Glenn Stirling

Roman Paket 9 Glenn Stirling Liebesromane für den Strand


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gegangen war, saß Dr. Wolf noch lange an seinem Schreibtisch und überlegte. Einem plötzlichen Impuls nachgebend, hob er den Hörer vom Telefon und wählte eine Nummer.

      Eine weibliche Stimme meldete sich:

      „Alwin Peschke und Co.“

      „Wolf, geben Sie mir bitte die Privatwohnung.“

      „Augenblick, Herr Doktor ...“

      Nach kurzer Zeit meldete sich wieder eine Frauenstimme.

      „Peschke.“

      „Hier ist Gert. Bist du es, Inge?“

      Die Frau am anderen Ende der Leitung lachte.

      „Aber nein, lieber Gert, wann endlich kannst du unsere Stimmen unterscheiden? Hier ist deine gefürchtete Schwiegermama höchstpersönlich.“

      Sie lachte wieder.

      „Gefürchtet ist gut. Ist Inge nicht da?“

      „Nein, das heißt, sie war da, aber nun ist sie schon wieder weg.“

      „Mit dem Wagen? Ich meine: War sie vorhin mit dem Wagen weg?“

      Die Frau lachte wieder.

      „Eifersucht?“

      „Nein, es ist nur eine Frage. Ich meine, Inge unterwegs gesehen zu haben. Bitte sag mir, ob sie mit dem Mercedes weggewesen ist.“

      „Ja, aber jetzt ist sie mit dem Vertreter-VW unterwegs. Sie sagte, am Mercedes wäre was nicht in Ordnung. Ich habe dafür wenig Verstehste-mich. Gert, jedenfalls steht er in der Garage.“

      „Danke, und wie geht es sonst?“

      „Na, du bist gut, Gert. Ich komme mir vor wie ein Witwe. Meinen Mann sehe ich nur am Wochenende, und selbst dann ist er kaum ansprechbar, den Schwiegersohn sieht man auch nur an und ab, und Inge redet auch nur noch vom Geschäft wie ihr Vater, seit sie in der Firma ist. Kommst du heute Abend? Die Schnitzlers sind da und die Bauers. Ich glaube, es würde dir gut tun, wenn du mal was anderes siehst als nur Kranke.“

      „Ja“, erwiderte er zögernd, „ja, ich werde versuchen, dass es klappt, dann komme ich. Grüß bitte Inge und Vater von mir.“

      „Dann bis heute Abend, Gert! Ich freue mich, wenn du wieder mal zu uns kommst, du rarer Schwiegersohn in spe.“

      *

      EINE STUNDE LANG HATTE Dr. Gert Wolf noch Notarztwagen-Dienst. Doch es schien für heute glimpflich abzugehen. Die Fahrer im Bereitschaftsraum hatten den Polizeisender angeschaltet und hörten zu, was sich die Beamten in den Leitstellen und den Streifenwagen zu sagen hatten.

      Dr. Wolf kam gerade herein und hörte eine Durchsage mit.

      „Georg an alle. Georg an alle. Algier 26 ... mausgrauer Mercedes 220 S, leicht beschädigte hintere Stoßstange, rote Polster. Kennzeichen unbekannt. Fahrerin hellblond, blaues Kleid oder Bluse. Fahrzeug bog aus Viktoriastraße gegen 10 Uhr 15 nach links in die Ferenburger Straße ein, ohne Vorfahrt zu beachten. Verursachte schweren Verkehrsunfall mittelbar. Fahrerin beging Fahrerflucht. Der Wagen wurde am Rondell Herzogplatz vom Verkehrsposten gesehen und ist in Richtung Berliner Straße weitergefahren. Die Verkehrskontrolle am Luxemburger Ring hat er nicht passiert. Es besteht der Verdacht, dass dieses Fahrzeug sich noch im Bereich der Berliner Straße befindet. Besondere Aufmerksamkeit für Georg 23 und Georg 14. Ende.“

      Dr. Wolf verließ mit gemischten Gefühlen das Zimmer. Und der Verdacht, es könnte Inge gewesen sein, verdichtete sich bei ihm immer mehr. Inge als Unfallstifterin. Inge, die Fahrerflucht beging. Seine Braut Inge Peschke.

      *

      ALWIN PESCHKE WAR DAS, was man Mann mit Erfolg nennen konnte. Anzusehen war ihm das auch. Sein Körperumfang hatte beträchtlich zugenommen. Abgenommen hingegen hatte der Haarwuchs, hier klafften große Lücken. Seit einigen Jahren trug Peschke eine Brille, allerdings nahm er sie sofort ab, wenn er sie nicht unbedingt brauchte.

      Eine Zementfabrik gehörte Peschke. Er bestimmte die Preise dort. Er besaß auch neun Bimsgruben, und dort Bagger, Raupen, Fertigungsanlagen für Presssteine, Hohlblocksteine und Platten. Eine Ziegelei gehörte Peschke.

      Dann kamen die Autobahnneubauten. Peschke stieg groß ein. Geld kam zu Geld. Die Stadtverwaltung entdeckte ihn endlich. Bisher hatte die Firma Ritter das Material für Stadtbauten geliefert. Die Mannschaft, die von ihm Lohntüten bezog, wuchs auf fünfhundert Mann, nicht gerechnet die mehr als dreihundert Ausländer, die für ihn in den Bimsgruben Platten, Steine und Hohlblöcke fertigten.

      Peschke wurde Stadtrat. Peschke wurde zum Mäzen für Kunst und Wissenschaft, indem er die Renovierung des Albert-Museums zum Selbstkostenpreis mit Baumaterial belieferte. Oder das neue Gymnasium, das ebenfalls ohne Gewinn für ihn von seinen Baustoffen errichtet werden konnte.

      Und bei Peschke stieg der Blutdruck. Die Zeit, sich einmal gründlich vom Arzt untersuchen zu lassen, hatte Peschke nicht. Er hatte überhaupt nie Zeit. Die vielen Mitarbeiter brauchten ständige Beschäftigung. Das hieß: Aufträge sammeln. So etwas erledigte Peschke selbst.

      Er musste Essen geben, Parties veranstalten, oder, wie er es nannte, „Butter bei die Fische tun“.

      Ein Glück, dachte er oft, dass seine Tochter Inge so tüchtig mithalf. Und ob sie das tat. Ihr lagen Ministerialdirektoren zu Füßen. Regierungsräte rollten verliebt die Augen, wenn Inge mit ihnen verhandelte.

      Aber jetzt diese Party seiner Frau. Nein, sagte er sich, hier ist auch absolut keine einzige Mark zu verdienen. Und dann noch im dunklen Anzug, Kerzenlicht und diesen ganzen Quatsch, den er so hasste. So etwas tat doch kein vernünftiger Mensch in der wirklich freien Zeit. Sagte sich jedenfalls Herr Peschke.

      Gelangweilt blickte er auf die kalten Platten, die seine Frau auffahren ließ.

      Wo Inge nur blieb? Hatte Helene nicht gesagt, Gert würde kommen? Helene war übrigens seine Frau. Und Gert? Na ja, ein anderer Schwiegersohn wäre ihm lieber gewesen. Arzt! Wie konnte ein vernünftiger junger Mensch nur Arzt werden? Peschke schüttelte verständnislos den Kopf. Nachts raus, immer bei kranken Menschen, Not und Elend ringsum. Nee, dachte Peschke. Not und Elend sind nichts für unsereiner. Aufbauen, Steine, Zement, Lastwagen, Straßen, Häuser, Brücken, das zeigte doch etwas, das gab doch ein Bild ab. Und man sah etwas dafür. Gute harte Markstücke. Na ja, so hart waren sie auch nicht mehr wie einst im Mai, aber ... Lassen wir das. Also Arzt ist er, wird er wohl auch bleiben. Wenn kein Wunder geschieht, sagte sich Peschke, verdient er mit siebzig nicht viel mehr als jetzt. Menschenskind, und wo doch das Geld auf der Straße liegt, im wahren Sinne des Wortes. Und dann Arzt.

      Nee, also der richtige Schwiegersohn ist das nicht. Ein Kaufmann wäre ihm lieber gewesen oder der lange Dürre, der ihm den Lieferungsauftrag für die neue Rheinbrücke bei Köln für die Konkurrenz weggeschnappt hatte, dieser – na, wie hieß er denn gleich? – ach ja, Sievertz! Ja, dieser dürre Sievertz, das war schon ein cleverer Junge. Zwar ein bisschen alt für Inge mit seinen vierzig Lenzen, aber was hieß das denn? Mit vierzig fängt das Leben erst richtig an. Mein Gott, und nach dem Aussehen geht man sowieso nicht, wenn einer so clever ist wie dieser, dieser... Sievertz, richtig! Den Namen sollte man sich merken. Ist auch noch Junggeselle, da hatte sich Peschke schon erkundigt. Ja, und statt dessen will Inge diesen Arzt heiraten. Wenn der wenigstens Oberarzt wäre oder Chefarzt, aber das ist er nicht mal. Na ja, hat auch ein paar Jahre als Schiffsarzt vertrödelt. Meine Güte, wie diese Menschen sich nur ihre Zukunft vorstellen. Als würden sie tausend Jahre alt. Und dann sein Schwiegersohn.

      Er holte sich eine Zigarre aus der Schachtel, biss sie ab und zündete sie sich an. Bekam ihm neuerdings auch nicht mehr so recht. Wie mit dem Alkohol. Anschließend hatte er immer solches Herzklopfen. Ach was, wird schon wieder vorübergehen.

      Seine