Paul Baldauf

Projekt Golem


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      Paul Baldauf

      Projekt Golem

      London-Roman

      © 2020 Paul Baldauf

      Autor: Paul Baldauf

      Cover-Foto: TheDigitalArtist, auf www.pixabay.com, lizenzfrei

      Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

      ISBN: 978-3-347-13270-3 (Paperback)

      ISBN: 978-3-347-13271-9 (Hardcover)

      ISBN: 978-3-347-13272-6 (e-Book)

      Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

      Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

       Kapitel 1 — London, Downing Street 10

       06. Dezember 20XX

      Premierminister John Abercrombie trat vor einen Spiegel, zog die Augenbrauen hoch, blinzelte und fokussierte. Ja, das kann sich sehen lassen! Der neue anthrazitfarbene Anzug, eine Maßanfertigung, saß tadellos. Diese Mischung aus Eleganz und legerem Schnitt überzeugte ihn. Vielleicht sollte ich doch die Fliege anziehen? Seine Mundwinkel gingen nach unten. Warum besteht Hellen darauf? Fühle mich immer so eingeschnürt um den Hals. Er kniff die Lippen zusammen und schüttelte leicht den Kopf. Da hörte er die Schritte seiner Frau, die ihn um eine Handlänge überragte. Der Premierminister blickte nach unten. Seine Schuhe glänzten. Hellen, in elegantem Abendkleid, eine Perlenkette um den Hals, trat neben ihn. Sie musterte ihn und bewegte dabei den Zeigefinger hin und her.

      „Du weißt, was noch fehlt?“

      Ihr Mann atmete durch und seufzte auf. Widerstand war zwecklos. Resigniert ließ er zu, dass sie ihm beim Anziehen der Fliege half.

      „Ouch, nicht so eng!“

      Hellen half nach.

      „Ist es so besser?“

      „Wann, sagtest du, kommen sie?“

      „Gegen 19.00 Uhr.“

      „Und wer hat mir den kleinen Empfang reingedrückt?“

      Er drehte sich auf dem Absatz um und verzog verdrießlich das Gesicht.

      „Ist doch schon eine kleine Tradition mittlerweile: 6. Dezember.“

      „Der Botschafter von Indien kommt auch. Wenn du mir einen Gefallen tun willst: Unterhalte dich mit ihm. Er redet zu viel.“

      Sie betrachtete das von zahlreichen Falten überzogene Gesicht ihres Mannes, seine gedrungene Gestalt und blickte durch seine Hornbrille in grau-blaue Augen. Er sah müde aus.

      „Ist Lucie noch da?“

      „Nein, ich habe sie nach Hause geschickt. Sie hat im «State Dining Room» alles vorbereitet.“

      „Ich freue mich schon auf Christopher“, sagte er sarkastisch. Seine Gedanken verweilten bei Christopher Lloyd. Mit dem dynamischschneidigen Oppositionsführer der «Tories» lieferte er sich in den letzten Monaten heftige Debatten, im wahrsten Sinne des Wortes einen Schlagabtausch.

      „Die alte Nervensäge! Hoffentlich fängt er nicht wieder mit dem Gesetz an, das wir vor einiger Zeit endlich durchbekommen haben! Am besten, du schiebst ihm immer wieder eine Platte mit Häppchen zu, damit er Ruhe gibt.“

      „Welches Gesetz?“

      Ein Hausangestellter trat auf leisen Sohlen hinzu, entschuldigte sich und besprach sich im Flüsterton mit Frau Abercrombie. Dann trat er, einvernehmlich nickend, den Rückzug an.

      „Na, ja, dieses Gesetz über – lass mich nachdenken – «Reproduktive Forschung und Genetik-Design im Mensch-Tier-Grenzbereich» – oder so ähnlich. Mein Gedächtnis lässt nach.“

      „Klingt kompliziert.“

      Der Premierminister blies die Backen auf, trat näher, besann sich und wiegelte ab.

      „Alles halb so wild. Das Kind muss einen Namen haben. Das war die Kurzfassung. Für die genaue Bezeichnung habe ich meine Fachleute. Gar nicht auszudenken, wenn man sich um alles selbst kümmern müsste! Biologie, Naturwissenschaften, waren noch nie meine Stärke.“

      John Abercrombie brach in überraschend lautes Gelächter aus, das jedoch bald wieder versackte, wie ein Motor, dem der Sprit ausgeht. Auf dem blassen länglichen Gesicht seiner Frau, dem eine Ponyfrisur eine besondere Note verlieh, zeichneten sich Spuren von Bestürzung ab. Sie schnitt eine Grimasse.

      „MENSCH-TIER-Grenzbereich: Ist das nicht grauenhaft?“

      Ihr Mann rückte seine Brille zurecht und schüttelte entschieden den Kopf. Dabei gestikulierte er mit einer seiner breiten Hände.

      „Nein, nein – wie soll ich sagen: Die Grenzen sind ja in der ganzen Natur fließend. Kein Grund zur Beunruhigung, im Gegenteil!

      Wir haben das eingehend, lange genug, bis ins Detail diskutiert und renommierte Experten hinzugezogen. Gegenüber der Gesetzesvorlage der Vergangenheit – 2008 war das, glaube ich, noch unter einem gewissen «Gordon Brown», falls dir der Name etwas sagt, auch schon wieder ganz schön lange her – war man bezüglich dieser Thematik noch vorsichtiger. Kein Wunder, beim damaligen Stand der Wissenschaft.

      Aber irgendwann“ – er räusperte sich – „muss man die Zeichen der Zeit erkennen und voranschreiten! Wir haben es uns wahrlich nicht leicht gemacht und einen – wie ich finde – wirklich guten Kompromiss gefunden: «Freiheit der Forschung», ja! Aber innerhalb von genau festgelegten Grenzen.

      Inzwischen sind wir weiter, haben Vorurteile abgelegt. Das Potential der Anwendung solcher Forschungsergebnisse ist – wenn die Forschung erfolgreich ist, woran ich keinen Zweifel habe – kaum abzuschätzen. Ich sage nur eins: «Unheilbare Krankheiten.» Das wurde uns immer wieder eindringlich und glaubhaft versichert, dass dies der Antrieb all dieser wissenschaftlichen Bemühungen ist. Unsere Forscher werden eine neue Ära einleiten. Wenn erst einmal ein größerer Durchbruch erzielt ist, werden nach und nach immer mehr Krankheiten besiegt werden! Wir sind auf diesem Gebiet, soweit ich weiß, führend in der Welt. Da kann man schon stolz sein.“

      Nun hörten sie beide das Geräusch vorfahrender Wagen. Der Premierminister sah seine Frau an und legte einen Finger auf die Lippen.

      „Kein Wort darüber, ja? Sonst zettelt Lloyd wieder ein Wortgefecht an. Als ob es keine anderen wichtigen Themen gäbe! Ich sag’s ja, diese Tories!“

      Zwei Hausangestellte traten hinzu und bewegten sich zur Eingangstür. Es läutete. Der politische Führer seines Landes drückte sein Kreuz durch und nahm eine Haltung an, die er, in Anbetracht seiner herausgehobenen Position, für angemessen hielt. Dann winkte er seine Frau – „Hellen!“ – gravitätisch herbei. Die Eingangstür öffnete sich. Beide zeigten ein gut einstudiertes Lächeln und John Abercrombie beschrieb mit seinem rechten Arm einen Halbbogen:

      „Seien Sie willkommen, bitte, treten Sie ein. Sie sind die Ersten!“

       Kapitel 2 – London-Richmond

      Der Wecker klingelte. Madeeha schreckte auf, rieb sich die Augenlider und kam langsam zu sich. Dann stieß sie die Zudecke resolut zur Seite. Seit Beginn ihrer Arbeit in diesem Laboratorium, musste sie sich an einen ganz anderen Rhythmus gewöhnen, eine Umstellung, die ihr immer noch schwerfiel.

      Mit zwei Wörtern aktivierte sie einen Schalter: Lichter erhellten daraufhin den Raum.