Claudia Matthes

Die Taufe auf den Tod Christi


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wieder Relevanz einräumen?! Die einzige – heilsnotwendige – Verhältnisbestimmung ist die Zugehörigkeit zu Christus und die Einheit untereinander. Keine Volkszugehörigkeit, kein sozialer Status, kein Geschlecht, nicht einmal die Ehe binden den einzelnen mehr als das gemeinsame υἰοὶ-θεοῦ-Sein. Die vorherige Individualität des einzelnen, welche sich auf Verhältnisbestimmungen stützt, hat in der Taufe ihre Relevanz verloren, denn es gibt niemals den einen, einzelnen Getauften, πάντες γὰρ ὑμεῖς εἷς ἐστε ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ.

      Ihre Einheit ist keinesfalls zu vergleichen oder gar zu identifizieren mit Christus, dennoch derartig grundlegend durch ihn begründet, dass Paulus sie später zu seiner σῶμα-Χριστοῦ-Metapher ausbaut. Sie wird sehr deutlich herausstellen, dass die Gleichheit coram deo nicht zu einer Einebnung jeder Art von Unterschieden geführt hat (und wohl auch nicht eschatologisch zu erwarten ist), sondern dass die funktionierende Einheit vielmehr von den unterschiedlichen χαρίσματα des einen πνεῦμα lebt.

      1.6 εἰ δὲ ὑμεῖς Χριστοῦ, ἄρα τοῦ Ἀβραὰμ σπέρμα ἐστέ, κατ’ ἐπαγγελίαν κληρονόμοι (Gal 3,29)

      Vers 29 führt über δέ nicht nur die Thematik vom Verhältnis der Christusgläubigen zu Christus weiter, sondern bringt zugleich die bereits in 3,6 beginnende Argumentation über den Glauben Abrahams und seine Erben zum Abschluss.

      Wenn sich auch die Literatur einig darüber ist, dass δέ nicht kontrastierend, sondern fortführend zu verstehen ist, so scheint doch nicht ganz eindeutig, woran ὑμεῖς Χριστοῦ (ἐστέ) anknüpft: Entweder umschreibt der Genitiv das in-Christus-Sein (ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ, 3,28d)1 oder aber er greift die Art der Zugehörigkeit (πάντες γὰρ υἱοὶ θεοῦ ἐστε, 3,26)2 wieder auf.

      Unzweifelhaft handelt es sich um einen Genitiv der Zugehörigkeit, welcher sich auch in anderen paulinischen Texten an prominenter Stelle findet (Gal 5,24; 1Kor 1,12; 3,23; 2Kor 10,7 u.a.). Betz spricht sogar von einem paulinischen „Begriff Χριστοῦ εἶναι“.3 Grundthema sämtlicher Stellen ist die Betonung der ganz neuen, völlig veränderten Lebenswirklichkeit der Christusgläubigen (1Kor 1,12f; 3,23; 2Kor 10,7), welche einen Christus entsprechender Lebenswandel fordert (Gal 5,24), v.a. aber durch das in Christus bewirkte Rettungshandeln bestimmt wird (Gal 3,29). Der Verweis auf die Taufe macht dabei deutlich, was auch die maximal verkürzte grammatikalische Struktur zum Ausdruck bringt: Nicht die Christusgläubigen selbst tragen dazu bei, Kinder Gottes (Gal 3,26) oder Samen Abrahams zu sein, sondern allein ihre in der Taufe vermittelte Zugehörigkeit zu Christus (Gal 3,29). Besondere Beachtung kommt dabei dem Plural in all diesen Aussagen zu, denn: „Wenn die Gläubigen durch die Taufe in der Weise Christus angehören (Gen.poss.), daß sie in ihm eine Einheit bilden, so haben sie auch alle daran Anteil, was ihm gehört.“4 Die in Christus realisierte Verheißung gilt einerseits jedem einzelnen und andererseits allen gemeinsam als Gemeinde.

      Durch den Bund der Beschneidung bekamen die leiblichen Nachkommen Abrahams Teil an der Verheißung für all seine Nachkommen. Paulus nun begründet die Erwählung Abrahams und damit seinen Bund mit dessen Glauben (Gal 3,6 [Gen 15,6]), und sieht all die als Kinder Gottes an, welche, ob auch außerhalb des Bundesvolkes, glauben, wie Abraham geglaubt hat, bevor Gott den Bund mit ihm schloss (Gal 3,7). Der Apostel versteht dies als Erfüllung einer weiteren Bundesverheißung: ἐνευλογηθήσονται ἐν σοὶ πάντα τὰ ἔθνη· (Gal 3,8 [Gen 12,3]). Die folgende Argumentation, welche in 3,29 zugleich Abschluss und Höhepunkt findet, parallelisiert den Glauben Abrahams als einen Glauben vor und v.a. unabhängig vom Gesetz, dem der Glaube der Christusgläubigen insofern entspricht, als Christus von diesem Gesetz befreit5 und sich damit als der (eine) Nachkomme erweist (3,16). Der Glaube an dieses Heilshandeln Gottes lässt zu Nachkommen Abrahams werden – durch die Zugehörigkeit zu Christus als dem einen Nachkommen. Und es macht sie zu Erben im Sinne der Verheißung – durch die Zugehörigkeit zu Christus, dem die Verheißung gilt (3,19). Dass τοῦ Ἀβραὰμ σπέρμα ἐστέ die Nachkommen ohne Artikel konstruiert deutet Burton dahingehend, dass allein der Anteil an Christus die Christusgläubigen zu Nachkommen und Erben macht.6

      Auch wenn Paulus in dieser Argumentation (vgl. Gal 5) die Beschneidung nicht dezidiert erwähnt, so steht sie den Lesern mit den Motiven von Verheißung und Glaube Abrahams, seiner Nachkommenschaft sowie der Bedeutung des Gesetzes sehr deutlich vor Augen: „Es kann keine Rede mehr davon sein, daß sie sich erst durch die Beschneidung in das Geschlecht Abrahams aufnehmen lassen müßten und daß nur die Beachtung des Mosaischen Gesetzes ihnen zu dem Erbe verhelfen könnte, wie die Gegner in Galatien behauptet haben werden.“7 Die Taufe εἰς Χριστόν begründet die alles entscheidende Zugehörigkeit zu Christus und steht damit in einem Konkurrenzverhältnis zur Beschneidung an Heidenchristen.8 Fragt man nach der Verwendung und Bedeutung beider Rituale in einem größeren Kontext, so liest man gelegentlich: „Die soziologische Basis, auf der das Christentum beruht, sind nicht – wie im Judentum – die Verwandtschaftsbindungen sondern die Bindungen der Gemeinschaft – Gemeinschaft in Christus.“9 Wenn dies auch auf biologischer Ebene stimmt, insofern die Beschneidung hauptsächlich innerjüdisch Verwendung findet, so ist doch festzuhalten, dass Paulus zur Illustration und Erklärung der Auswirkungen der Zugehörigkeit zu Christus gerade Verwandtschaftsmetaphorik aufgreift: υἱοὶ θεοῦ (3,26) und τοῦ Ἀβραὰμ σπέρμα (3,29).10

      1.7 Zusammenfassung unter ritologischer Perspektive

      Paulus verdeutlicht den Galatern, dass eine Beschneidung der Heidenchristen nicht nur unnötig, sondern sogar der Evangeliumsbotschaft diametral entgegenläuft. Eine freiwillige Beschneidung bedeutet eine Versklavung des Menschen unter das Gesetz, das nicht retten kann. Christus aber hat als der eine verheißene Nachkomme Abrahams alle Menschen vom Gesetz befreit, welche nun durch Glaube und Taufe über Christus Anteil haben können an der Verheißung, welche damals an Abraham ergangen ist. Doch Taufe ist noch mehr als die Befreiung vom Gesetz: In ihr geht der Täufling eine grundlegende Christusbindung ein, welche sein Leben als einzelnen wie das der Gemeinde der Getauften grundlegend verändert, indem sich die neue Gleichheit vor Gott in unterschiedlicher Weise auch auf die zwischenmenschlichen Verhältnisse auswirkt – zwischen einzelnen und Gruppen. Alle Christusgläubigen bilden eine Einheit von einer Qualität, wie es sie bisher nicht gegeben hat. Dies wird in der Taufe bewirkt und ist seit dieser real.

      Paulus verwendet zur Beschreibung der Wirkung und Bedeutung der christlichen Taufe drei ritologische Motive, für die sich weitergehende Fragen ergeben: 1) Das Konzept der Liminalität:1 Werden die liminalen Wirkungen der Taufe stets präsentisch verstanden oder gibt es (darüber hinaus) auch eschatologische Erwartungen?2 Wird der Gleichheitsaspekt in anderen Texten ähnlich divers dargestellt?3 Finden sich überhaupt andere Äußerungen zum Verhältnis von Taufe und innergemeindlicher Ordnung?4 Wieviel Bedeutung kommt dem gleichen Vollzug des Rituals an sämtlichen Initianden zu, wenn man es mit anderen jüdischen und nichtjüdischen Ritualen vergleicht?5 2) Motiv „Befreiung“: Kann das Motiv von „Befreiung/Freiheit“ vom Gesetz als spezifisch christlich verstanden werden oder findet es sich so oder ähnlich auch bei anderen Ritualen?6 3) Motiv „Nachkomme/Erbe“: Warum greift Paulus zur Deutung der christlichen Taufe auf Verwandtschaftsmetaphorik zurück, obwohl sich die christliche Gemeinde v.a. mit Beginn der Heidenmission gerade von der jüdischen Volksreligion wegentwickelt? Ist dies lediglich als traditionsgeschichtliches Aufgreifen des jüdischen Motives der „Nachkommen Abrahams“ zu werten, gegenüber einer mehrheitlich heidenchristlichen Gemeinde?7

      Über diese konkreten Deutungsmotive hinaus ergeben sich weitere ritologische Fragen: Wie genau stellt sich für Paulus das Verhältnis von der christlichen Taufe und der Beschneidung dar, welche im Text nicht dezidiert genannt wird, aber dennoch stets präsent zu sein scheint?8 Ist die Parallelführung von ἐβαπτίσθητε und ἐνεδύσθε als Verweis auf die Symbolik des Ritualablaufes