Glenn Stirling

Roman Paket 9 Glenn Stirling Liebesromane für den Strand


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in den Zeitungsartikel. Aber lange hatte er nicht die Muße dazu. Dr. Fink, der Oberarzt der Intensivstation, rief an und bat ihn, nach einer Patientin zu sehen, der es sehr schlecht ging.

      „Ich komme“, ächzte Gött, legte auf und stemmte sich von seinem Stuhl hoch. Mürrisch brummte er: „Na, dann mal ab die Post ...“

      Ina verließ die Klinik pünktlicher als sonst, fuhr rasch nach Hause, wo sie von ihrer verwundert dreinblickenden Tante Hilde mit den Worten empfangen wurde:

      „Du bist schon da, Kind?“

      „Ja, das bin ich, wie du siehst“, entgegnete Ina knapp.

      „Na hör mal, eine Laune hast du wieder. Du könntest doch so froh sein.“

      Ina gab ihrer Tante keine Antwort, ging ins Esszimmer und war froh, dass dort niemand war. Sie hatte sich ein paar Telefonnummern aufgeschrieben, setzte sich an den Tisch, zog das Telefon zu sich heran, nahm den Hörer ab und begann zu wählen.

      Tante Hilde hatte sich lautlos der Tür genähert und stellte verärgert fest. dass die nicht angelehnt, sondern verschlossen war. Das hinderte Tante Hilde aber nicht daran, das Ohr an die Tür zu legen und zu lauschen. Irgendetwas, sagte sich die Frau, ist mit Ina passiert. Wieso will sie sofort telefonieren?

      Sie musste wissen, worum es ging. Aber dann sprach zu ihrer Enttäuschung Ina Französisch und mit dieser Sprache hatte sie trotz der Anwesenheit der gebürtigen Französin Marie ihre Probleme. Vor allen Dingen, wenn es so schnell gesprochen wurde und so fließend, wie das Ina tat. Sie verstand nur einzelne Wörter, begriff aber den Zusammenhang nicht.

      Nach einer Weile war Pause, doch dann schien Ina wieder zu wählen, das konnte sie deutlich durch die Tür hören. In der Hoffnung, nun doch noch etwas zu erfahren, lauschte sie weiter.

      Da sprach Ina zu Tante Hildes große Enttäuschung plötzlich Englisch.

      Das konnte Tante Hilde schon etwas mehr begreifen, aber dennoch entging ihr der Sinn des Gesprächs. Nur so viel verstand sie, dass es um Dr. Kluge zu gehen schien, denn diesen Namen erwähnte Ina immer wieder.

      Tante Hilde hätte wahrscheinlich noch länger gehorcht, hätte sie nicht plötzlich ein Räuspern von der Treppe her gehört, was sie zusammenschrecken ließ. Sie ging sofort von der Tür weg, schaute verlegen zur Treppe, wo Marie stand. „Och“, meinte sie, „ich habe mir eingebildet, wir hätten den Holzwurm in der Tür, es knackt da immer so.“

      Marie hatte das Wort Holzwurm noch nicht gehört, versuchte zu begreifen, was es bedeutete. Aber mit ihrem feinen Gespür für das, was wirklich war, ahnte sie, was sich hier wirklich abgespielt hatte. Sie lächelte und sagte mit ihrem zarten Akzent: „Was ist Holzwurm?“

      „Ein kleiner Wurm, der im Holz herumkriecht. Davon geht das Holz kaputt, und die Türen sind nicht einmal alt.“

      Marie war fast sicher, dass Tante Hilde nur gehorcht hatte, wollte sie aber nicht in Verlegenheit bringen und sagte: „Mein kleine Chou Chou wird nicht mehr satt. Ich muss jetzt auf die Flasche gehen.“

      Sie nannte ihre kleine Marie Chou Chou. Das klang so reizend, dass Tante Hilde immer schmunzeln musste, wenn Marie das sagte.

      „Aber die Ärztin hatte doch gesagt, dass du eine Flasche dazugeben kannst. Marie wächst gut, das ist doch schön.“ Marie blickte auf ihre Armbanduhr. „Thomas ist noch nicht zurück. Ich werde bald wahnsinnig. Er ist so lange heute weg. Er hat mir erzählt, dass er auf dem Rückweg ein Auto reparieren will. Ich sollte nicht mit dem Abendbrot auf ihn warten. Aber Opa ist auch noch nicht da.“

      Marie war ans Fenster getreten und schaute hinaus. „Es ist viel Regen hier in Hamburg, viel mehr als bei mir zu Hause in Frankreich.“

      „Ja, das ist nun mal so. Aber nichts bleibt hier lange. Und das Barometer steigt, pass mal auf, morgen wird es schön. Und glatt auf den Straßen, sie haben Frost angesagt, ich habe es vorhin in den Nachrichten gehört.“

      Bevor Marie etwas darauf erwidern konnte, ging die Tür zum Esszimmer auf, und Ina trat heraus. Überrascht, dass die beiden hier standen, grüßte sie Marie, blickte dann auf Tante Hilde und sagte:

      „Ich erwarte einen wichtigen Anruf. Ich werde hier unten bleiben. Und wenn er kommt, dann bitte ich euch, mich nicht zu stören.“ Sie schaute wieder auf Marie. „Nimm es mir nicht übel, aber bring bitte deine kleine Tochter nicht herunter, wenn ich telefoniere. Es ist ein Auslandsgespräch mit einer sicherlich schwierigen Verständigung.“

      Tante Hilde ahnte sofort, woher dieser Anruf kommen würde. „Ruft Doktor Kluge aus der Türkei an?“, fragte sie prompt.

      „Es kann sein, dass er es tut. Auf alle Fälle hat man mir zugesagt, dass er oder jemand anderer mich anrufen wird. Es ist nicht so einfach, sie haben dort nur eine Funkverbindung.“

      „Wenn du willst, kann ich dir etwas zu essen zurecht machen“, bot sich Tante Hilde an. „Ich setze es dir neben das Telefon, dann kannst du dort essen. Die anderen sind ja noch nicht da und ich weiß nicht, ob wir warten sollen. Thomas kommt viel später.“

      Ina nickte nur und verschwand wieder im Esszimmer.

      „Was sie nur hat?“, meinte Tante Hilde. „Sie könnte doch froh sein, dass er noch lebt.“

      „Ich verstehe sie schon“, behauptete Marie. „Sehnsucht nach einem, der einen liebt, ist schlimmer als Heimweh.“ „Na ja, du musst es ja wissen“, stimmte ihr Tante Hilde zu. „Du hast das ja alles schon erlebt.“

      Plötzlich schellte drinnen das Telefon. Am liebsten wäre ja Tante Hilde hineingelaufen, aber sie beherrschte sich und wartete in der Küche. Marie leistete ihr Gesellschaft.

      Nach einer ganzen Weile tauchte Ina plötzlich in der Küche auf. „Tante“, sagte sie, „hast du zufällig meine blaue Bluse schon fertig?“

      „Nein, Kind, die hängt noch auf dem Speicher, die ist noch nicht trocken. Warum fragst du?“

      „Werde ich eine andere nehmen“, erklärte Ina und wandte sich um. Über die Schulter sagte sie im Gehen:

      „Ich fliege noch heute Abend über Frankfurt nach Ankara. In zwei Stunden geht meine Maschine. Aber du brauchst dich um nichts zu kümmern, ich komme schon zurecht. Oder doch, eine Bitte habe ich. Hast du vielleicht etwas Bargeld im Haus? Ich habe nur Schecks und fünfzig Mark, das wird nicht reichen. Vielleicht kannst du mir mit etwas Bargeld aushelfen. Ich kann dir einen Scheck dafür geben, wenn du willst.“

      „Aber Ina, du kannst so viel bekommen wie du willst. Ich habe fast dreitausend Mark in meiner Sparbüchse.“ „Dreitausend Mark in der Sparbüchse? Aber Tante Hilde“, rief Ina bestürzt, „so etwas schafft man doch auf die Bank!“

      „Trau schau wem“, meinte Tante Hilde, „es sind alles Fünfmarkstücke.“ „O du lieber Gott! Wer soll die mit sich herumschleppen?“

      „Ich kann dir fünfhundert Mark geben, wenn du willst“, sagte Marie, lachte und fügte hinzu: „Aber in Scheinen.“ „Na, wenn dir mein Geld nicht gut genug ist“, rief Tante Hilde pikiert. „Hier in diesem Haus kann man tun, was man will, man macht es keinem recht“, und verschwand in ihrer Küche.

      Der einundachtzigjährige Großvater Inas war nach Hause gekommen und sein erster Gang führte ihn schnuppernd in die Küche. Seine Tochter stand am Herd und rührte in einer Pfanne.

      „Riecht gut, was gibt es?“, wollte der alte Herr wissen.

      „Rührei. Muss schnell gehen, Ina will weg.“

      „Ina will weg? Schon wieder in die Klinik?“

      „Nein, Ina will in knapp zwei Stunden in die Türkei fliegen.“

      „In die Türkei, zu Bernd?“

      „Sieht so aus.“

      „Aber da kann sie doch nicht hin, wo er ist. Ich habe doch im Fernsehen gesehen, was sich da abspielt.“

      „Sag