Иван Тургенев

Das Wirthshaus an der Heerstrasse


Скачать книгу

ev

      Das Wirthshaus an der Heerstraße

      I

      Auf der Straße von B. in fast gleicher Entfernung von den beiden Kreisstädten, welche sie durchläuft, stand noch vor Kurzem ein großes Hans, allen des Weges kommenden Kutschern, Fuhrleuten,1 Handlungsdienern, Hausirern und überhaupt all den zahlreichen, verschiedenartigen Reisenden, welche in jeder Jahreszeit das Land durchziehen, wohl bekannt. Die meisten von ihnen pflegten in dem Wirthshause einzukehren; nur die Equipagen vornehmer Gutsbesitzer, die mit einem Sechsgespann in eigenem Gestüt gezogener Pferde fuhren, rollten feierlich vorüber, was inzwischen weder den Kutscher, noch den hinten stehenden Lakai verhinderte, mit besonderer Empfindung und Aufmerksamkeit nach der ihnen wohlbekannten Freitreppe zu spähen. Oder auch ein armer Teufel in schmutziger Telega mit s einen letzten drei Pjätaks (Fünfkopekenstücken) im Schnürbeutel aus der Brust, trieb, auf der Höhe des reichen Wirthshauses angekommen, seinen müden Gaul weiter, um sein Nachtquartier in der Hütte eines armen Bauern zu suchen, bei weichem weiter nichts zu finden war, als Heu und Brot, der aber auch nicht einen Kopeken zuviel dafür forderte.

      Außer seiner vertheilhaften Lage bot das Wirthshaus, wovon wir oben redeten, noch viele andere Annehmlichkeiten: ausgezeichnetes Wasser in zwei tiefen Brunnen mit knarrenden Rädern und eisernen Eimern an Ketten; einen geräumigen Hof mit bedeckten, von stämmigen Pfeilern getragenen Gallerien; einen reichen Vorrath vortrefflichen Hafers im Erdgeschoß; eine warme Gesindestube mit einem russischen Riesenofen, welcher ein Paar lange Röhren wie gepanzerte Arme ausstreckte, und endlich zwei ziemlich saubere Zimmer mit röthlichen Tapeten, unten schon etwas verschossen, mit Sopha’s und Stühlen von gefärbtem Holze an der Wand und zwei Geranientöpfen in den Fenstern, welche übrigens niemals geöffnet wurden, und ganz geschwärzt waren von verjährtem Staube.

      Zudem war in der Nähe des Wirthshauses eine Schmiede und eine Mühle; auch konnte man gut zu essen bekommen, wenn man die Gunst der rothen, dicken Köchin zu gewinnen wußte, welche schmackhaft kochte und es mit den Portionen so genau nicht nahm.

      Bis zur nächsten Schenke war kaum eine halbe Werst. Der Schenkwirth verkaufte auch Schnupftabak, welcher, obgleich mit Asche gemischt, von höchst erfolgreicher Wirkung war und die Nase auf’s angenehmste prickelte und biß. Kurz, viele Ursachen trafen zusammen, daß Passagiere aller Art gern in dem Wirthshause anhielten. Es war belebt, weil es beliebt war, was immer das beste Mittel ist etwas in Gang zu bringen, aber – wie man sich in der Nachbarschaft erzählte – war es hauptsächlich deswegen beliebt, weil der Wirth ein Glücksspitz war, dem Alles, was er unternahm, einschlug, obwohl er sein Glück wenig verdiente. Aber so geht’s in der Welt: wem es einmal glücken soll, dem glückt es.

      Dieser Wirth war ein Kleinbürger und hieß Naoum Iwanow. Von mittlerem Wuchs, dick, breitschultrig, etwas gekrümmt, hatte er einen großen runden Kopf mit wallendem Haar; das schon in’s Graue spielte, obwohl er, nach dem Ansehen zu schließen, nicht älter als vierzig Jahre sein konnte. Sein Gesicht war voll und frisch, feine Stirn niedrig, aber weiß und glatt; seine kleinen, hellen, blauen Augen hatten einen seltsamen Ausdruck, indem sie zugleich frech und argwöhnisch blickten, was nicht oft vorkommt. Den Kopf trug er immer gebückt und bewegte ihn nur mit Mühe zur Seite, wahrscheinlich weil er einen zu kurzen Hals hatte. Er ging rasch, und fast ohne die Arme zu bewegen, die er mit geballten Händen steif auseinander hielt. Wenn er lächelte, und er lächelte oft, aber ohne zu lachen, gleichsam für sich, – so bewegten sich seine dicken Lippen in widerwärtiger Weise und ließen eine gedrängte Reihe glänzender Zähne sehen. Er sprach stoßweise und mit einem gewissen mürrischen Tone. Obgleich er sich rasirte, blieb er doch in der Kleidung dem altrussischen Kostüm treu. Er trug einen langen, ganz abgeschabten Kaftan, weite Hosen und Schuhe über den bloßen Füßen. Er war häufig von Haus abwesend in Geschäften, deren er viele hatte: wie Pferdehandel, Landpacht, Gartenbau, kurz, Handel, Betrieb und Verkehr aller Art. Aber seine Abwesenheit war niemals von langer Dauer, wie der Geier, mit welchem er auch im Ausdrucke des Auges viele Aehnlichkeit hatte, kam er immer bald in’s Nest zurück. Er verstand es, dies Nest in Ordnung zu halten: überall fand er sich zu rechter Zeit ein, Alles hörte und befahl, besichtigte, ordnete und berechnete er selbst, und Niemanden ließ er einen Kopeken nach, nahm aber auch keinen zuviel.

      Die Reifenden unterhielten sich nicht gern mit ihm, und er selbst liebte es nicht, viel unnütze Worte zu machen: »Ich brauche Euer Geld – pflegte er zu sagen – und ihr braucht meine Kost; wir haben nicht zusammen Gevatter zu stehen; wenn ein Reisender gegessen und sein Pferd versorgt hat, braucht er sich nicht lange aufzuhalten. Und wenn er müde ist mag er schlafen; schwatzen ist überflüssig.« Das kam bei ihm so stoßweise heraus, als ob er jedes Wort erst herauspreßte. Er hielt sich große und rüstige Arbeiter, die aber friedfertig und gehorsam waren und ihn sehr fürchteten. Für seine eigene Person dem Genuß geistiger Getränke völlig abhold, gab er seinen Leuten doch an großen Festtagen jedem einen Griwenik (Zehnkopekenstück) zum Schnaps; an andern Tagen durften sie nicht wagen Branntwein zu trinken.

      Leute vom Schlage Naoum’s werden bald reich, allein er selbst – bessert Vermögen man aus vierzig bis fünfzigtausend Rubel schätzte – war in seine glänzende Lage nicht auf geradem Wege gekommen . . .

      II

      Schon zwanzig Jahre vor dem Zeitpunkte, mit welchem unsere Erzählung beginnt, stand auf demselben Flecke ein anderes Wirthshaus, welches allerdings kein dunkelrothes Dach hatte, das dem Hause Naoum Iwanow’s das Ansehen eines Herrenhofes gab, sondern von schlichter Bauart war, mit strohbedeckten Wetterdächern im Hofe, statt der Balkenmauern geflochtene Wände, und ohne die Zier eines dreieckigen griechischen Giebels auf gedrechselten Pfeilern ruhend – allein es war immerhin ein geräumiges solides Absteigequartier, warm und von den Reisenden gern besucht.

      Der Wirth hieß damals Akim Ssemenow und war Leibeigener einer in der Nachbarschaft begüterten Dame, Elisabeth Prochorowna Kuntze, Wittwe eines Stabsoffiziers. Dieser Akim war ein sehr intelligenter und thätiger Bauer, der noch in jungen Jahren mit zwei schlechten Pferden vor seinem Wagen auszog, um Kleinhandel zu treiben, nach einem Jahre mit drei ziemlich guten Pferden zurückkehrte und seit der Zeit sich fast sein ganzes Leben hindurch auf der großen Heerstraße umhertrieb, der Reihe nach Kasan und Odessa, Orenburg und Warschau besuchte, selbst in’s Ausland bis »Lipetzk« (Leipzig) kam, und zuletzt ein paar riesige Telegen mit zwei Dreigespannen stattlicher Hengste fuhr.

      Ob er seines heimathlosen, unstäten Lebens überdrüssig geworden, ob er sich wieder einen eigenen Hausstand gründen wollte (während einer seiner Reisen war seine Frau gestorben; später hatte er auch seine Kinder verloren) – genug, er entschloß sich zuletzt seinen Handel aufzugeben und Gastwirth zu werden; Mit Erlaubniß seiner Herrin erbaute er auf der großen Heerstraße, wo er noch unter dem verstorbenen Gutsherrn eine halbe Dessjatine Land erworben hatte, ein Gasthaus. Die Geschäfte gingen vortrefflich. Er hatte hinlänglich Geld, um das Haus ordentlich einzurichten und die Erfahrung, welche er auf seinen langjährigen Reisen nach allen Enden Rußlands erworben hatte, kam ihm sehr zu statten; er wußte es den Reisenden nach Wunsch zu machen und besonders den Handelsfuhrleuten, seinen ehemaligen Gewerbsgenossn, deren er gar viele persönlich kannte, und welche die Rechnungen in den Wirthshäusern sehr anschwellen lassen, weil diese Leute für sich und ihre mächtigen Pferde in der Verpflegung und Beköstigung ungewöhnliche Ansprüche machen.

      Bald war Akims Hof auf hundert Werst in der Runde bekannt. Die Passagiere kehrten lieber bei ihm ein als bei seinem völlig von ihm verschiedenen Nachfolger, obgleich er sich mit diesem in Betreff der Wirthschaftsführung nicht entfernt vergleichen konnte. Akim hielt nämlich Alles noch auf altem Fußes die Zimmer waren warm, aber nicht sonderlich rein; auch kam es wohl vor, daß der Hafer etwas feucht und modrig und das Essen durch das Kochen halb verdorben war. Zuweilen kamen Speisen auf den Tisch, die besser ganz weggeblieben wären, nicht etwa weil Akim mit seinem Vorrath kargte, sondern blos weil die Köchin es mit ihrer Kunst so genau nicht nahm.

      Dafür aber nahm es Akim auch nicht so genau mit der Rechnung, sondern ließ mit sich handeln; auch gab er gern Kredit – kurz, er war ein guter Kerl und ein liebenswürdiger Wirth. Dazu zeigte er sich seinen Gästen auch freigebig in der Bewirthung und Unterhaltung. Beim Ssamowar (russische Theemaschine) plauderte er ihnen vor, daß sie die Ohren spitzten, besonders wenn er anfing von  P i t e r  (Peter dem Großen) zu erzählen, oder von den tscherkessischen Steppen, oder gar von den überseeischen Ländern. Natürlich