Claudia Matthes

Die Taufe auf den Tod Christi


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Glied-am-Leib-Christi-Metapher anbindet.

      Die Einzigkeits- und Einheitskonzepte des NT bewegen sich demnach – von den benannten drei Ausnahmen abgesehen – in einer apersonalen Bildwelt. Schaut man sich sodann die Einheitsmetaphern der frühen christlichen Schriften an, so findet sich auch dort eine Fülle an bildlichen Umschreibungen – die allerwenigsten jedoch sind spezifisch personal zu verstehen.2

      Will man εἷς in 3,28d demnach als (männliche) Person verstehen, was die textkritischen Überlegungen als wahrscheinlich gemacht haben, so verbleiben zwei Aussagevarianten zur Wahl: 1) εἷς meint den Leib Christi. Und das in 1Kor 12 und Röm 12 ausführlich entfaltete paulinische Konzept steht hier bereits hinter der knappen Formel. Dagegen spricht m.E., dass das σῶμα Χριστοῦ dann als ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ zu verstehen wäre und zudem das Konzept den Adressaten bekannt gewesen sein müsste, um für das Verständnis einer derartigen Verkürzung vorausgesetzt werden zu können. Wahrscheinlicher ist: 2) εἷς ist zu verstehen im Sinne von „wie ein einziger Mensch bzw. Organismus“, welcher – anders als eine sächliche, unbelebte Gruppe – mehr ist, als die bloße Summe seiner Teile, sondern (lebens-)notwendigerweise auf das Zusammenwirken aller „Beteiligten“ angewiesen ist. Hierbei handelt es sich um ein bekanntes Motiv, das sich in sämtlichen ekklesiologischen Bildern bei Paulus wiederfindet. Dies aber liegt begründet in der Taufe εἰς Χριστόν und ist zugleich aufgehoben ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ. Dass eine Unterteilung der Gemeinde in Gruppierungen, wie sie etwa in Gal 3,28a–c aufgezählt werden, grundlegend lebenszerstörend wirken kann, wenn nicht komplett unmöglich ist, findet sich wieder in 1Kor 1,12f. Wenn dieser Mensch dort wie auch in 1Kor 12 mit Christus identifiziert wird, kann als Weiterentwicklung der hinter Gal 3,28d stehenden Tradition verstanden werden. Entsprechend entfaltet Paulus an dieser Stelle dann auch die ursprüngliche Metapher einer personalen Einheit ausführlich über dessen einzelne Glieder und deren Funktionen.

      1.5.4.4 Einheitsvorstellungen in paulinischen Taufstellen

      Nicht zufällig finden sich an allen drei Stellen Bezugnahmen auf die Taufe. Dazu sei noch eine letzte Wahrnehmung festgehalten: Obwohl die Taufe als Initiationsritual zuerst ein Ritual für und am Individuum ist, ist 3,27f (eigentlich gesaMt 3,23–29) plural formuliert und zwar in der 2. Person Plural (3,27a.b.28d). Die einzigen singularen Bestimmungen (3,28a–c) sind, als vergangene Realität, negiert. Dass dies nicht allein der rhetorischen Situation der Ansprache einer Gemeinde im Brief geschuldet ist, sondern einen beachtenswerten Interpretationsfaktor darstellt, untermauern v.a. zwei Aspekte: 1) Paulus wechselt den Numerus, wenn es ihm rhetorisch-argumentativ sinnvoll erscheint, indem er bspw. in die Ich-Perspektive übergeht. 2) Sämtliche paulinische βαπτίζω-Aussagen sind im Plural formuliert. Grund dafür ist nicht, wie oft behauptet, der formelhafte Charakter der Aussagen. Denn es lassen sich Belege für alle drei Personen im Plural finden: ἐβαπτίσθημεν (Röm 6,3; 1Kor 12,13), ἐβαπτίσθητε (Gal 3,28d; 1Kor 1,13.15), ἐβαπτίσθησαν (1Kor 10,2).1 Teilweise lässt sich sogar der dezidierte Wechsel vom voranstehenden Singularduktus in den Plural beobachten.

      Gibt es also eine inhaltliche Implikation, vom Getauftwerden stets im Plural zu sprechen? Dass die Erfahrung von Massen- oder zumindest Gruppentaufen einzige Ursache des pluralen Sprachgebrauchs sein soll, widersprechen Berichte, welche die Praxis von Einzeltaufen belegen (Apg 8), nicht zuletzt die eigene Taufe des Paulus (Apg 9).

      3,28d steht, wie bereits dargelegt, in vielfältigen Beziehungen zu seinem Kontext und damit im besonderen Fokus der Perikope. Das dort postulierte Eins-Sein in Christus ist aber nun nicht irgendeine Wirkung der Taufe neben anderen, sondern muss als ihre Grundbestimmung verstanden werden: Getauft zu sein, bedeutet „eins zu sein“ – eine Erfahrung und Realität, die der Einzelne (allein) nicht machen kann. Dies unterstreichen auch die vorangehenden wie folgenden Qualifizierungen der Getauften: υἱοὶ θεοῦ ἐστε (3,26), τοῦ Ἀβραὰμ σπέρμα ἐστε […] κληρονόμοι (3,29). Gemeinsam sind sie Söhne Gottes, Nachkommen Abrahams und Erben der Verheißung und zwar durch und damit auch im Gegenüber zu dem einen Sohn Gottes, dem einen Nachkommen Abrahams (3,16.19) und dem einen wahren Erben der Verheißung (3,22).

      Menschen, die zuvor nach unterschiedlichen Kategorien unterschieden und eingeteilt wurden (3,28a–c), bilden jetzt eine Einheit. Nur gemeinsam sind diejenigen, welche zuvor entweder der περιτομή oder der ἀκροβυστία zugeordnet werden konnten (6,15a), die καινὴ κτίσις (6,15b). Dabei handelt es sich weder bei der Einheitsvorstellung noch ihrer Bindung an die Taufe um spezifische Gal-Themen. Die verschiedenen, vielfältigen im 1Kor behandelten Themen und Probleme sind geradezu am roten Faden der Vielfalt-Einheits-Problematik aufgefädelt. Entsprechend lassen sich die Bezugnahmen auf die christliche Taufe in dem Paulusbrief mit den meisten Tauftexten an genau den Stellen finden, wo Paulus auf die grundlegende Einheit der Gemeinde abzielt.

      Aus der Wahrnehmung, dass sämtliche paulinischen Taufstellen im Plural formuliert sind, ergibt sich noch ein weiterer Aspekt: Greift Paulus an diesen unterschiedlichen Stellen eine geprägte Taufformel auf. So liegt es nahe, ihren Sitz im Leben in der frühchristlichen Taufliturgie zu vermuten.2 Wird sie dort auch in pluraler Form verwendet wie bei Paulus? Gibt es also gar kein individuelles „Ich taufe dich auf …“, sondern stets nur das „Ich taufe euch …“? Es schließt sich die Frage an, ob der Plural im Vollzug der Taufe eine Pragmatik hat und wenn ja welche. Zwei Erklärungen kommen dafür in Betracht: 1) Die Taufe wird stets an mehreren Täuflingen zugleich vollzogen, welche dann gemeinsam im Plural angeredet werden. 2) Der Plural bezieht sich vielmehr auf die gesamte Gemeinde der bereits Getauften, deren Anwesenheit dann für den symbolhaft sinnvollen Vollzug der Taufe konstitutiv wäre.

      Die gerade angestellten Überlegungen zur Pragmatik der Taufformel im Rahmen der frühchristlichen Taufliturgie sind keine reine Gedankenspielerei und stellen auch keinen Versuch der Rekonstruktion der christlichen Taufe in den ersten Jahrzehnten dar. Die neutestamentlichen Texte bieten keine Beschreibung des Taufablaufs. Dadurch gerät jedoch schnell aus dem Blick, dass die dem Taufritual eigene Symbolik (und ggf. deren Deutung), wie z.B. die Taufe als „Gruppenerlebnis“, von den Briefadressaten selbst erlebt wird.

      Dass Paulus aber durchaus die Symbolik, welche das Taufritual bietet, aufgreift und davon ausgehend seine Interpretationen und Argumentationen entfaltet, konnte bereits für 3,27 aufgezeigt werden. Läge es dann nicht nahe, dass auch die Einheitsaussagen, welche sich stets bei den paulinischen Taufstellen finden lassen, und welchen mindestens ebensolches Gewicht zugestanden wird wie den Auswirkungen der Taufe auf den Einzelnen, ebenfalls an einen Aspekt des Taufrituals anknüpfen, nämlich den Vollzug der Taufe mit Blick auf eine Gruppe, erkennbar anhand der plural formulierten Taufformel?3

      1.5.5 Abschließende Interpretation

      Mit Blick auf die eingangs angefragten vielfältigen Beziehungen zum Kontext lässt sich Folgendes zusammenfassen: Mit πάντες γάρ […] ἐστε […] (3,26 und 3,28d) setzt Paulus einen strukturellen, aber v.a. inhaltlichen Rahmen, innerhalb dessen er den Galatern vor Augen führt, dass die freiwillige Unterwerfung auch nur eines einzelnen unter das Gesetz nicht nur seine eigene Erlösung durch Christus in Frage stellt, sondern der Konstitution der gesamten Gemeinde konträr gegenüberstehen würde. Denn sie alle, die sie ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ glauben und εἰς Χριστὸν getauft wurden, sind auf besondere Weise an ihn und aneinander gebunden.

      Es ist eine besondere Gemeinschaft, in die hinein sie mit der Taufe initiiert wurden. Es ist eine Gemeinschaft, wie sie bis heute nur schwer vorstellbar ist, denn sie lebt gerade nicht von der Gleichgestaltigkeit ihrer Mitglieder oder doch mindestens von einem gemeinsamen Streben danach, wie es alle anderen Gruppen, Stände und Vereine tun: Die Mitglieder sind gerade verschieden in (bisheriger) Religion, Volkszugehörigkeit, sozialem Stand und Geschlecht. Das einzige, was ihnen gemein ist, ist das ἐν-Χριστῷ-Ἰησοῦ-Sein, welches dann nicht nur die Bedeutung der bisherigen, das Sozialleben strukturierenden