Kol 3,11). Ist also Christus tatsächlich gleichzusetzen mit ὀ νέος ἄνθρωπος (Kol 3,10)? Dazu müsste man wiederum die These bemühen, dass die vier diskutierten Texte mit personalem Objekt auf die gleiche geprägte Vorstellung zurückgreifen. Dies ist bereits oben nachhaltig in Zweifel gezogen worden.

      Doch selbst die Gleichsetzung von Χριστὸν (Gal 3,27b) und τὸν νέον ἄνθρωπον (Kol 3,10) würde eine Spannung nicht auflösen können: Auch wenn man von einem Anziehen bzw. Anlegen von Eigenschaften oder gar einem ganz neuen Lebenswandel sprechen kann, was soll man sich aber unter dem „Anziehen des Christus“ vorstellen, auf den man getauft wird?

      Der Verdacht, dass ἐνεδύσασθε (Gal 3,27b) – trotz oder gerade wegen der drei besprochenen vermeintlichen Vergleichsstellen – erklärungsbedürftig bleibt, führt in der Forschungsgeschichte immer wieder zu einer Suche nach weiteren Quellen, die für einen Vergleich herangezogen werden können und, sich darauf stützend, alternativen Übersetzungsvorschlägen und Deutungen. Genannt seien hier die vielfach diskutierten von T. Zahn („sich in die Rolle eines anderen hineindenken […] sich wie ein anderer geberden und darstellen“)17 und E.d.W. Burton („to become as Christ, to have his standing“).18 Die sich daraus ableitenden Interpretationsansätze sind derartig vielfältig, dass ein kurzer Überblick gegeben werden soll.

      1.3.2 Forschungsüberblick: „Χριστὸν ἐνεδύσασθε“

      Die neutestamentliche Vergleichsbasis zu Χριστὸν ἐνεδύσασθε ist zugegebenermaßen schmal und hinterlässt die bereits angedeuteten Spannungen. Dies allein wäre für eine weitere – etwa motiv- oder auch religionsgeschichtliche – Untersuchung jedoch noch nicht problematisch, wenn nicht bereits die Suche nach vergleichbaren Texten und Phänomenen auf einer (anderen) sprachlichen Vorentscheidung fußen würde. Denn die meisten Studien entscheiden bereits vorab, ob Χριστὸν ἐνεδύσασθε (3,27b) schwerpunktmäßig als Erläuterung zu ὅσοι γὰρ εἰς Χριστὸν ἐβαπτίσθητε (3,27a) oder – verhältnismäßig unabhängig von der Taufe – als Kleidermetapher zu verstehen ist.1 Die Auswahl des jeweiligen Vergleichsmaterials richtet sich sodann nach sprachlichen Vorentscheidung.

      1.3.2.1 „Χριστὸν ἐνεδύσασθε“ als Kleidermetapher

      1) Will man Kleidung ganz wörtlich verstehen, scheinen sich im Anziehen des Gewandes oder der Maske der Gottheit in den Mysterienkulten Parallelen zu finden.1 Sie sollen eine Angleichung an die Mysteriengottheit bewirken oder den Initiierten an dessen Position stellen – bis hin zur Anbetung.2 Dass Letzteres für Gal 3,27b als Deutung nicht in Frage kommt, ist offensichtlich,3 was allerdings nicht grundsätzlich gegen Mysterienriten als Hintergrundfolie zur paulinischen Formulierung sprechen muss.4 Alternativ kann es auch als Ableitung alttestamentlicher Bildrede verstanden werden, „die unter dem Bild des Gewandes das die Existenz des Menschen bestimmende bezeichnen kann“.5 2) Das Bild von Christus, der wie ein Kleidungsstück angezogen wird, kann aber auch als Ausdruck „außerordentliche[r] Enge dieser durch die Taufe zu Christus hergestellten Beziehung“6 verstanden werden. Dahinter steht die Vorstellung, dass Kleidung dem Menschen wortwörtlich hautnah kommt und so zum Bildspender für die „wesenhafte Gemeinschaft zwischen dem Getauften und Christus“7 wird. 3) Bereits eine erhebliche Übertragung ist zu leisten, interpretiert man Christus als himmlisches Kleid oder setzt dieses Motiv zumindest als bekannt voraus.8 Eine neue eschatologisch-pneumatische Wirklichkeit „in Christus“ umgibt den Getauften wie ein Kleid.9 Einerseits stellt sie einen ganz „neuen Seinsgrund“10 dar und andererseits lässt sie alle „gleich gekleidet“ erscheinen,11 mit den entsprechenden Auswirkungen (vgl. Gal 3,28a–c). Christus kann auch „als kosmischer Mantel, oder der kosmische Mensch verstanden“12 werden. 4) Eine ähnlich kontextuelle, bildliche Deutung begegnet in der Vorstellung, dass alle Getauften das eine Kleid, nämlich Christus, angezogen haben, was eine besondere Art von Gemeinschaft, bis hin zur Einheit bewirkt (vgl. Gal 3,28d).13 Für diese Interpretation wird eine große Nähe zur Leib-Christi-Metapher angenommen oder Gal 3,27b direkt mit dieser identifiziert.14 5) Das „(gemeinsam-)von-Christus-umgeben-Sein“ kann sodann – in noch allgemeinerem Sinne mit teilweise räumlichen Dimensionen15 – als die neuen Lebensbedingungen16 verstanden werden, innerhalb deren man nun existiert. Begründet werden diese ganz anderen Verhältnisse (vgl. Gal 3,28a–c) durch das enge Verhältnis zu Christus, welches in der Taufe eingegangen wird.17 6) Eine besondere Steigerung erlebt die Vorstellung, in Beziehung mit Christus zu stehen, schließlich in der Übertragung als „sich in die Rolle eines anderen hineindenken […] sich wie ein anderer geberden und darstellen“18 bzw. „signifies ‚to take on the character or standing‘ of a person referred to, ‚to become,‘ or ‚to become as‘.“19 Dafür werden einerseits die oben besprochenen Stellen aus Röm, Kol und Eph als Parallelen herangezogen, andererseits ein Zusammenhang mit der (Neu-)Schöpfungsmetaphorik des folgenden Abschnitts angenommen.20

      1.3.2.2 „Χριστὸν ἐνεδύσασθε“ als Erläuterung zur Taufe

      7) Einzelne Ausleger verstehen Χριστὸν ἐνεδύσασθε als metaphorische Deutung einer in der Taufe verankerten Symbolik, wobei das Wasser der Taufe Christus selbst darstellt, der den Täufling sodann komplett umgibt. Dazu wird vergleichend auf eine Stelle im Philippusevangelium (2. Jh.) verwiesen, in dem das Wasser der Taufe als Leib beschrieben wird.1 Bousset wiederum identifiziert den Ursprung in einem Wassermythos, bei dem „der Fromme im Wasserbad die Wassergottheit wie ein Kleid anzieht.“2 8) Augenfälliger ist zunächst der Verweis darauf, dass bei der Taufe vermutlich ein Ablegen der Kleidung nötig wurde. Dies wiederum kann auf unterschiedlich bildhafte Weise gedeutet werden: Einerseits ist Nacktheit an sich ein Zeichen für Initiationsriten, deren typische Wirkungen dann auch für eine Interpretation