Robert Mayer

Wolf übernimmt


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seines Jacketts und reichte Wolf ein Foto. Es zeigte einen blonden Jungen im Teenageralter auf einem Siegerpodest. Er trug einen Trainingsanzug und hielt stolz eine goldene Medaille hoch. Wolf schätzte ihn auf ungefähr zehn Jahre. In das Foto war offensichtlich per Photoshop eine überdimensionale Spritze eingesetzt worden, die direkt über ihm schräg auf ihn zeigte. Wolf fragte: „Ist es denn realistisch, vorausgesetzt Ihre Partei gewinnt die Wahl, dass Sie so eine Gesetzesänderung überhaupt umsetzen könnten.“ Sommer: „Nun das wäre sicherlich ein sehr langer Weg bis dorthin. Jedoch die erwähnte Änderung, dass Organe entnommen werden könnten, wenn man nicht explizit widersprochen hat, wäre dann als Zwischenetappe zu sehen. Das ist Politik, es werden permanent Kompromisse verhandelt. Man verlangt die ganze Hand, und nimmt den kleinen Finger. Wohlbemerkt, als Zwischenetappe.“ Sommer nahm das Foto wieder entgegen, hielt es mit beiden Händen vor sich, betrachtete es konzentriert und meinte: „Ich kann natürlich nicht beweisen, dass es hier einen Zusammenhang gibt, aber es liegt auf der Hand.“ Sommer wollte noch nicht erklären, was es mit der Spritze auf sich hatte. Auch ohne diese Information war die Drohung eindeutig. Noch war nicht entschieden, ob Wolf in der Sache tätig würde, und ob er überhaupt eine Hilfe wäre. Alfred meinte, er wäre der richtige Mann.

      Wolf kam vom Joggen zurück ins Bootshaus. Er hörte die Dusche. Wolf hatte bei der Renovierung des Bootshauses und seiner Wohnung im ersten Obergeschoss zwei Gästezimmer mit Gästebad errichten lassen. Außer Julia hatte er allerdings nie Gäste.

      Mit Sommer hatte er vereinbart, dass er Nachforschungen vornehmen würde, und sie sich in zwei Tagen nochmals treffen würden, um dann zu entscheiden, ob eine Zusammenarbeit zustande käme. In Gedanken sah er den stolz in die Kamera lachenden Felix und überlegte, ob er mit diesem Auftrag Julia wieder in Gefahr bringen würde.

      Nachdem auch er geduscht hatte, machte er für Julia und sich Rühreier. Seine Spezialität war, zerlassene Butter in das mit einer Gabel aufgequirrlte rohe Ei unterzurühren, bevor er das Ei nur kurz in die heiße Pfanne gab. Ein wenig frischen Schnittlauch, Fleur du Sel, frisch gemahlenen Pfeffer, sonst nichts. Die Butter gab dem Gericht den sämigen intensiven Geschmack. Sie hatten nicht viel Zeit, Julia war spät dran, sie musste zur Vorlesung.

      Jakob Beringer hatte vor zehn Jahren einige Stunden damit verbracht, die Aufnahmen abzuhören, die bei den Sommers durch die mit den ShuBro-Mikrofonen ausgestatten Öffnungssensoren deren neuer Alarmanlage aufgenommen wurden. Das Ergebnis war sehr ernüchternd. Er suchte sich Abendsequenzen aus Wohnzimmer, Küche und sogar Schlafzimmer und kam sich vor wie bei Big Brother. Diskussionen über den Babysitter von Felix, offenbar ihr Sohn, oder über den Nagelpilz unter Sommers großem linken Zehennagel waren wirklich nicht das, was sich Beringer erwartet hatte. Im Grunde wusste er selbst nicht einmal, was er sich erwartet hatte und musste sich bald eingestehen, dass das schlicht weg ein absoluter Reinfall war. Er wünschte sich, er hätte die ShuBro-Mikrofone bei interessanteren Leuten eingebaut und öffnete unwillkürlich die Kundenliste der Steel Security Corporation. Als er Name für Name durchging, kam er auf die Idee, die ihn schlussendlich reich machte.

      Er überlegte sich, wie er es anstellen könnte, die ShuBro-Mikrofone in allen Alarmanlagen zu implementieren oder zumindest dort, wo es wahrscheinlich war, interessante Informationen zu erhalten. Er würde eine unheimliche Menge an Informationen sammeln, die er aber auch entsprechend lagern und abrufbar machen musste. Der Plan war nicht nur technisch und logistisch eine Herausforderung, er war höchst illegal. Keiner durfte die Abhörfunktion seiner Alarmanlagen entdecken.

      In den nächsten Tagen ging er wieder und wieder alle Prozesse von der ersten Kontaktaufnahme seiner Kunden mit der Steel Security Corporation, des Beratungs- und Verkaufsgesprächs mit dem jeweiligen Sales Manager, der Konzepterstellung für das jeweilige Gebäude je nach Kundenbedürfnis, der Bestellung der notwendigen Komponenten bis hin zur Montage, Inbetriebsetzung und Wartung durch. Bei den Komponenten, welche bei den Sommers eingebaut wurden, hatte er in der Nacht vor dem vereinbarten Montagetermin die Shu-Bro Mikrofone selbst in die Öffnungssensoren und Bewegungssensoren eingesetzt. Sie waren nicht als Mikrofone zu erkennen und wurden von Beringer zwischen zwei Bauteile gesetzt. Nur nach einer kompletten Zerlegung in alle Einzelteile würden sie einem Techniker auffallen, wenngleich nicht als Mikrofone. Beringer musste also eine Möglichkeit finden, die Mikrofone in großer Menge zu bekommen und diese von seinen Mitarbeitern unbemerkt in die Komponenten einzusetzen. Und er wollte sie natürlich nicht Nacht für Nacht selbst einbauen.

      Schließlich löste er das Problem so, dass er neue Abdeckungen für die Gehäuse aller Komponenten einer Alarmanlage von Steel Security Corporation produzieren ließ. Es waren kleine Gehäuse und kleine weiße Abdeckungen mit einem eingeprägten kleinen Firmenlogo der Steel Security Corporation. Direkt neben dem Logo konnte man ein Element einsetzen, an dem man von außen erkennen konnte, um welche Serie es sich bei den Komponenten handelte. Die Steel Security Corporation hatte zwei Serien von Alarmanlagen im Angebot: Alarmsystems Special 200 (firmenintern S200) und Alarmsystems Exclusive 500 (firmenintern E500). Bei der zukünftigen Montage würde der Montagemitarbeiter das Element bei den neuen Abdeckungen der Komponenten einsetzen, weiß beim S200 und hellgrau beim E500. So konnte man an der Außenseite der kleinen Kunststoffgehäuse der Öffnungssensoren, welche an Türen und Fenstern angebracht wurden, und an den Gehäusen der Bewegungssensoren und allen anderen Komponenten erkennen, ob es sich um die S200 oder die E500 Komponenten handelte. Das Einsetzen dieser Elemente war bei der Montage ein schneller Handgriff. Mit einem Klipp war das Element im Gehäuse.

      Niemand wusste, dass das hellgraue Element das Vielfache des weißen Elements kostete und was der eigentliche Unterschied war außer der Farbe. Nur im hellgrauen Element wurde das ShuBro-Mikrofon Model 55QFS eingebaut. Von außen nicht erkennbar, nur ein kleines hellgraues Kunststoffteilchen. Über Induktion holte es sich die Energie der Batterie der jeweiligen Komponente der Alarmanlage. Beringer bezog die Elemente vom ShuBro-Mikrofon Hersteller in China über zwei Offshore Firmen in Panama und Zypern. Der chinesische Hersteller wusste nicht, wo die Elemente mit den ShuBro-Mikrofonen eingebaut wurden. Es war ihm wohl auch völlig egal. Beringer wurde zunehmend ein guter Abnehmer.

      Alarmanlagen mit der Serie Alarmsystems Special 200 wurden in der Regel in Wohnungen und normalen Einfamilienhäusern eingebaut, sie waren die preiswerte Standardausführung. Die wesentlich aufwendigeren und teureren Alarmanalgen der Serie Alarmsystems Exclusive 500 wurden in sehr exklusive Villen von Unternehmern und Top Managern, Top Politikern oder anderen einflussreichen und finanziell bessergestellten Personen eingebaut. Sie wurden auch in Konzernzentralen und Regierungsgebäuden und anderen sicherungswürdigen öffentlichen Gebäuden eingesetzt und Beringer konnte überall mithören. Die ShuBro-Mikrofone sendeten ihr Signal an die jeweilige Alarmanlagenzentrale des Kunden, diese war mit der Zentrale der Steel Security Corporation verbunden, um einen ausgelösten Alarm zu erfassen und entsprechend der vereinbarten Anweisung des Kunden im Alarmfall zu reagieren: Anruf beim Kunden, um Fehlalarme auszuschließen, ein Einsatzteam der Steel Security Corporation zu schicken oder die Polizei zu alarmieren, je nachdem, welches Leistungspackage vom Kunden gewählt wurde. Die neue Alarmanlagenzentrale des Kunden, der eine Alarmanlage der Serie Alarmsystems Exclusive 500 gekauft hatte, sendete nun auch das empfangene Signal der ShuBro-Mikrofone an den neuen zusätzlich angeschafften, sehr leistungsstarken Server der Steel Security Corporation.

      Beringer hatte eine Software installiert, die das Übertragene von unzähligen ShuBro-Mikrofonen nur dann speicherte, wenn bestimmte Signalworte fielen, oder wenn die Speicherung von Beringer selbst gezielt aktiviert wurde. Die Software konnte das Übertragene den einzelnen Kunden und den jeweiligen Zimmern der Kunden zuordnen. Bei Konzernzentralen oder in den Villen derer CEOs hatte er Signalworte wie Gewinnwarnung, Übernahme, neuer Blockbuster und so weiter festgelegt. Er konnte diese Signalworte abfragen und dann gezielt die Sequenz des Gesprochenen abhören. So kam er zu Insiderwissen, welches er an der Börse sehr gewinnbringend einzusetzen verstand.

      Anfangs war sein Banker sehr skeptisch als Beringer per Telefon größere Beträge auf einzelne Aktien setzte und wollte vor der Platzierung der Order Beratungstermine vereinbaren. Aber Beringer gab präzise Aufträge, die ungewöhnlich oft, nach kurzer Zeit mit Gewinnen gesegnet waren. Später kaufte Beringer meist Optionen, so musste er viel weniger Kapital investieren und die Gewinne waren ein Vielfaches. Hebelprodukte