Rita Hajak

Wege zurück ins Leben


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      Rita Hajak

      Wege zurück ins Leben

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      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Zitat

       Eins

       Zwei

       Drei

       Vier

       Fünf

       Sechs

       Sieben

       Acht

       Neun

       Zehn

       Elf

       Zwölf

       Dreizehn

       Vierzehn

       Fünfzehn

       Sechzehn

       Epilog

       Tröstende Worte

       Impressum neobooks

      Zitat

      Wenn Trauer

      übermächtig wird,

      Alkohol

      die Sinne vernebelt,

      ist die Sucht

      nicht mehr aufzuhalten.

      R.Hajak

      Eins

      Jeden Morgen, wenn sie erwachte, galten ihre ersten Gedanken ihrem Baby. Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen, der Kopf dröhnte und im Magen stach es, als hätte sie ein Messer im Leib. Niemand vermochte diesen Schmerz zu lindern. Es gab nur ein Mittel dagegen: Einen kräftigen Schluck.

      Mechanisch erhob sie sich aus dem Bett, schlüpfte in ihre Jeans und zog das schwarze Shirt über. Seit Tagen trug sie dieselbe Kleidung. Es war ihr egal. Sie hatte aufgehört, solche Äußerlichkeiten für wichtig zu halten. Viel wichtiger war es, den Tag zu überstehen. So wie den heutigen Tag, vor dem es ihr graute. Sie musste zum Einkaufen in die Stadt fahren. Ihre Vorräte gingen zur Neige. Zuvor war ein Besuch bei der Bank unerlässlich. Sie hasste es, dort hinzugehen.

      Mit müden Schritten schlurfte sie in die Küche und griff nach der Rotweinflasche, die griffbereit auf dem Tisch stand. Es war noch ein Rest darin, den sie in einem Zug austrank. Sie gähnte. Ihr fehlte der Elan, die Lust, auch nur das Geringste zu unternehmen.

      Sie schleppte sich ins Bad, feuchtete einen Waschhandschuh an und fuhr sich damit über das Gesicht. Auf das Zähneputzen verzichtete sie. Ein paar Bürstenstriche übers Haar, Schuhe und Jacke an, fertig.

      Anja schaffte es, den Wagen heil aus der Garage zu lenken, und fuhr in gemächlichem Tempo in die Stadt. Sie war erleichtert, dass sie eine Parklücke fand, die für ihre Fahrkünste groß genug war.

      Beim Betreten der Bankfiliale befiel sie die Angst. Sie konnte nicht verhindern, dass sich ihre Kopfhaut zusammenzog und der Kloß in ihrem Hals zu wachsen schien. Mit zittrigen Fingern führte sie die Bankkarte in den Geldautomaten ein und tippte ihre Geheimzahl in die Tasten. Ein Wunder, dass sie sich daran erinnerte. Sie atmete hektisch, riss die Geldscheine und die EC-Karte an sich und stopfte sie in ihre Handtasche. Ein Teil des Geldes fiel zu Boden. Gehetzt wie ein wildes Tier, schaute sie um sich, bevor sie in die Hocke ging und das Geld einsammelte. Dem jungen Mann, der Anstalten machte, ihr zu Hilfe zu eilen, rief Anja entgegen: »Bleiben Sie weg von mir!« Mit dem letzten Geldschein in der Hand flüchtete sie aus der Bank.

      Als sie unter freiem Himmel stand, begann sie hysterisch zu lachen. Vorübergehende Passanten schauten sie befremdet an. Anja nahm sich zusammen. Sie atmete tief durch, straffte ihren Körper, und ging über die belebte Straße der Frankfurter Innenstadt, zu ihrem Wagen. Sie fühlte sich beobachtet. Auf der anderen Straßenseite sah sie einen schwarzen Wagen mit verdunkelten Scheiben stehen. Sie fing zu zittern an, Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn. »Hilfe«, flüsterte sie vor sich hin und beschleunigte ihre Schritte. Warum war niemand da, der sie beschützte?

      Anja erreichte schweißgebadet ihren Wagen, stieg ein und verriegelte die Tür. Hier fühlte sie sich sicherer. Sie beförderte ein Fläschchen aus ihrer Tasche und trank es leer. Das Zeug tat ihr wohl, wärmte den Bauch und bekämpfte die Angst.

      Sie startete mehrmals ihren Golf, bis sie den Motor zum Laufen brachte. »Verdammte Kiste«, fluchte Anja und schlug ärgerlich auf das Armaturenbrett. Sie wischte sich über die Augen, um den vermeintlichen Schleier zu entfernen. Ohne Erfolg; ihr Blick blieb trübe. Dass sie nicht fahrtüchtig war, verdrängte sie.

      Sie fuhr in den nördlichen Teil der Stadt zum Friedhof. Beunruhigt schaute sie in den Rückspiegel und vergewisserte sich, dass ihr niemand folgte. Auf dem Parkplatz stellte sie den Wagen ab und eilte an der baufälligen Steinmauer entlang, bis zur Eisentür. Sie schlüpfte hindurch und bog in einen Seitenweg ab, in dem viele Minigräber lagen. Vor einem liebevoll gestalteten Grab blieb sie stehen. Auf dem marmorierten Grabstein mit der seitlich ausgefrästen Rose stand: Geboren, um zu sterben, unsere geliebte Melanie.

      Anja kämpfte mit den Tränen. Sie dachte an jenen Tag, an dem sich ihr Leben schlagartig veränderte. An manche Dinge erinnerte sie sich nicht mehr. Den Moment, als sie das tote Baby in seinem Bettchen liegen sah, konnte sie nicht vergessen. Nicht ein einziger Tag war seither vergangen, an dem sie nicht daran dachte. Melanie wäre inzwischen zehn Jahre alt. Die Sehnsucht nach ihrem Baby brannte wie Feuer in ihrem Herzen. Das Leben ohne ihre Tochter war ein einsames Leben. Sie verbrachte die Tage alleine im abgedunkelten Kinderzimmer. In dieser Umgebung fühlte sie sich ihrem Kind nahe. Wie konnte das Schicksal es zulassen, dass ein Mensch geboren wird und bald darauf stirbt? Die Erklärung des Arztes, Kindstod sei ein häufiges Drama im ersten Lebensjahr, tröstete sie nicht. Auf die Ratschläge von Freunden und Bekannten wollte sie nicht hören. »Das Leben muss weitergehen«, sagten sie. Oder: »Die Zeit heilt alle Wunden.« Was sie empfand und fühlte, konnten nur Menschen mit ähnlichem Schicksal verstehen. Dass sie ihre geliebte Arbeit als Modezeichnerin nicht mehr ausüben konnte, schmerzte