Jonas Scotland

Fleischpflanzerl


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in Farbe, bestes Agfacolor.«

      »Potz Blitz! Das ist ja ein Ding!«

      »Ja, der Film soll Goebbels’ ganz besonderer Liebling werden. Da ist nichts zu teuer.«

      »Ich kann mir schon gut vorstellen, dass das ein Streifen ganz nach seinem Geschmack ist.«

      Ein weiterer Kamerad schüttelt den Kopf: »Mann, die da oben haben vielleicht Nerven! Der Russe steht kurz vo...«, bricht er den Satz ab, weil er zu waghalsig ist. »Äh, ich meine, um uns tobt der Krieg, und wir sollen hier so ein Theater machen.«

      »He, wie soll das Machwerk denn überhaupt heißen? Damit ich meinen Enkelkindern später mal Bescheid sagen kann, dass sie sich den Schinken ansehen«, witzelt Anton.

      »"Kolberg".«

      »Was? "Kolberg"? Das ist doch kein Name für einen Film.«

      »"Kolberg", wie die pommersche Stadt an der Ostsee, um die es im Film auch geht.«

      »Ach so.«

      Geschildert werden soll der heldenhafte Widerstand der zahlenmäßig weit unterlegenen Deutschen in Kolberg gegen die Invasion von Napoleons Armee.

      »Wer spielt denn da noch mit, außer uns?«

      »Der George, die Söderbaum, Gustav Diessl. Aber ich glaube kaum, dass ihr die hier zu sehen kriegt.«

      Als Anton dies hört, wird ihm ein bisschen unheimlich zumute, denn Hans Kuchenbäcker hatte doch so für Kristina Söderbaum geschwärmt. Ironie des Schicksals! Und er denkt sich, wenn so ein Zufall in einem Roman stände, dann würde man es sicher als nicht glaubhaft bezeichnen.

      Die Männer haben in gewaltigen Massenszenen über ein prärieartiges Schlachtfeld zu preschen. Als man schließlich genug Material im Kasten hat, werden die "Komparsen" zurück in den anderen, den realen Krieg beordert.

      Ab jetzt brechen noch härtere Zeiten für den Rest von Antons Einheit an. Hunger und Durst, verseuchtes Wasser und Insektenplagen lassen die kampfmüden Männer verzweifeln. Dann geraten sie schließlich in russische Gefangenschaft. Der Krieg ist für sie endlich vorbei, und bald für alle.

      Allerdings sterben noch viele der geschwächten deutschen Soldaten unter den katastrophalen Lebensbedingungen in den Internierungslagern. Anton Brunisch altert sehr in dieser Zeit, welche für ihn und viele andere Pechvögel sogar noch weit länger wird als der Krieg, der sie verursachte. Aber er überlebt.

      2. Die Heimkehr

      Als der langersehnte Tag seiner Freilassung letztendlich gekommen ist, haben wir das Jahr, in dem in Westdeutschland - ein Jahr nach Gründung der Bundeswehr - erneut die Wehrpflicht eingeführt wird: 1956.

      Die Sonne scheint bei Antons Ankunft in Deutschland. Im Grenzdurchgangslager Friedland hält er sich nicht lange auf, denn er hat es satt, mit seinem Laufzettel Schlange zu stehen: Registrierung, Entlausung, Wäsche- und Kleiderausgabe, ärztliche Untersuchung, Schlafplatzzuweisung ...

      Wie jeder heimgekehrte Soldat, wird auch er vom Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes befragt. Draußen am Zaun des Lagers stehen verzweifelte Ehefrauen und Mütter, die ihm mit ausgestreckten Armen Fotos entgegenhalten, weil sie um ein Lebenszeichen ihrer verschollenen Angehörigen bitten. Er hat es satt, die Hoffnung der Suchenden nur enttäuschen zu können. Also macht er sich sofort wieder auf den Weg, mit Bahn und Omnibus.

      Jedoch, als er in Dingeln eintrifft, bewölkt sich der Himmel. Am Rande des Dorfes sind einige neue Häuser zu sehen. Aber die vertrauten Gebäude befinden sich an ihrem Platz, da der Ort von den Bomben verschont geblieben ist. Es sieht vieles aus wie damals, vor dreizehn Jahren. Auffallen tun dem Spät-Heimkehrer mehrere Autos. Früher fuhren hier fast nur Pferdewagen.

      Stimmungsvollerweise sind gerade jetzt die Kirchturmglocken zu hören. Dieselben, die vor achtzehn Jahren seine Hochzeit begleiteten und schon am 1. September des Folgejahres den Kriegsbeginn verkündeten.

      Keiner, der ihm begegnet, erkennt den abgemagerten Mann mit den tiefen Gesichtsfalten und dem langsam schlurfenden Gang wieder. Als er das schwarze Dach seines Hauses immer größer werden sieht und darüber die dunklen Wolken, muss er daran denken, wie er seinerzeit diese Straße entlang auf sein Zuhause zueilte, und welche schrecklichen Ereignisse darauf folgten.

      Aber das ist alles lange vorbei. Und jetzt ist er wieder da. Jetzt endlich kann seine Zukunft sich zum Guten wenden. Nachdem was er hinter sich hat, kann nur alles besser werden.

      Während er den Klingelknopf betätigt, rast sein Herz vor Aufregung. Das gleiche vertraute Gebimmel.

      Darauf hört er drinnen Geraschel und Näherkommen. Die Tür öffnet sich. Doch was ist das? Ein Kind steht vor ihm und fragt: »Ja?«

      Perplex blickt Anton den Jungen an. Letzterer trägt zu seinem grünen, kurzärmeligen Hemd eine dunkelgraue, kurze Hose aus dünnem Wollstoff, deren schmale Träger, aus demselben Material, hinten über Kreuz laufen. An den Füßen luftige, braune Sandalen ohne Strümpfe. Anton versucht, sich höflich zu verständigen: »Oh! Entschuldigung. Wohnt hier nicht mehr ...?« Er sieht auf das Namensschild neben dem Eingang und stockt: »Brunisch!« Erneut starrt er ungläubig auf sein Visavis.

      Der Junge fragt: »Was wollen Sie denn?« Dabei denkt er an die Hausierer, die einem ständig irgendwas andrehen wollen. Aber dieser hier macht einen besonders ungepflegten Eindruck.

      »Ich wohne hier!«, antwortet Anton.

      »Was? Sie sind wohl beknackt!« Mit diesen Worten will der Knabe die Haustür wieder schließen.

      Doch Anton hindert ihn daran und drückt sie erregt wieder auf: »Hör mal, du Rotzbengel! Ich weiß zwar nicht, was hier gespielt wird, aber ich lass’ mich doch nicht von einem Dreikäsehoch wie dir aus meinem eigenen Haus aussperren!«

      Erschrocken läuft der Überrumpelte ins Hausinnere: »Hilfe! Da ist ein Verrückter! Der Kerl hat einfach die Tür aufgestoßen!«

      Als Anton sich im Flur umguckt, kann er einige Veränderungen feststellen. Da sind zwar noch die von ihm eigenhändig weiß getünchten Wände mit dem aufgerollten grünen Blattmuster. Und der weinrote mit dunklen Ornamenten verzierte Teppich-Läufer, mit dem sowohl der ebene Boden als auch die steile Treppe ausgelegt ist.

      Neu dagegen sind ein Kruzifix oben über dem Türrahmen, zwischen dessen Christus-Füßen ein getrockneter Buchsbaumstrauß gesteckt wurde sowie links neben der Tür ein winziges Weihwasserbecken, welches mittels einer Wandhalterung in Schulterhöhe befestigt ist. Die Halterung wird von einem Bildnis der Jungfrau Maria geziert. Darunter prangt ein lateinischer Spruch, den Anton nicht verstehen kann. Verwundert späht er in die kleine Schale, und tatsächlich befindet sich sogar eine Flüssigkeit darin. Außerdem steht auf dem Boden in der Ecke ein Blechnapf, der jenen gleicht, in welchen er in der Gefangenschaft sein Essen erhielt, wenn es mal etwas gab. Nur, dass dieser hier viel mehr glänzt.

      »Fass! Fass!«, hört er eine laute Frauenstimme keifen. Auf einmal rast ein Schäferhund in den Flur und stürzt sich auf den hilflosen Zurückgekehrten.

      »Arhh ...!«, schreit dieser vor Schmerzen, als die Zähne sein Bein packen.

      »Hans, aus!«, krächzt die Stimme nun, worauf das Tier sofort hechelnd von seinem Opfer ablässt. Als der Gebissene aufschaut, sieht er seine ungläubig dreinblickende Angetraute. »Anton, du?«

      »Ja, ich bin es«, erwidert er zaghaft mit wackeliger Stimme, beeindruckt von der "Begrüßung", die ihm zuteil geworden ist.

      »Das tut mir Leid. Aber ich konnte ja nicht ahnen, dass du das bist. So was — dass du doch noch kommst!«

      »Hast du denn meine Post nicht bekommen?«

      Die Hausherrin schüttelt mit zerknitterter Miene den Kopf und drückt die Tür rumsartig zu: »Post? Ich habe keine Post bekommen.«

      »Aber ich habe dir doch so oft geschrieben.«

      »Wahrscheinlich haben die Russen das nicht weitergeleitet. Warum sollten sie auch? Sind