Norbert Wibben

Raban und Röiven Insel der Elfen


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der königlichen Jäger dort überhaupt verloren? – Oder zu dem Quartier der Jäger? Ja, dort könnten sie hingegangen sein. Der Dunkle schlägt die entsprechende Richtung ein und betritt die Burganlage, die innerhalb der Residenzstadt eine eigene Festung bildet. Er lächelt hämisch bei dem Gedanken, dass diese trutzige und wehrhafte Anlage Duncan nicht hindern konnte, den König zu töten. Ja, ja. Zauberei ist schon etwas sehr Gutes, wenn man der ist, der sie anwenden kann! Der Verfolger steht in Gedanken und in Zukunftsplänen versunken lange ohne Erfolg im Innenhof der Anlage und beobachtet die Aufräumarbeiten, doch Kenneth und Kendra sieht er heute nicht mehr.

      Die sind vor dem Zugang zur Burg abgebogen, um, parallel zum Burggraben laufend, zu dem Haus zu gelangen, in dem Kendra wohnt. Es ist ein großes, zweistöckiges Stadthaus, das offensichtlich bessere Zeiten erlebt hat. Der an einigen Stellen abgeplatzte Putz müsste dringend ausgebessert und die Fassade anschließend neu gestrichen werden. Die dadurch sichtbar gewordenen roten Backsteine wirken unter dem abgeplatzten, grauen Mörtel eher schäbig. Trotzdem weist das Haus insgesamt auf den ehemaligen Reichtum seines Erbauers hin. Da Kendra dort nur zur Miete wohnt und als königliche Jägerin sehr oft im Land unterwegs ist, stört sie das nicht besonders. Sie hat die Wohnung gemietet, nachdem ihr Vater gestorben war und ihre Mutter zu ihrem elterlichen Anwesen wegzog, wo sie von Duncan und seiner Bande getötet wurde. Da die Wohnung besonders günstig zum Quartier der Jäger gelegen ist, muss sie nicht Tür an Tür mit anderen in einer Gemeinschaftsunterkunft verbringen, sondern hat mehr Privatsphäre und kann gleichzeitig innerhalb kürzester Zeit verfügbar sein. Der Vermieter wohnt in der unteren Etage und betrachtet den Fairwing argwöhnisch, doch er kommentiert dessen Kommen nicht. Umso erstaunter ist er, als er angesprochen wird.

      »Kendra wird für etwa ein Jahr nicht hier sein. Ihre Wohnung will sie aber behalten. Ist das in Ordnung?«

      »Ähem. Ja klar. Sie ist auch bisher oft für längere Zeit abwesend gewesen. Als Angehörige der Jäger muss sie das wohl auch. Ein Jahr ist aber schon etwas anderes, da ist die Miete im Voraus fällig.« Der Mann hat zwar ein offenes und ehrliches Gesicht, trotzdem wird sein Blick lauernd. Er scheint zu überlegen, was die hübsche Frau und dieser Mann wohl vorhaben.

      »Wieviel?«, fragt Kenneth deshalb kurz angebunden.

      »Drei, oder sagen wir vier Goldstücke. Dafür schaue ich auch hin und wieder nach dem Rechten.«

      »Drei. Und keine Besuche in der Wohnung! Lass es dir nicht einfallen, die Zimmer zwischenzeitlich anderweitig zu nutzen. Es kann sein, dass Kendra innerhalb des Jahres die Unterkunft unangemeldet aufsucht.«

      »Drei und ein halbes. Die Wohnung bleibt unangetastet, versprochen.«

      »Einverstanden!« Damit zückt der Fairwing seinen Geldbeutel und entnimmt ihm das geforderte Geld. Kendra versucht vergeblich, ihn zurückzuhalten, sagt aber im Beisein des Vermieters nichts. Sie steigen die Treppe ins Obergeschoss hinauf, in dem sich drei Wohneinheiten befinden. In ihrer Wohnung hält sie sich aber nicht mehr zurück.

      »Was fällt dir ein? Das ist meine Wohnung und …« Hier wird sie unterbrochen, weil Kenneth sie umarmt und lange küsst. Sie wehrt sich nicht. Als der Kuss endet, atmet sie heftig.

      »Das ändert nichts. Es ist meine Wohnung.«

      »Wenn du ein Jahr Urlaub hast, bekommst du kein Geld. Wie willst du sie dann bezahlen? Ich kann es mir andererseits leisten und gebe es gerne.«

      »Ich könnte einige Sachen verkaufen, um die Miete zu bezahlen. Und das werde ich auch und dir das Geld dann erstatten.« Ihr Blick ist hart und herablassend, so wie zu Beginn ihrer Bekanntschaft, als sie auszogen, um Duncan zu fangen. »Unabhängig davon würde eine Jahresmiete nur zwei und ein halbes Goldstück kosten«, lächelt sie ihn an. »Darum bekommst du auch nur diesen Betrag von mir.« Sie grinst ihn an und lässt sich gerne erneut küssen.

      »Danke!«, ergänzt sie dann ihre unterbrochene Rede. Anschließend packen sie die Dinge zusammen, die sie vorläufig in dem Gasthaus benötigt. Dann wechseln sie mit dem magischen Sprung in Kendras Gastzimmer.

      »Du hast Fairwingblut und damit auch das der Elfen des Westens in dir«, beginnt Kenneth im Zimmer. Beide haben es sich auf den zwei Stühlen am Tisch gemütlich gemacht, nachdem die Frau ihre Sachen, darunter auch ihre Waffen, verstaut hat.

      »Das habe ich dir gesagt«, bestätigt Kendra. »Warum?«

      »Ich werde in den nächsten Wochen meine bisherige Gewohnheit wiederaufnehmen und Bedürftigen beistehen. Auch wenn du nicht direkt zaubern kannst, könntest du eine feine Spur der Zauberkräfte geerbt haben. Vielleicht ist es möglich, dass wir uns deshalb über geistigen Kontakt verständigen können. Es würde mich sehr beruhigen, wenn du mich bei einer drohenden Gefahr sofort an deine Seite rufen könntest. Ich glaube zwar nicht, dass es hier bei den Wirtsleuten eine Gefährdung für dich geben wird, doch vielleicht später, wenn du dich auf deinem Anwesen befindest.«

      »Geistigen Kontakt herstellen. Wow, wie geht das denn?«

      Kenneth erläutert ihr nun, wie das funktioniert, und übt den Rest des Tages mit ihr. Schließlich gelingt es Kendra, einen Ton in Kenneths Kopf hervorzurufen.

      Der Fairwing ist zwar etwas enttäuscht, dass keine richtige Verständigung möglich ist, doch der Ton kann immerhin als Warnsignal dienen. Die königliche Jägerin bezweifelt, dass ihr in der Einsamkeit des Anwesens Gefahr drohen könnte. Sie versteht schließlich, mit Waffen umzugehen und kann sich notfalls wehren. Doch da es ihn beruhigt, versichert sie, ihn über das Warnsignal herbeizurufen, falls sie irgendwie in Gefahr geraten sollte oder seine Hilfe benötigt. Nach einer erneuten Umarmung und einem nicht enden wollenden Kuss, verlässt Kenneth sie. Er wird sie in einer Woche wiedersehen, doch die Zeit bis dahin erscheint ihm jetzt schon zu lang.

      »Hallo Raban«, wird der Junge bei seinem Erscheinen von Ilea begrüßt, die ihn sofort stürmisch umarmt.

      »W… was ist los?«, stottert er verlegen. Ist Leana nicht im Wohnzimmer? Das wäre ja peinlich! Während er schnell nach Ileas Mutter Ausschau hält, löst das Mädchen die Umarmung und haucht ihm noch kurz einen Kuss auf die Wange. Die Mutter hat der mittlerweile sechzehnjährige Junge nicht entdeckt, trotzdem steigt eine leichte Röte seinen Hals hinauf.

      »Was ist das denn für … nun ja, für ein unerwarteter Empfang. Nicht, dass mir das nicht gefallen hat«, fügt er schnell hinzu. »Aber damit habe ich nicht gerechnet.«

      Helle, blaue Augen mit kleinen, grauen Einsprenkelungen strahlen ihn an. Auf und um Ileas gerader Nase sind vereinzelt schwache Sommersprossen sichtbar.

      »Ich freue mich so, einen ganzen Tag mit dir allein zu verbringen.«

      »Da sollte ich dich möglichst jeden Tag zu einem Ausflug oder Ähnlichem abholen.«

      »Das wäre himmlisch«, lächelt sie ihn an. Sie tritt erneut ganz nah an Raban heran und küsst den verdutzten Jungen schnell auf den Mund. Als er sie umarmen und festhalten will, ist sie schon wieder lachend zurückgewichen. Er will nun seinerseits näher an sie herantreten, da hält er mitten in der Bewegung inne. Er hört Schritte im Flur. Jetzt kommt Ileas Mutter herein.

      »Hey. Da habe ich doch wohl richtig gehört. Raban! Schön, dass du gekommen bist. Das ist auch kein Moment zu früh. Ilea konnte deine Ankunft kaum noch …«

      »Mom! Bitte!«, unterbricht das Mädchen sie schnell, woraufhin Leana lächelt. Obwohl sie vermutlich etwas anderes sagen wollte, um ihre Tochter zu necken, fährt sie geschickt fort:

      »Ilea hat mir gestern noch einmal von eurem Ausflug im Herbst berichtet, den ihr so unerwartet abbrechen musstet. Sie freut sich schon sehr, die damals nicht mehr besuchten Plätze zu sehen. Sie ist entsprechend gespannt und wartete voller Ungeduld auf deine Ankunft.«

      »Ich … ich freue mich, dass ich sie auf diesen Ausflug mitnehmen darf. Feindliche