Claudia Matthes

Die Taufe auf den Tod Christi


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treten Interpretationen, welche die Einheit mit Verweis auf die bewusst gewählte maskuline Form εἷς personal verstehen, wie etwa de Boer: „presumably the Greek word for human being, anthropōs, which is also grammatically masculine, is to be supplied (cf. Col 3:9): They are all ‚one [human being] in Christ Jesus‘ […] to what amounts to a new humanity, defined by Christ.“12 In eine ähnliche Richtung lässt sich auch Martyn lesen, wenn bei ihm auch bereits die klassische Interpretation durchscheint, welche ein personal verstandenes εἷς mit Christus identifiziert: „Members of the church are not a thing; but are one person, having been taken into the corpus of the One New Man.“13 Er sieht darin „the beachhead of God’s new creation“,14 schreibt aber gleichzeitig: „In Christ […] persons who were Jews and persons who were Gentiles have been made into a new unity that is fundamentally and irreducibly identified with Christ himself as to cause Paul to use the masculine form of the word ‚one.‘“15 Überhaupt ist wahrzunehmen, dass unterschiedlich intensiv darüber reflektiert wird, dass es nicht Χριστός, sondern ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ heißt. Hartman, welcher den Schwerpunkt in der Christusbindung ausmacht, schreibt etwa: „Die von den Christusbedingungen Betroffenen teilen ein überindividuelles Leben, das Jesus Christus genannt wird.“16

      Wenn diese letzten beiden auch feststellen, dass 3,28d selbst keine dezidierte Leib-Christi-Metaphorik enthält, schlagen sie doch beide17 bereits den Bogen zu der wohl am breitesten rezipierten Interpretation des εἷς, nämlich als Bezeichnung für den Leib Christi (σῶμα Χριστοῦ). Stellvertretend sei dafür Dunn zitiert: „[…] he [Paul, CM] regularly spoke of many believers as ‚one‘, using the imagery of a single body consisting of many members […], and this is probably what he had in mind here, as the parallel between the trains of thought in 1 Cor. xii. 13–14 and verses 27–8 suggests“.18 Dabei betont er: „[…] not as a levelling and abolishing of all racial, social or gender differences, but as an integration of just such differences into a common participation ‚in Christ‘“.19 Ähnlich Cullmann, welcher die in 3,27a erwähnte Taufe dann als „Einordnung in Christi Leib“ durch Gott versteht.20

      Einen Spezialfall innerhalb der Leib-Christi-Interpretation stellt Betz dar, womit er zum Abschluss dieses Überblicks noch einmal illustriert, wie erheblich sich die Deutungen der wenigen Vers(abschnitt)e Gal 3,27f wechselseitig beeinflussen können: „Da Christus androgyn ist, würde dies auch für seinen ‚Leib‘ gelten und ebenso für die Christen, die Glieder an diesem ‚Leib‘ sind.“21

      Die durchaus divergierenden Interpretationen von Gal 3,28d als „Einheit aller in Christus Jesus“ provozieren zwei kritische Rückfragen: 1) Wenn εἷς tatsächlich das σῶμα Χριστοῦ meint,22 ist diese Vorstellung dann bereits der Tradition immanent gewesen oder paulinische Ausdeutung der knappen Formel? 2) Kann ἐστε ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ tatsächlich als Identifikation mit Χριστός verstanden werden? Hierbei handelt es sich um eine Frage, die auch nichtpersonale Einheitsdeutungen kaum reflektieren.

      3) Gleichheit und Einheit aller in Christus Jesus: Mit unterschiedlichen Begründungen sowie unterschiedlichen Ansätzen gelingt es einigen Exegeten, den Einheits- und den Gleichheitsaspekt zu verbinden: „There is little ground for a choice between the two ideas. Both are equally Pauline and equally suitable to the immediate context.“23 Nach Halter würde eine schwerpunktmäßige Betonung des einen oder anderen Aspektes sogar zu einem schiefen Verständnis des Gesamtzusammenhanges führen.24 Wie aber kann εἷς ἐστε ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ gleichzeitig als Einheit und Gleichheit aller verstanden werden?

      Laut Longenecker stehen die beiden Dimensionen des εἷς in einem kausalen Verhältnis zueinander: „[…] that ‚in Christ Jesus‘ there is a new ‚oneness‘ that breaks down all former divisions and heals injustices.“25 Eine ähnliche Argumentation findet sich auch bei Rohde, obwohl er die Gleichheit (bezogen auf 3,28a–c) ganz anders verstehen kann: „[…] daß alle in Christus eine Einheit bilden und auf diese Weise alle in derselben Beziehung zu Gott stehen.“26 Schlier gelingt es sodann – als Vertreter der Leib-Christi-Interpretation – beide Aspekte innerhalb des Bildes zu verorten: „[S]ie sind in Christus alle zusammen Einer, der Leib Christi; sie sind es freilich so, daß jeweils jeder Einzelne im Verhältnis zum Anderen Christus ist, also deutlicher: daß sie nur noch Glieder Christi sind.“27

      Diese Beispiele verdeutlichen erneut, dass der unmittelbare Kontext unter bestimmten Voraussetzungen beide Interpretationsrichtungen hergibt. Sowohl γάρ als auch das folgende εἰ δέ fordern geradezu eine kontextimmanente Deutung. Der Bezugspunkt der beiden Proformen kann aber ganz unterschiedlich ausgemacht werden und selbst dann hängt die Auslegung von der Vorinterpretation entweder von 3,27a oder 3,27b oder 3,28a–c oder auch 3,29 ab. Auch „Kombinationsversuche“ lösen die Fragestellung m.E. nicht, sondern verquicken lediglich die Gemengelage. Die folgende Untersuchung hat als Minimalziel, einen Teil der Deutungsvarianten auszuschließen. Leitend dazu sollen die oben aufgeführten kritischen Anfragen sein.

      1.5.3 Textkritische Problematik von Gal 3,28d

      Wie bereits festgestellt liegt ein Teil der diskutierten Problematik in der diffizilen textkritischen Lage begründet. Jedoch wird die sich anschließende Erörterung der belegten Varianten erweisen, dass nicht erst Textverderbnis o.ä. zu einer unsicheren Textbasis und damit schwierigen Ausgangslage für die Interpretation geführt hat, sondern dass die unterschiedlichen Varianten der ältesten Zeugen – teilweise mit mehrfachen Korrekturen – auf eine frühe Diskussion und unterschiedliche Verstehensmöglichkeiten hinweisen. Die wesentlichen, von Nestle/Aland28 aufgenommenen Textversionen zu 3,28d sind folgende: 1) ἕν εστε εν Χριστω, 2) εστε Χριστου, 3) εστε εν Χριστου (evtl. zu lesen als ἕν Χριστου), und 4) die als txt gelesene Version εἷς ἐστε ἐν Χριστῷ. Sie sollen im Folgenden einzeln auf die Qualität ihrer Bezeugung sowie auf die Plausibilität in Vers und Kontext hin untersucht werden.

      1) […] πάντες γὰρ ὑμεῖς ἕν ἐστε ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ – „[…] denn ihr seid alle eins in Christus Jesus“: Erst ab der 26. Auflage listen Nestle/Aland diese lediglich von drei Zeugen belegte Variante auf. Alle drei werden erst auf das 9. Jh. datiert, wobei die beiden Majuskeln Codex Augiensis (Fp/010) und Codex Boernerianus (Gp/012) der Textwertkategorie II bzw. III zugeordnet werden,1 die Minuskel 33 hingegen der höchstens Kategorie. Jedoch bezeugen diese die wohl einfachste Aussage unter den belegten Varianten. Die neutrische Form zielt dabei lediglich auf eine Einheitsvorstellung, wie sie aus unterschiedlichen ekklesiologischen paulinischen Texten bekannt ist2 – hier herbeigeführt durch das „sich-mit-Christus-Umgeben“ in der Taufe und leicht als Konsequenz aus der neuen Unterscheidungslosigkeit und damit auch Zusammengehörigkeit zu verstehen, welche in 3,28a–c beschrieben wird. Nimmt man 3,27f als eine stringente Argumentation, mglw. sogar Tradition an, so wirft diese Einheitsvorstellung „in Christus Jesus“ nicht nur ein Licht zurück auf das Aufeinanderverwiesensein, wie es in 3,28a–c thematisiert wird, sondern spricht zugleich für eine räumliche Vorstellung von 3,27b: Wo doch die Einheit nicht zuletzt darin begründet wird, dass alle Getauften sich – erstmals ohne Unterschied – „in diesem Christus“ wiederfinden. Jedoch ist die Bezeugung so schwach, dass diese Variante 1 kaum als ursprünglich angenommen werden kann, sondern eher als späterer Versuch der Vereinfachung verstanden werden muss.

      2) […] πάντες γὰρ ὑμεῖς ἐστε Χριστοῦ Ἰησοῦ – „[…] denn ihr seid alle des Christus Jesus“: Zunächst3 bieten Nestle/Aland überhaupt nur diese Variante als Alternative zu txt und können dazu mit dem P. Chester Beatty III (P46; um 200), einer Korrektur des Codex Sinaiticus (‎‏א‏‎ / 01; 4. Jh.)4 und dem Codex Alexandrinus (A/02; 5. Jh.) drei sehr alte Majuskeln mit der Textwertkategorie I anführen. Damit ist die Variante ähnlich gut belegt wie txt und bietet zudem eine verständliche Aussage, die auch der darauffolgende Vers kennt: Über den Genitiv wird die Zugehörigkeit zu Christus ausgedrückt (vgl. 3,29a). Auch der