Kathrine Switzer

Marathon Woman


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      »Bitte, Arnie, ich bin so müde, ich kann mich einfach nicht mehr bewegen. Ich setze mich jetzt hier eine Minute hin und schlafe ein bisschen.« Ich setzte mich ins Gras am Straßenrand und schlief sofort ein.

      Arnie schrie los: »Hey, das geht nicht. Du kannst hier nicht mitten in der Pampa einfach schlafen!«

      »Arnie, in zehn Minuten geht es mir wieder gut, nur ein kleines Schläfchen, okay, okay … «

      Dann war ich weggesackt und fest eingeschlafen.

      Als ich zu mir kam, bugsierten Arnie und noch jemand mich in ein Auto. Mir war alles egal, ich wollte nur schlafen, und dann lag ich lang ausgestreckt auf dem Rücksitz eines schönen warmen Autos und hörte ­Arnies Stimme, und dass er sich unablässig beim Fahrer entschuldigte. Ich fühlte mich wohl, spürte in mir ein warmes Schnurren wie von einem Heiz­lüfter. Der Unbekannte fuhr uns den weiten Weg zur Sporthalle zurück, wo ­Arnies Auto stand. Als wir ankamen, wachte ich auf und fühlte mich taufrisch, aber es war mir alles sehr peinlich. Mein Dank an den Autofahrer fiel entsprechend knapp aus. Zu Arnie sagte ich schnippisch: »Siehst du, ich musste nur ein bisschen schlafen.« Ich habe mich in den folgenden Jahren oft dankbar gefragt, wer unser Retter gewesen sein mag.

      In der nächsten Woche reduzierten wir auf sechzehn Meilen, und dann versuchten wir wieder die achtzehn Meilen und hatten keinerlei Probleme. Wir liefen an drei Wochenenden hintereinander achtzehn Meilen, davon die letzten drei auf einem harten Kurs mit unglaublichen Steigungen, nur um sicher zu sein. In dieser letzten Einheit liefen wir durch die ländliche Umgebung von Syracuse und Manlius, die ich noch nicht kannte. Die Strecke führte uns durch viele kleine Dörfer mit italienisch klingenden Namen wie Pompey und Fabius, entlegene hübsche Ortschaften, in denen an ­einigen Stellen noch Schnee lag. Am Straßenrand türmte er sich im Schatten immer noch zentimeterhoch und erinnerte an die Schaumkrone einer schmutzig-weißen Welle. Selbst ich konnte mir nicht vorstellen, wie diese Straße im Winter ausgesehen haben musste.

      Jetzt war es Ende März, die Sonne schien fahl, die Landschaft war trostlos, einfach nur braun und schwarz, der Boden wurde an manchen Stellen sumpfig. Wir trugen Shorts, obwohl es noch kühl war, und immer noch hatten wir Sweatshirts und Handschuhe an. Ich hatte das Gefühl, als wäre das graue Sweatshirt, auf dessen Vorderseite in blauen Buchstaben »TRACK« stand, zu einem Teil meines Körpers geworden. Es schien nie nass zu werden oder zu schwer, weil ich nicht schwitzte. Wir schwitzten beide nicht. Dafür war es zu kalt und wir liefen zu langsam, und so wusch ich täglich nur das T-Shirt, das ich direkt auf der Haut trug.

      Da wir nicht schwitzten, hatten wir auch keinen Durst und machten uns kaum Gedanken über die Zufuhr von Flüssigkeit. Heute klingt das verwunderlich, aber damals sprach niemand über die Bedeutung von Wasser, und wenn man nicht durstig war, was sollte das Gerede? Doch auf unserem letzten 18-Meilen-Lauf hatten wir dann Durst. Die Sonne schien, ich sah am Ende eines matschigen Feldes einen Fluss und sagte zu Arnie, dass ich ihn mir mal aus der Nähe ansehen würde. Arnie sagte, lass es sein, das sei kein Trinkwasser, weil hier auch Pferde weideten. Aber da war ich schon über den Zaun gesprungen und hopste durch den Modder und das sprießende Gras, und als ich den Fluss erreichte, erklärte ich das Wasser für klar und rein, denn es strömte schnell dahin, und am Flussufer wuchs Brunnenkresse. Mein Dad hatte gesagt, dass ein Fluss, an dem Brunnenkresse wuchs, rein sei; Brunnenkresse würde nicht an verdreckten Gewässern gedeihen. Arnie war skeptisch, aber als er mich so unerschrocken trinken sah, machte er es mir nach und murmelte, dass wir wahrscheinlich Tetanus oder Typhus oder so etwas kriegen würden. Das Wasser war eiskalt und ausgesprochen köstlich. Wir bekamen nicht mal Bauchkrämpfe, und Jahre später erzählte ich diese Geschichte meinem Vater, weil ich dachte, er wäre stolz, dass ich mich an seinen Ausspruch erinnert hatte.

      Er sah beunruhigt aus. »Das mit der Brunnenkresse habe ich nie gesagt«, behauptete er.

      Teil II Aufbau

      Sobald Läufer sich eine gute Grundlage ­erarbeitet haben, beginnen sie, die Anzahl der Meilen zu erhöhen. Erfolgreiche Läufer werden dies mit Bedacht tun, jede Meile zählt, sie variieren das Tempo, um der Quantität auch die Qualität hinzuzufügen. Anfänger (wie die meisten von uns) haben diese Möglichkeit nicht, sie können nur ein Tempo laufen und versuchen einfach, die Streckenlänge zu steigern.

      Kapitel 6 »Du kannst den Boston Marathon laufen!«

      Nach dem letzten 18-Meilen-Lauf sagte Arnie, dass wir am kommenden Wochenende die sechsundzwanzig Meilen knacken würden. Warum er beschloss, gleich auf die volle Distanz zu steigern, weiß ich nicht. Vielleicht, weil es dann genau einen Monat vor Boston war. Vielleicht hatte er auch einfach das Gefühl, dass ich so weit war, aber ich machte mir darüber keine Gedanken. Arnie hatte das Sagen. Aber ich war sehr aufgeregt. Das war mein großer Moment, genauer, mein großer Tag, weil wir uns ausgerechnet hatten, dass der Lauf fast den ganzen Tag dauern würde.

      Wir starteten am Morgen, parkten das Auto auf dem Campus und planten, eine Schleife von sechzehn Meilen durch die Landschaft zu laufen und dann unsere übliche Zehnmeilenstrecke anzuhängen. So kämen wir näher an unseren Ausgangspunkt und gerieten nicht in die Gefahr, in irgendeiner entlegenen Gegend festzusitzen. Arnie hatte den Zwischenfall, als er ein Auto anhalten musste, um mich nach Hause zu bringen, nie auch nur angesprochen, aber er wollte keine Wiederholung riskieren. Wir wollten auch nicht in den Monsterbergen um Pompey laufen, was nur gut war, denn die Strecke reichte uns schon ohne Heldentaten. Wir wollten einen Kurs mit möglichst wenig Verkehr; er sollte abwechslungsreich sein, dabei aber nie direkt an unserem Auto oder der Sporthalle vorbeiführen. Es wäre mit Sicherheit eine zu große Versuchung, einfach aufzuhören, wenn man dort vorbeikäme, und sich nah an zu Hause zu zwingen weiterzulaufen, trotz aller Müdigkeit, führt dazu, dass man sich noch müder fühlt. Das ist ein Grund, warum ich nie eine gute Bahnläuferin war. Die Runden machen mich psychisch fertig.

      Schön an unserer üblichen 10-Meilen-Runde waren immer die gepflegten Anwesen entlang der Strecke; ich stellte mir vor, eines Tages auch so ein schönes Haus mit Garten zu haben. Manchmal dachte ich mir sogar aus, wie ich es einrichten würde. Außerdem lebte Larry, das Lama, auf einem der teureren Grundstücke. Ein leicht exzentrischer Reicher besaß ein gepflegtes Anwesen mit vielen Bauernhoftieren, darunter ein mürrisches Lama, das Arnie Larry getauft hatte. Ich schätze, dass sich das alles nicht gerade unterhaltsam anhört, aber wenn man eine Route von 26 Meilen und 385 Yards zusammenstellt, ist man auf den letzten zehn Meilen für jede Ablenkung dankbar.

      Als wir ungefähr sechs Meilen auf dem platten Land gelaufen waren, rannte uns ein schwarzer Mischlingshund, dem wir schon öfter begegnet waren, knurrend und bellend hinterher, und wie immer drehten wir uns nach ihm um und sahen ihn an, bis wir uns rückwärtslaufend aus seinem Herrschaftsbereich entfernt hatten. Aber statt wieder zurückzulaufen, wedelte der Hund mit dem Schwanz und folgte uns. Nachdem wir ein Dutzend Mal stehengeblieben waren und »Hau ab, geh nach Hause«, gerufen hatten, gaben wir auf, und Blackie wurde zu unserem Begleiter. Großer Fehler, Blackie, dachte ich. Mein Dad hatte mir mal erzählt, dass ein Mensch die meisten Tiere abhängen kann, sogar Rehe, und so glaubte ich, dass Blackie nach wenigen Meilen müde werden und nach Hause humpeln würde. Aber Blackie blieb mit heraushängender Zunge treu an unserer Seite, als gehörte er zu uns. Nach sechs Meilen blieb er langsam zurück, er humpelte, dann versuchte er, uns wieder einzuholen. »Ich weiß, wie dir zumute ist, du armer Kerl«, murmelte ich, und endlich, nach zehn Meilen legte Blackie sich einfach an den Straßenrand und sah uns hinterher. Das gefiel mir nicht, was, wenn er nun starb? Aber Arnie überzeugte mich, dass ich nicht traurig sein müsste, Hunde fänden immer nach Hause. So wie Lassie im Fernsehen und außerdem, was sollten wir denn machen? Ihn tragen?

      Obwohl ich Lassie im Fernsehen noch nie gesehen hatte, war Blackie eine willkommene Ablenkung auf der 16-Meilen-Strecke, und jetzt begaben wir uns an die letzten zehn Meilen und hatten die Entfernung gar nicht gespürt. Wir kamen an den schönen Häusern vorüber, die ausladenden Bäume zeigten eine Andeutung von Grün, und Larry, das mürrische apri­kosenfarbene Lama, kam zur Steinmauer,