Glenn Stirling

Roman Paket 9 Glenn Stirling Liebesromane für den Strand


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der Freihafen. Auf zu Gott, Leute, im Himmel gibt es Zigarren.“

      Die Türen knallten zu und da ertönte schon das Martinshorn, zuckte das Blaulicht der beiden Lampen auf dem Dach. Willi fuhr los, auf die Straße links ab und dann mit Sirenengeheul in Richtung Freihafen.

      „Herr Doktor, ich habe den Anruf angenommen, weil Sie noch nicht dagewesen sind“, sagte Willi, während er Slalom um die Autos herumfuhr und sich die Durchfahrt erkämpfte, um voranzukommen. „Da ist irgendein Dach eingestürzt. Die Feuerwehr ist schon dort. Aber unter dem Dach sind Leute. Ich habe gesagt bekommen, es sei ein Einsturzunglück mit sehr vielen Verletzten. Nach ersten Angaben sind es mindestens vierzig. Aber ein Teil der Leute, die sich noch unter dem Dach befinden, sollen infolge giftiger Dämpfe brennender Farbe Vergiftungserscheinungen haben. Jedenfalls ist die Feuerwehr dort, wir werden, ja sehen.“

      „Prost Mahlzeit“, murmelte Dr. Preiß. „Da fängt der Tag wieder richtig prima an.“.

      „Ach was, Herr Doktor“, sagte Willi, „die Feuerwehr ist schon da und andere Rettungswagen ganz sicher auch. Bei uns geht es sicherlich nur um die Leute mit den Rauchvergiftungen. Wir sind ja vom internistischen Notfall. Das Schlimmste haben die Kameraden von der chirurgischen Rettung.“

      „Abwarten und Tee trinken“, meinte Preiß, der ja auch nicht zum ersten Male im Notdienst arbeitete.

      Marita grauste es, wie jedes Mal vor Katastropheneinsätzen. Sie musste an die Menschen denken, die es da erwischt hatte.

      „Hoffentlich ist es nicht ganz so schlimm!“, murmelte sie.

      „Na ja, lassen Sie mal, Schwester, wir sind ja auch noch da.“

      Als sie dann aber in die Nähe der Unfallstelle kamen, wo es von Feuerwehren und Rettungswagen nur so wimmelte, wo Leute aufgeregt hin und herliefen und dicke Qualmwolken aufstiegen, da bekam Marita Angst. Ihr ging es jedes Mal so und sie hatte Sekunden damit zu tun, ihre Angst niederzuhalten und daran zu denken, welche Aufgabe sie erfüllen musste, dass Menschen ihre Hilfe brauchten.

      Und mit einem Male wich die Angst und sie dachte nur noch an ihre Pflicht.

      11

      Die Lagerhalle der Orbis-Farben-Werke gehörte zu den ältesten im Freihafengebiet. Eine vollkommen neue Lagerhalle war nebenan im Bau.

      In der alten Halle lagerten die Farbfässer, die für den Export bestimmt waren. Das Dach des alten Gebäudes wurde von mehreren Säulen gestützt. Einige hatten schon längst Risse und die Firma war bereits mehrmals von der Baupolizei aufgefordert worden, das Gebäude zu räumen.

      Die Firma hatte das bis zur Fertigstellung des Neubaus mit Einverständnis der Baupolizei hinausschieben können. Doch jetzt war das eingetreten, was die Fachleute der Baupolizei befürchtet hatten. Zwei der gewaltigen Träger der Dachkonstruktion hatten sich gesenkt, einer war später aus seiner Lagerung gerutscht und eine der gewaltigen Säulen, die zur Abstützung des Daches dienten, hatte nachgegeben. Vor einigen Tagen noch wurde gleich nebenan am Neubau eine Klärgrube angelegt und dabei musste mit Presslufthammern unmittelbar neben dem alten Gebäude gearbeitet werden. Vielleicht war dies die Ursache, vielleicht gab es auch andere Gründe für den plötzlichen Einsturz, der am frühen Morgen, kurz nach fünf Uhr, erfolgt war.

      Plötzlich war nämlich der zweite gewaltige Träger der Dachkonstruktion abgesackt und das Dach rutschte und stürzte auf die gerade zum Schichtbeginn eingetroffene Mannschaft der Schauerleute, die mit dem Verladen der Fässer auf das direkt an der Pier liegende liberianische Schiff Star of Africa beginnen sollten. Die Verlademannschaft war zweiundvierzig Mann stark, eingeschlossen die Lagerarbeiter, die hier immer beschäftigt wurden. Die große Zahl an Leuten erklärte sich ganz einfach daraus, dass ein Verladen von verschiedenen Fässern mehr Handarbeit erforderte, als dies gewöhnlich der Fall war. Überdies befanden sich zum Augenblick des Unglücks wegen des Regens noch einmal neunundzwanzig Schauerleute unter dem Vordach der Lagerhalle, direkt an der Pier. Sie hatten sich da untergestellt, nachdem ihr Jollenführerboot sie dort abgesetzt hatte. Sie sollten beim Löschen eines Küstenmotorschiffes mitwirken, das aber doch nicht an der Pier festgemacht war. Durch einen glücklichen Umstand fing sich das Dach an einer Ecke, sodass es nicht glatt herunterstürzte, sondern nur mit einer Seite aufschlug. Etwa vierzig Menschen gerieten aber unter das Dach. Die anderen konnten sich retten, bevor es dann endgültig niederstürzte und alles unter sich begrub.

      Innerhalb kürzester Zeit gelang es den Rettungsmannschaften der Feuerwehr und der Hafenmeisterei, dreißig Schauerleute und Lagerarbeiter, die verletzt unter den Trümmern lagen, sofort zu befreien und ins Hafenkrankenhaus, aber auch in die Universitätskliniken zu schaffen. Etwa zehn Verletzte oder womöglich gar Tote mussten sich noch unter den Trümmern befinden.

      Als die Rettungsarbeiten schon in vollem Gange waren, kam es durch einen Kurzschluss der noch vorhandenen elektrischen Leitungen zur Explosion leicht entzündlicher Gase, die aus aufgerissenen Farbfässern stiegen.

      Obgleich es der Feuerwehr relativ schnell gelang, das offene Feuer zu löschen, drangen doch dicke Qualmwolken unter die Trümmer und hielten sich darin fest.

      Mit langen Rohrsonden versuchte die Feuerwehr Frischluft unter die Trümmer zu blasen, während sie an einer anderen Stelle den Rauch absaugte. Schwere Unglücksfälle ereigneten sich im Hafengebiet bedauerlicherweise öfter als in anderen Industriegebieten. Für derartige Fälle gab es einen Katastrophenplan der Rettungszentrale, der schon oft genug seine Bewährungsprobe bestehen musste. Nach diesem Plan wurden zuerst die Verletzten in die nähergelegenen Krankenhäuser gebracht. Leichter Verletzte schaffte man in die entfernteren Kliniken und um die ausgesprochen schwersten Fälle musste sich das Ärzteteam des Hafenkrankenhauses kümmern.

      Schwester Marita kannte diesen Einsatzplan und wusste, wie sich alles abspielen würde. Nachdem der Rettungswagen durch die Absperrung von Polizei und Feuerwehr gefahren war, rollte er in nächste Nähe des eingestürzten Lagerhauses.

      Das ganze Dach des Gebäudes war niedergestürzt, eine der Seitenmauern seitwärts weggekippt, und die Trümmer lagen weit über hundert Meter verstreut. Männer des Technischen Notdienstes und der Feuerwehr versuchten mit Hilfe von zwei Planierraupen wenigstens eine größere Gasse zu bahnen, damit die Feuerwehrfahrzeuge noch näher an die Unfallstelle herankonnten und damit auch ein Weg geschaffen wurde für zwei riesige Kranwagen, die mittlerweile herbeigeholt worden waren, damit sie beginnen konnten, das Dach anzuheben.

      Dem Rettungsgesetz nach hatte ein chirurgischer Notarzt das Kommando über alle ärztlichen Maßnahmen, die an der Unfallstelle ergriffen wurden. Dieser Notarzt, der schon erheblich früher als Dr. Preiß zur Unfallstelle gekommen war, gehörte ebenfalls dem Team des Hafenkrankenhauses an und arbeitete als Stationsarzt in der chirurgischen Abteilung. Marita kannte Dr. Eduard Sanders und wusste von seinem Ruf als hervorragender Chirurg. Er war ein Mann Ende dreißig und sein dunkles Haar war an den Schläfen schon ergraut.

      Im Augenblick trug er einen gelben Stahlhelm und sein ehemals weißer Arztanzug war schwarz von Schmutz und rot von Blut, sein Gesicht von Schweiß und Dreck gezeichnet. Als Schwester Marita, Dr. Preiß und der Rettungssanitäter Willi ihr Fahrzeug verließen, stieg Dr. Sanders gerade aus dem Klinomobil, in dem schon operiert wurde.

      Dr. Sanders kam Harald Preiß entgegen und rief: „Sie kommen genau richtig. Im Augenblick sind noch acht Mann unter dem Dach. Bei zweien muss eine Amputation erfolgen. Das ist besonders deshalb schlimm, weil alle