Wilhelm Raabe

Keltische Knochen & Gedelöcke


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       Wilhelm Raabe

      Keltische Knochen & Gedelöcke

      Erzählungen

      Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2020

       [email protected]

      EAN 4064066114886

       Keltische Knochen

       Gedelöcke

       I. Von der Stadt Kopenhagen und dem Kurator Herrn Jens Pedersen Gedelöcke.

       II. Von den Herren Doktores Primus et Sekundus, imgleichen der Frau Mette Gedelöcke und dem ehrwürdigen Herrn Hieronymus Moekel von der Trinitatiskirche.

       III. Von dem Famulo Herrn David Bleichfeld.

       IV. Von dem Herrn Obristen Benediktus von Knorpp.

       V. Von dem isländischen Regimentsfeldscherer Herrn Snorro Skalholt und von Mynheer van der Tromp, weiland zu Leyden.

       VI. Von der Stadt Friedrichshall, der Feste Friedrichstein und dem dänischen Postschiff.

       VII. Von dem Teufel, dem Herrn Polizeimeister und Seiner glorwürdigen königlichen Majestät, Christiano dem Sechsten.

       VIII. Zum Beschluß

       Inhaltsverzeichnis

       Festgeregnet!…… Wem steigt nicht bei diesem Worte eine gespenstische Erinnerung in der Seele auf? eine Erinnerung an eine Stunde — zwei Stunden — einen Tag — zwei, drei, vier — acht Tage, wo er oder sie ebenfalls festgeregnet war — festgeregnet an einer Straßenecke, unter einem Torwege, bei einem Freunde oder einer Freundin, in einer Dorfkneipe, auf dem Brocken, dem Inselsberge, dem Rigi oder dem Schafberge?

      Es ist eine leidige Vorstellung — festgeregnet! Grau, greinend und griesgrämlich kriecht sie heran, streckt hundert fröstelnd-kalte, feuchte Fangarme nach dem warmen Herzen aus und ist so schwer los zu werden, wie alles andere Unbehagliche, Unbequeme, Ungelegene in der Welt.

      In Ischl spazierten die schönen Damen auf der Esplanade im glänzendsten Sonnenschein, als wir ausfuhren, und sämtliche arme Hämorrhoidarier, Drüsen- und Skrofelkranke hatten ihren Jammer in die freie Luft getragen: auch die königlich-kaiserliche Familie fuhr spazieren.

      In der Nähe von Laufen, im heiligen Bezirk der schönen, holdseligsten Maria im Schatten zog die allerschönste, aber auch allereigensinnigste Dame Natur den Nebelschleier über das Gesicht, und als wir auf dem See schifften, wurde dieser Schleier und unsere Hoffnung auf einen schönen Tag vollständig zu Wasser. Es scheint eben in den angenehmsten Gegenden am liebsten zu regnen; aber vielleicht war auch der fromme Dichter, welchen wir mit uns führten und welcher jedenfalls unter dem Zeichen des Wassermannes geboren war, schuld daran.

      Wir waren unserer drei, und trotz allem war der Dichter der Edelste von uns; er hieß leider Krautworst und war aus Hannover, sagte natürlich beides nicht gern, sondern stellte sich meistens als den Verfasser der Lebensblüten vor und dar; sonst nannte er sich auch wohl, glänzenden aber ebenfalls von der Prosa ihres Namens oder Geburtsortes erdrückten Beispielen folgend, Roderich von der Leine. Er hatte uns in Linz im Erzherzog Karl aufgegabelt, hielt krampfhaft wenigstens an mir fest, schwärmte für Linz und ließ nicht selten geheimnisvolle Andeutungen fallen, daß er daselbst etwas erlebt habe. Seine öftere Geistesabwesenheit und Zerstreutheit gab Anlaß zur Vermutung, daß er dieses Erlebte poetisch zu verwerten im Begriff sei; seine lyrischen Wehen hatten oft etwas Beängstigendes für mich; affizierten jedoch den dritten in unserm Bunde weniger. Dieser dritte war, ohne sich dafür zu geben, ein Geheimnis, und ebenso verschlossen, wie der Poet offenherzig und mitteilungswütig war. In die Fremdenbücher zeichnete er sich kurz als Zuckriegel; ich hegte aber einigen Zweifel, ob dies wirklich sein Name sei; bis er in Wien in den drei Raben höchst unmotivierterweise in einen Streit geriet, der ihn und mich vor die königlich-kaiserliche Polizei führte und ihn zwang, mit seinem Paß herauszurücken. Er hieß in der Tat Zuckriegel, ohne sich dessen zu schämen, und war Prosektor an einer kleinen norddeutschen Universität, hatte jedoch in seinem Äußern sowohl, als in seinem Innern sehr viel vom Scharfrichter. Nur ein schlechter Charakter, gleich dem seinigen, konnte es über sich gewinnen, einen so guten Menschen wie den Dichter durch ein ewig wiederholtes Auftischen des gehaßten Familiennamens Krautworst an allen Nervenenden zu zupfeln und zu kitzeln.

      Zuckriegels Reisezweck war, die Knochen des unbekannten Volkes am Rudolfsturm über Hallstadt zu besuchen und womöglich einen Schädel und einige sonst überflüssige Gebeine für seine osteologische Sammlung zu stehlen oder, wie er sich euphemistisch auszudrücken beliebte, an sich zu nehmen.

      Er liebte es, irgend etwas an sich zu nehmen, wie zum Beispiel den besten Platz im Wagen, die besten Stücke an der Wirtstafel, sämtliche Zeitungen nach Tisch, und so weiter. Auf der Fahrt über den Hallstädter See hatte er im „Einbaum“ die Bank dicht hinter dem breiten Rücken und den Röcken des lieblichen Schiffermädchens eingenommen und saß sehr geschützt gegen den Regen, welchen der Wind uns ins Gesicht trieb.

      Unser Kleeblatt hatte in Ischl trotz dem prächtigen Sommerwetter arg gelitten: der fromme Dichter an den reizenden Toiletten der Damen; Zuckriegel an sich selber und an einem amerikanischen Reverend nebst Familie, welche, nur durch eine dünne Wand von ihm getrennt, ihn durch nächtliche unendliche Gebete und näselnden Lobgesang sehr erbost hatten; ich hatte mich durch die Inschrift am Kurhause: In sale et in sole omnia consistunt verleiten lassen, das entsetzliche salzige Gesöff und seine Wirkung auf meine gottlob gute Konstitution zu versuchen, und hatte mich nicht vergeblich in die Gefahr begeben.

      Die Inschrift an der Hygiea:

      „Man nennt als größtes Glück auf Erden

      Gesund zu sein —

      Ich sage nein!

      Ein größres ist, gesund zu werden“

      gab mir nur einen mittelmäßigen Trost; das „Gesundwerden“ nach diesem höllischen Schoppen war längst nicht so angenehm als der behagliche Zustand vor meinem fürwitzigen Anlecken an den Becher der Hekate. Wir mieteten den Einspänner, setzten Roderich von der Leine neben den Kutscher auf den Bock, fuhren, wie gesagt, an der holdseligen Jungfrau Maria im Schatten und — Regen vorüber und durch Goisern und Sankt Agatha zur Gosaumühle, wo wir feucht abstiegen, und wo Zuckriegel sich in einen Wortwechsel mit dem Kutscher verwickelte, in welchen wir beiden andern uns nicht einmischten, weil wir dem Rosselenker recht geben mußten, und dieser sich selber zu helfen wußte.

      Wir mieteten den Einbaum, das heißt einen Kahn mit einer dicken Jungfrau und einem Jungen, und wurden von jener Schifferin, welche der Dichter der Lebensblüten „sich poetischer gedacht“ hatte, über den See gerudert, und ich für mein armes Teil bedauerte in diesem Augenblick nicht mehr, daß der Tag dunkel war, denn er paßte zu der Gegend. Wären meine beiden Begleiter, der Junge und das Schiffermädchen, nicht gewesen,