Glenn Stirling

Roman Paket 9 Glenn Stirling Liebesromane für den Strand


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befand mich am Tage des Unfalls zwischen 9 und 12 Uhr ununterbrochen in meinem Gastraum. Gegen 10.30 Uhr hielt ein grauer Mercedes vor meiner Tür. Ihm entstieg eine junge, blonde Dame. Der Wagen hatte rote Polster. Die junge Dame bestellte einen Kaffee, wünschte aber auch zu telefonieren. Ohne auf den Kaffee zu warten, ging sie in die Zelle, die sich gleich neben dem Büfett in meinem Gastraum befindet. Wenn ein Gast in der Zelle nicht ausgesprochen leise spricht, kann man ihn ungewollt auch hinter dem Büfett hören. Die Dame sprach laut genug, dass ich sie verstehen konnte. Sie rief offenbar, wie ich meine, bei der Polizei an. und wollte wissen, ob es bei dem Unfall an der Ecke Viktoriastraße – Ferenburger Straße Verletzte oder Tote gegeben habe. Sie sagte, sie sei von einer Zeitung. Dann legte sie auf, bezahlte Telefon und Kaffee, und ging, ohne den Kaffee getrunken zu haben. Ich habe Anzeige erstattet, nachdem ich abends die Zeitungsmeldung über den Unfall mit Fahrerflucht gelesen hatte. Unterzeichnet: Siegfried Heuer.“

      Kommissar Glanz sah Dr. Wolf in leisem Triumph an.

      „Na, Herr Doktor, was habe ich gesagt?“

      „Ich glaube es nicht“, erwiderte Dr. Wolf überzeugt. „Ich kann das nicht glauben, was dieser Cafétier behauptet. Sie hat es wirklich nicht gewusst.“

      Glanz lächelte.

      „Dann ist noch etwas, Herr Doktor. Fräulein Peschke wurde am Nachmittag, also gestern, bei der Firma Ritter erwartet. Sie war für eine Besprechung angekündigt. Gegen Mittag aber sagte sie telefonisch ab, und zwar mit der Begründung, sie sei durch einen Besuch verhindert. Tatsächlich aber ist Fräulein Peschke am Nachmittag mit einem der Firmenlastwagen mitgefahren, und zwar nach einer Baustelle irgendwo in der Gegend von Ramsdorf. Dort war sie im Büro – besser gesagt: einer Baracke – bei einem Herrn Sievertz. Dieser Herr Sievertz behauptet seit heute Morgen, Fräulein Peschke sei schon gegen zehn Uhr früh bei ihm gewesen.“

      „Warum sind Sie zu mir gekommen, Herr Kommissar?“ fragte Dr. Wolf unwirsch.

      Der alte Herr lächelte versöhnend.

      „Lieber Herr Doktor, ich will Ihnen reinen Wein einschenken. Fräulein Peschke ist seit einer Stunde in Haft. Sie leugnet noch, aber wir wissen, dass sie die Fahrerin des bewussten Wagens ist. Der Wagen ist verschwunden, doch auch den bekommen wir noch. Das ist nicht mehr so tragisch. Von Ihnen wollte ich nur ein paar Dinge hören. Ich kenne sie jetzt. Vor allem aber bin ich gekommen, nachdem ich von Ihrer Haltung den Peschkes gegenüber gehört habe. Wie Sie auch denken mögen, eines dürfen Sie mir abnehmen: Es lohnt sich nicht, für Fräulein Peschke die Unwahrheit zu sagen. Selbst dann nicht, wenn Sie für die Dame noch gewisse – übrigens verständliche – Gefühle hegen. Fräulein Peschke hat sofort gewusst, was sie tat. Sie wollte danach dieses Verhalten verschleiern und hat auch Sie, lieber Herr Doktor, bewusst angelogen.“

      Der Kommissar erhob sich.

      „Und noch etwas: Lassen Sie sich nicht durch Drohungen irritieren. Tritt man mit einer Drohung an Sie heran, lassen Sie es mich bitte wissen. Ihnen ist sicher klar, was ich damit meine. Auf Wiedersehen, Herr Dr. Wolf!“

      „Auf Wiedersehen“, murmelte Dr. Wolf verstört.

      Er stand noch am gleichen Platz, als der Kommissar schon längst aus dem Hause war.

      *

      „NU MAN NISCHT FÜR unjut, Doktorchen, aber so jeht es nu man och nich’!“, behauptete Schwester Gerda und stemmte resolut die Arme in die Hüften. „Jetzt hab ich den Kaffee gemacht für Ihnen, nu trinken Se den man schön. Chef hin, Chef her, der hat in Wörrishofen wo ellenlang in’t Wasser gestrampelt, und Sie sind wie’n jeölter Blitz hier herumjeschnurrt. Nee, Doktorchen, wenn ’n Chef pfeift, muss man nich’ gleich losrennen. Das schadet nur die Jesundheit, Doktorchen. Trinken Se man erst den Kaffee. Mit Liebe jebraut, sag ich Sie!“

      „Ihnen!“

      „Nee, ich lerne das nich’ mehr, Doktorchen. Muttern sagte immer: ,Kind, hat se jesagt, Kind, man muss wissen, was mein und dein is', hat se jesagt. Aber mir und mich, das is’ nich’ wichtig, das sind nur Finessen, hat se jesagt. Muttern wusste Bescheid, Doktorchen. Und Kaffee kochen konnte se, da kommt mein schwarzes Gold nich’ mit. Na, nu trinken Se endlich, kalter Kaffeerauch macht schön, und schön sind Se man jenug.“

      Dr. Wolf lächelte gequält.

      „Sie sind sehr nett, Schwester Gerda. Danke.“

      Sie beugte sich etwas vor und sagte leise:

      „Nu jerade, Doktorchen, nu jerade. Wo ich doch jehört habe, dass die Polizei Ihnen Ihr Mädchen eingesperrt hat, weil se die Sache mit dem Lastwagen verschuldet hat. Se wissen ja, die junge Frau von 38, die ich vorhin in 17 jebracht hab’ zum Appendix. Aber da kann se och nich’ bleiben. Auf die Entbindung soll se, hat der Professor jesagt. Noch drei Tage, dann soll se auf die Entbindung. – Ja, Doktorchen, ich hab’ ja Ihnen Ihre Braut ’n paarmal jesehn und jesprochen, aber denken Se nur, Doktorchen, was unsereiner is’, der hat och seine Menschenkenntnis. Ich sage: Für Ihnen is' die nich’ die Richtige. Nee, Doktorchen, sagen Se man rein jar nix. Ich wüsste schon eine, die zu Sie passt, Doktorchen!“

      Dr. Wolf knurrte böse.

      „Hören Sie auf, das verdirbt mir den besten Kaffee. Sie alte Kupplerin. Den alten Bendow und die junge Assistentin von der Inneren haben Sie doch auch verkuppelt, nicht wahr?“

      Schwester Gerda plusterte sich empört auf.

      „Nu man langsam, Doktorchen. Verkuppelt, det is ’n hartes Wort! Das jeht unsereinem unter die Haut. Nee, verkuppeln, das tu ich nich’. Nur ’n bisschen bekannt jemacht hab’ ich die beiden. Na hören Se mal, is’ das ’n Verbrechen?“

      „Seien Sie still!“

      „Und sind die beiden nich’ voller Harmonie?“

      Sie strahlte stolz.

      Dr. Wolf erhob sich.

      „Der Kaffee ist prima, und Sie meinen es sicher auch herzensgut, Schwester Gerda, aber mein Privatleben, das klammern Sie bitte aus Ihrer Fürsorge aus. Und jetzt muss ich zum Chef. Danke für den Kaffee!“

      Er ging zur Tür, da hörte er noch, wie Schwester Gerda sagte:

      „Sonst is’ er ja nich’ übel, aber wenn die Laune anhält, dann Prost Mahlzeit ...“

      *

      PROFESSOR OBERWEG WAR ein lebhafter alter Herr von graziler Figur, mit schneeweißem Haar und einer im Urlaub tiefgebräunten Haut. Freundlich begrüßte er seine ihm unterstellten Kollegen, befand sich in aufgeräumter Stimmung und scherzte mit jedem der Herren. Dann bat er Platz zu nehmen.

      „Also, meine Herren, Kollege Holmann hat mir schon knapp berichtet, und wir können nachher auf die Einzelheiten kommen, doch zuvor etwas anderes. Ich habe schon vor meiner Kur gesagt, dass wir Pläne haben. Große Pläne.“

      Er räusperte sich und musterte jeden seiner acht Ärzte sehr eingehend. Dann sprach er mit sonorer Stimme weiter.

      „Sie wissen ja, der Neubau. Also das, was sich das Verwaltungsdirektorium vorstellt, ist natürlich etwas für Kleinkleckersdorf, nicht aber für ein Institut wie das unsere. Entweder wird großzügig geplant und gebaut, oder wir sollten die Flucht in die Öffentlichkeit wagen.“

      „Presse?“, fragte Dr. Holmann.

      „Natürlich“, erwiderte der Professor. „Überlegen Sie doch: Jeder Mensch in dieser Stadt kann einmal krank werden. Speziell die Chirurgie ist sehr durch diesen Wahnsinn auf den Straßen in Anspruch genommen. Wir brauchen Platz. Ich habe Aussicht auf eine Herz-Lungen-Maschine. Aber auch dafür haben wir nicht einmal Raum. Dann die Station. Hier fehlt es doch an allem. Und während ich in der Kur war, meine Verehrten, ist mir die Zeit recht lang geworden. Um dem abzuhelfen