Kathrine Switzer

Marathon Woman


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keine große Aufmerksamkeit geschenkt.

      »Sicher, Trainer, stellen Sie mich auf«, sagte ich lachend. Diesen klassischen Kinospruch wollte ich schon immer mal sagen können.

      Lynchburg College war Mitglied in zwei Athletic Conferences (Sportligen). Die eine, Mason-Dixon Conference, verbot die Teilnahme von Frauen in männlichen Teams, die andere, die Dixie Conference, ließ sie zu. Die kommenden drei Wettkämpfe waren mit drei Colleges angesetzt, die Mitglieder der Dixie Conference waren. An diesen Rennen konnte ich also teilnehmen.

      Am selben Abend noch rief ich meinen Freund Mike Lannon an und bat ihn um Rat. Denn noch nie war ich eine Meile unter Wettkampfbedingungen gelaufen. Ich glaube, Mike war der einzige Student, der als Läufer in Lynchburg so etwas wie ein Stipendium hatte. Er war ein sehr guter Läufer und wohnte im oberen Stockwerk der alten Turnhalle, was wahrscheinlich eine Art Gegenleistung in Form von Unterkunft war. Mike holte sich ein Stück Papier und sagte, seiner Meinung nach könne ich die Meile in sechs Minuten laufen, was bedeutete, eine Runde in neunzig Sekunden zu schaffen. Wichtig wäre, die erste Runde nicht schneller als neunzig Sekunden zu laufen, sonst würde mir die Luft ausgehen. Mike war sehr lebhaft, er machte mir Mut, ohne mich zu bevormunden. Wie sich beim Training in den kommenden Tagen zeigte, blinzelte mir kein Junge zu oder grinste vieldeutig. Das waren offensichtlich nicht die Kerle, die mir aus den Wohnheimfenstern hinterhergebrüllt hatten. Ich fühlte mich wohl.

      Ein paar Tage später forderte Coach Moon auch Marty auf, am Wettkampf teilzunehmen. Sie sollte die 880 Yards laufen. Gott sei Dank musste ich das nicht! Da es keine Wettkampfhemden für uns gab, gingen wir in ein Sportgeschäft und kauften uns rot-weiße Oberteile, die einigermaßen zum Rot der Lynchburg College Hornets passten.

      Es ist mir peinlich, das zuzugeben, aber in der Zeit war ich auch Teilnehmerin des Schönheitswettbewerbs Miss Lynchburg. Ich fand, dass alle Schönheitswettbewerbe nur dumm waren und sagte das auch eines Abends während des Essens zu meinen Freundinnen. Unter ihnen war auch meine Mitbewohnerin, Hockeymitspielerin und beste Freundin Ronette ­Taylor, die meine radikalen Ansichten über Frauenrechte teilte. Meine Freundinnen buhten mich aus, die Schönheitswettbewerbe hätten sich geändert, sie würden heutzutage Interviews beinhalten und die Beurteilung von Talent, außerdem könnte man Stipendien gewinnen, Reisen, schöne Kleider und ein paar Wochen lang ein nagelneues Auto fahren. Als wir wieder in unserem Zimmer waren, meinte Ronnie, ich wäre verrückt, mich nicht zu bewerben, ich hätte ebenso gute Chancen wie die anderen. Ich schätzte ­Ronnies Urteilsvermögen, und schließlich hatte ich diese Abendkleider! Also nahm ich am Wettbewerb teil.

      Schönheitswettbewerb und Laufwettbewerb sollten am selben Tag stattfinden. Nach dem Lauf am Nachmittag würde ich duschen, mich umziehen und bereit sein für den Schönheitswettbewerb. Das hatte ich schon unzählige Male in der Highschool im College gemacht: Ich hatte Hockey gespielt oder Basketball, mich dann umgezogen und war dann »glamourös« zum Tanzen gegangen. Für mich war das nicht weiter ungewöhnlich. Die Medien, meine Mitschülerinnen und die Öffentlichkeit sahen das anders.

      Es fing ganz harmlos an, als ein freundlicher Typ vom Pressebüro des Colleges beim Lauftraining erschien und ein paar Fotos von mir machte. Er schickte sie an die Lokalzeitungen von Lynchburg, die die Termine für die bevorstehenden Ereignisse veröffentlichen sollten. Plötzlich wurde daraus ein großes lokales Ereignis. Ein Mädchen würde im Team der Jungen mitlaufen, und zwar eine ganze Meile! Als ob das Laufen einer Meile gleichbedeutend wäre mit der Besteigung des Mount Everest. Sogar mein Wunsch, Mädchen sollte der 3-Meilen-Lauf erlaubt sein, wurde in einer Zeitung ­zitiert. Die Drähte im Campus glühten. Manche fanden den Vorschlag gut und bewunderten meinen Mut, andere flüsterten düster, dass das Laufen einer Meile gefährlich sei und mich in einen Mann verwandeln könne (schlimmer noch, in eine Lesbierin!). Die Typen, die mir so anzüglich hinterhergeschrien hatten, lästerten, ich würde mit den Läufern schlafen, warum sonst wäre ich in Shorts mit ihnen auf der Bahn? Ich war am meisten unter Beschuss, weil die Geschichte über mein Laufen zuerst kam, aber Marty bekam auch ihren Teil ab. Meine engsten Freundinnen aus meinem Jahrgang und auch noch fünf Mädchen aus meinem Wohnheim, außerdem Mr. Barrett, Wilma ­Washburn, eine Lehrerin, sowie Robert traten lautstark für mich ein, und so konzentrierte ich mich auf sie und blendete den Rest aus.

      Als die Zeitungen von den Veranstaltern des Schönheitswettbewerbs erfuhren, dass ich unter den Finalistinnen war, ging die Meldung an die Tageszeitung Richmond Dispatch und an die Nachrichtenagenturen. Am nächsten Tag stand sie in allen Zeitungen. Mein Dad las morgens beim Frühstück die Washington Post, aus der ihn mein Foto ansprang. Ich hatte meine Eltern nicht angerufen, um sie nicht damit zu belästigen.

      Der erste Lauf war am Donnerstag, der zweite am darauffolgenden Sonnabend, und als Marty und ich am Start standen, waren wir doch sehr unvorbereitet auf die Menschenmassen. Anscheinend waren alle Studenten gekommen, mehr als zum Fußball! Die armseligen Tribünen waren rappelvoll, und die Zuschauer standen reihenweise an der Mauer auf dem Hügel. An der Start- und Ziellinie sowie an den Kurven der Bahn standen viele Kameras auf Stativen. Irgendwo waren auch meine Eltern, die beschlossen hatten, lieber gleich selbst mit dem Auto aus Washington zu kommen, um mit eigenen Augen zu sehen, was da los war.

      Ich hatte dem Trainer eine Zusage gegeben, und jetzt hatten wir hier die Reporter von sonstwoher, sogar von der New York Times und der Herald ­Tribune, dazu von etlichen Fernsehsendern. Und ich war noch nie zuvor eine Meile auf Zeit gelaufen! Tatsächlich wurde von mir auch nur erwartet, ­irgendwie anzukommen, und hier waren nun diese Menschenmengen und erwarteten – was? Dass ich gewann? Dass ich zusammenbrach?

      Mike Lannon hatte frappierend genau gerechnet. Ich lief so schnell, wie er gesagt hatte, und war nach fünf Minuten und achtundfünfzig Sekunden im Ziel. Ich war wie erwartet die Letzte, aber ich holte die Punkte. Dann lief Marty die 880 Yards, und besiegte einen Jungen vom Frederick College im Zielsprint! Das war fantastisch, denn die Menge sah plötzlich, dass wir Mädchen nicht nur einfach ein bisschen Joggen konnten – Mädchen konnten laufen! Wir waren begeistert, dem Team geholfen zu haben, und wussten nicht, dass wir Geschichte schrieben. Die Zeitung Lynchburg News berichtete, unser College in Virginia sei mit zwei Läuferinnen im Männerlaufteam »eine der wenigen Einrichtungen des Landes, wo Mädchen und Jungen unter denselben Voraussetzungen an Wettkämpfen teilnehmen«. Es war aber nicht das erste Mal, dass ein Mädchen, den Regeln der Dixie Conference entsprechend, an einem Wettkampf teilnahm. 1964 hatte das Charleston College bereits eine Sprinterin in einem kleinen Team aufgestellt.

      

      23. April 1966: Keiner von uns im College in Lynchburg war auf das Interesse der Medien vorbereitet, als durchsickerte, dass Mädchen in einer Jungenmannschaft antreten würden. Berichterstatter des NBC-Fernsehens und der MGM-­Wochenschau standen am Ziel.

      Beim Schönheitswettbewerb am Sonnabend nach dem Lauf musste ich meine geschwollenen Füße in hochhackige Schuhe zwängen und stundenlang darin herumstehen. Das war der Todesstoß für meine Zehennägel, die ich schon in zu kleine Spikes gezwängt hatte, die ich bei den Läufen trug. Später wurden die Nägel schwarz und fielen ab. Ich dachte, ich hätte so etwas Ähnliches wie Wundbrand. Das war der Beginn ständiger Fußprobleme in den nächsten zehn Jahren.

      Als »Talent« für den Schönheitswettbewerb hatte ich das Akkordeonspiel gewählt. In den Zeitungen hieß es: »Nachdem Kathy Switzer ihre Füße auf der Bahn malträtiert hatte, malträtierte sie das Akkordeon beim Schönheitswettbewerb.« Ich spielte pflichtschuldig »Lady of Spain« oder eine ähnliche für das Akkordeon geeignete Melodie, was, wie man sich vorstellen kann, niemanden interessierte, zumal ich mit schmerzverzerrtem Gesichtsausdruck musizierte. Ich gewann den Titel »Miss Lynchburg« nicht und habe nie wieder Akkordeon gespielt.

      Der Trubel ging weiter – von überallher kamen Briefe. Fanpost von meinen früheren Schulkameraden, von Verwandten, Marines von Quantico wollten sich mit mir verabreden, GIs aus Vietnam wollten mir schreiben, und ein Fleischer aus Alabama machte mir unumwunden einen Heiratsantrag. Ich verteilte die Briefe päckchenweise an meine Mitbewohnerinnen, und wir ergötzten uns daran. Außerdem gab es noch die Hasspost, meistens von Menschen, die