Claudia Matthes

Die Taufe auf den Tod Christi


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in etwas Hineinbegeben, Eindringen, Hineingehen, Hineinkriechen, sich Verkriechen“; 6) ὑποδύομαι – „Untertauchen, Eindringen, Anziehen“, übertragen „Eindringen, sich unter jemanden Stellen, Unterwerfen, sich unter jmd.s Schutz Stellen“, aber auch „Emporkommen, (darunter) Hervortauchen, Auftauchen, (darunter) Hervorkommen“.

      Dieser allgemeine Überblick sei mit einigen Beispielen zur konkreten Verwendungsweise von δύω und Komposita in der LXX illustriert: In einer großen Mehrheit der Fälle bezeichnet (ὁ ἥλιος) δύῃ das Untergehen der Sonne (Gen 28,11; Lev 22,7; Dtn 23,12 u.a.); es wird dadurch die hebräische Wendung ‎‏בוא שמש‏‎ wiedergegeben. Miriam beschreibt, wie die Ägypter ἔδυσαν ὡσεὶ μόλιβος ἐν ὕδατι σφοδρῷ („gingen im mächtigen Wasser wie Blei unter“ [Ex 15,10LXX]).2 Die beiden anderen Stellen heben eher auf den Aspekt des „darunter bzw. dazwischen Geraten“ ab: Seinen Überlebenskampf umschreibt Jona u.a. mit den Worten […] ἔδυ ἡ κεφαλή μου εἰς σχισμὰς ὀρέων („mein Kopf versank in den [Grund]spalten der Berge“ [Jon 2,6LXX]). Jerusalem wird prophezeit, dass εἰς τὴν γὴν οἱ λόγοι σου δύσονται („in die Erde werden deine Worte sinken [Jes 29,4LXX]).3 Die Bedeutung „Anziehen, Einhüllen“ kennt die LXX nicht.

      Von den oben besprochenen Komposita zu δύω finden sich in der LXX v.a. καταδύω und ἐκδύω. Ersteres sowohl im literalen Sinne des „(Ver-)Sinkens im Meer“ (Ex 15,5; Jer 28,64), aber auch übertragen zu verstehen als „(sich) Verbergen“ (Amos 9,3 [auf dem Grund des Meeres]; Micha 7,19 [unserer Schuld unter den Füßen]). Der gleiche Befund lässt sich für ἐκδύω feststellen: Einerseits wird es für das „Ausziehen“ von Kleidung gebraucht (Gen 37,23), andererseits begegnen eine Reihe von Stellen, welche eine bildliche Verstehensweise voraussetzen: z.B. als „sich Losmachen“ von Fesseln (Jes 52,2) oder als Ausplündern eines Leichnams (1Chr 10,9). Solche und ähnliche Verse folgen auf symbolischer Ebene der Grundbedeutung des „aus etwas Herauskommen, sich etwas Entledigen“.4

      Die ausführliche Darstellung der Wortfamilie hat folgende Punkte auf den Plan gebracht: Literal geht das Wortfeld auf ein „Eintauchen (im Wasser/Meer)“ zurück. Dazu gehört, dass die βάπτω in der Bedeutung des „Ein- bzw. Untertauchens“ gelegentlich ersetzende Form δύπτω auf δύω zurückgeführt werden kann.5 Die Komposita von δύω variieren noch ganz wörtlich einerseits zu „untergehen Lassen, Versenken“, im Sinne von „zu Tode Bringen“, andererseits zu „Auftauchen, Emporkommen“. Daneben steht stets eine bildhafte, übertragene Bedeutung, welche zwei Grundrichtungen zu haben scheint: 1) eine speziellere in Bezug auf Kleidung: ein „Anziehen“ bzw. „Ausziehen“ und 2) eine allgemeine, welche mit dem „in etwas Hineingehen, Untertauchen“ spielt. Die dahinterliegende Vorstellung könnte man beschreiben mit einem „sich komplett in etwas Hineinbegeben und damit komplett von etwas umgeben und auch bestimmt zu sein“. Das Gegenteil dazu ist ein „Entkommen und Entfliehen“. Diese zweite, übertragene Bedeutung ist die einzige, welche personale Objekte kennt, z.B. „jmd. Entkommen, Entfliehen“, aber auch positiv „sich jmd. Unterwerfen, sich unter jmd.s Schutz Stellen“. Die Vorstellung, dass eine Person wie ein Kleidungsstück angezogen wird, ist für das Wortfeld δύω/δύομαι samt Komposita nicht belegt.6

      Für eine solche Deutung, wie bereits oben angeklungen, spricht auch die Vulgata, welche sowohl die drei alttestamentlichen Stellen als eben auch Gal 3,27b mit induo übersetzt. Dabei handelt es sich um nichts anderes als das latinisierte ἐνδύω, wobei neben der Bedeutung „Anziehen“ ähnlich häufig übertragene Bedeutungen wie „sich mit etwas Umgeben, sich in etwas Verwickeln, in etwas Fallen, Stürzen“ belegt sind. Personale Objekte finden sich dabei wie im kompletten Wortfeld δύω/δύομαι lediglich dort, wo das Verb in übertragenem, bildlichen Sinn verwendet wird. An diesen Stellen wird mit Hilfe von induo das (enge) Verhältnis zwischen personalem Subjekt und Objekt näher bestimmt. In der Bedeutung „Anziehen“ wird induo genau wie ἐνδύω lediglich mit sächlichen Objekten gebraucht.

      1.3.6 Zusammenfassung: Χριστὸν ἐνεδύσασθε

      Da ein literal verstandenes „Eintauchen in“ als Übersetzung für Χριστὸν ἐνεδύσασθε nicht in Frage kommt, bleiben nur noch die beiden bildlichen Deutungen: 1) im spezielleren Sinne das „Christus als Kleidung Anziehen“ oder 2) im weiteren Sinne das „in Christus Eingehen, Untertauchen“, schließlich „ganz von ihm umgeben Sein“.

      Gegen eine Kleidermetapher spricht der negative Befund für das Anziehen einer Person, der sich auf das gesamte Wortfeld erstreckt. Außer Kleidung, Waffenrüstung u.ä. werden lediglich einzelne Eigenschaften bzw. Tugenden „angezogen“. Entsprechende Interpretationsansätze, Christus als Gewand zu verstehen, welches sich der Täufling bei der Taufe überzieht, wurden bereits oben in ihrer Problematik dargestellt. Die zur Erläuterung einer solchen Übersetzung herangezogenen rituellen Vergleiche, wie z.B. das Anziehen von Kleidung oder Masken von anderen Personen oder Gottheiten in Theatervorführungen oder bei rituellen Veranstaltungen, etwa Mysterieneinweihungen, sind einerseits als unzutreffend einzustufen, da nicht die Person selbst, sondern ihre Kleidung etc. angezogen wird. Andererseits müssen die davon ausgehenden Deutungen als geradezu nichtchristlich beurteilt werden. Denn das Aufsetzen der Maske einer Person im Theater lässt den Schauspieler denjenigen spielen, ihn imitieren, geradezu seine Stellung einnehmen. Der Osirismysterieninitiand stellt sich mit dem Gewand der Gottheit bekleidet auf ein Podest und nimmt für eine bestimmte Zeit deren Position ein – bis hin zur Anbetung.1 Ein „zu Christus Werden“ bzw. ein „an seine Stelle Treten“ kann aber kaum gemeint sein.

      Bleibt also die zweite bildliche Deutung des Wortfeldes, nämlich das übertragen zu verstehende „Eintauchen, Eindringen“. Dazu ist zunächst festzustellen, dass (ἐν)δύω und βάπτω/βαπτίζω bei Paulus semantisch parallelisiert werden.2 Beide Wortfamilien beschreiben ein „Eingehen, Untergehen, Untertauchen“ in Wasser, was sowohl von Personen, als auch ganzen Schiffen ausgesagt werden kann. Es beinhaltet einerseits den neutralen Aspekt, dass der ins Wasser Getauchte komplett vom Wasser umschlossen ist, kann andererseits aber auch den lebensbedrohlichen Impetus („Untergehen, Versinken“) haben. Beide Verben finden transitiv wie intransitiv und in allen drei Modi Verwendung. Es kann also das eigenständige „Hineingehen“ wie auch „Ein-/Untertauchen“ ausgesagt werden, aber auch das „Untergetauchtwerden“, bis hin zum „zu-Tode-Kommen“.

      ἐνεδύσασθε muss demnach nicht „ihr habt angezogen“ bedeuten, was wie dargestellt in Zusammenhang mit Christus oder gar der Taufe keine sinnvolle, erklärende Deutung liefert. Sondern vielmehr steht ἐν-δύομαι vor dem Deutungshorizont des „Eintauchens, Eindringens“, was nicht zuletzt das Antonym ἐκδύομαι bestärkt, welches neben „sich Ausziehen“ eben auch „Entgehen, Entkommen“ und übertragen „aus etwas Emportauchen“ bedeuten kann. Zudem scheint diese, an die ursprüngliche Wurzel angelehnte Übersetzung auch eine passende Deutung für die drei oben diskutierten alttestamentlichen Stellen zu sein, in denen mit Hilfe von ἐνδύω das Verhältnis des Geistes (Gottes) zu einer erwählten Person ausgedrückt wird: „Da drang/taucht der Geist JHWHs in Gideon ein …“.3

      So ergibt sich für Gal 3,27 schließlich die Übersetzung: „Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft worden seid, wurdet in Christus eingetaucht.“ Dieser synonyme Parallelismus membrorum in einem der ältesten Texte zur christlichen Taufe transportiert dabei unterschiedliche noch näher zu erläuternde Implikationen:

      1) Auch wenn sowohl Medium als auch Passiv bezeichnet sein können, muss das Medium „ihr habt angezogen“ deswegen als unwahrscheinlich gelten, weil das passive Element der Konstellation der Passivität des Täuflings gegenüber dem Täufer in der Taufe entspricht.4

      2) Hier begegnet eine an den Taufablauf angelehnte bzw. eigentlich davon ausgehende