Petra Pansch

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       Petra Pansch

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      © 2020 Petra Pansch

      Verlag & Druck: tredition GmbH,Halenreie 40, 22359 Hamburg

ISBN
Paperback978-3-347-19215-7
Hardcover978-3-347-19216-4
e-Book978-3-347-19217-1

      Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verdes Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

       Geheimnisse

       Mein Weg in die Stadt

       Sebnitz

       Nur mal lesen

       Führerschein

       Hirschkäfer

       Red Bull

       Moskaureise

       Toskana

       Mutig

       Lesung im Stau

       Tell-Apfel

       Georg

       Der Scheck

       Fidschi-Zigaretten

       Bierdeckel-Navi

       Unordnung kann hilfreich sein

       Der Weihnachtsmann

       Besuch in Meißen

       Kaugummi

       Schnäppchen

       Tanzstunde

       Die Nacht im Bahnhof

       So wird es nie wieder sein

       Adenauers Park

       Blumengruß

       Geheimnisse

      Eine kleine saftige Rosine aus dem frischen Napfkuchen zu puhlen, erfordert schon eine gewisse Fingerfertigkeit und Schnelligkeit. Es ist auch gar nicht so schlimm, wie es oft hingestellt wird. Aber ein kleines Mädchen, wie ich damals, das hatte schon so seine Gewissenskämpfe. Lecker war sie, diese rumselige Süßigkeit; ein gutes und schlechtes Gefühl zugleich. Mein kleines Geheimnis. Aber mehr nicht…oder doch?

      Heute sitze ich in der Nordeifel auf einer alten Holzbank, die am Rundweg um die Burg Nideggen zum Schauen, Nachdenken und Rückdenken einlädt. Ab und zu nehme ich mir die Zeit dazu. Es ist Frühling und es riecht noch schwer nach winterfeuchter Erde. Frischverpaarte Vögel mit trockenen Grashalmen im Schnabel beeilen sich ihr neues Nest zu bauen. Sie müssen schnell sein, die Natur braucht dringend singenden und insektenvertilgenden Nachwuchs. Ich lächle vor mich hin, süßes Nichtstun. Sonnenstrahlen springen von Ast zu Ast und zeigen flirrende, diffuse Schattenfiguren. Ich scheine alle Zeit der Welt zu haben und noch ein wenig mehr. Doch das täuscht. Aus dem heiteren Himmel werden grauneblige Schattenwolken. Sie zeichnen mir bekannte Szenen. Ich erkenne Menschen und deren Tun, verworrene Vermutungen steigen aus meinem Herzen, sogar Misstrauen und Ängste. Sie geben längst vergangene Begebenheiten preis und lichten manchen Schleier.

      Ich denke zurück an vergangene Zeiten, Episoden, Schmeicheleien, Lachendes, Tränendes. Dinge, über die die Wolkenschleier der Vergangenheit ihr Schweigen gebreitet haben. Doch es waren keine Naturgegebenheiten die Geschichten machten, sondern Menschen, meine Familie, mein Umfeld. Alles wurde unter Stillschweigen gepackt, wie Ersatzwäsche in den Schrank, wohlwissend, die wollen wir nie mehr brauchen. Jetzt lüfte ich den Schleier der kleinen heimlichen Verfehlungen, der Dummheiten, Liebeleien, Kabalen, der dramatischen Geheimnisse oder gar Verdamnisse, aber auch der schönen Dinge, die uns wie Sonnenstrahlen zum Lächeln bringen. Ich, wir sind doch Optimisten.

       Mein Weg in die Stadt

      Ich bin aus dem Haus heraus in Richtung Kreisverkehr, als Fußschreiter natürlich auf dem Fußweg, unterwegs. Plötzlich kreischende Fahrradreifen und Bremsgeräusche hinter mir. Ich spüre das Fahrrad mental schon im Rücken. Dann ein klägliches Hallo, das ich als „Entschuldigung“ oder „Geh-aus-dem-Weg-Alte“ deuten darf, bevor der junge Pedaler mit Schmackes über den Fußgängerüberweg hinwegfegt. Wie immer, vorsichtiger, erst nach rechts und links schauend und den Kampfeswillen der ankommenden Autos erstmal einschätzend, überquere ich den Zebrastreifen. Die Kölnstraße geradewegs entlang, am Adenauer-Park vorbei, alles ohne nennenswerte Hindernisse. Das nächste Erlebnis, ich habe ausgesprochenes Glück, da ich ja sonst in jedes Fettnäpfchen trete, ein großer Hundehaufen vor der Tür eines Geschäftes, der gerade dankender Weise von der Inhaberin entfernt wird. Abgesehen vom zur Seite springen, weil einige Mitbürger vor Kraft, Siegeswillen, Überheblichkeit oder Dummheit nicht wissen, was sich gehört, erreiche ich die City. Ich mag sie mittlerweile, denn in den vergangenen Monaten wurde hier vieles umgestaltet und den Wochenmarkt, den liebe ich besonders. Deshalb tue ich es mir dreimal die Woche an, in das Gebrodel der Gegensätze einzutauchen. Den Einkauf zügig absolviert, gebot mir und anderen die rote Ampel an der Post, Einhalt. Ach, wäre ich doch trödeliger über den Markt gebummelt. Denn ein großer Herr neben mir lässt laut und ungeniert seine Darmgase entweichen. Die Duftwolke habe ich jetzt noch in der Nase. Das wars! Das nächste Mal nehme ich lieber einen Riesenumweg in Kauf.

       Sebnitz

      Die Leser meines Buches „Vom Ossi zum Wessi“ wissen, dass ich in Sebnitz ein paar Jahre gelebt und als Journalistin bei der Sächsischen Zeitung gearbeitet habe. Sie wissen auch, dass mich viele schmerzhafte Erinnerungen mit dieser Stadt verbinden.

      Eigentlich wollte ich nie wieder nach Sebnitz, doch die Erinnerungen, die mich dann beim Schreiben meines Buches einholten, führten schließlich dazu, 35 Jahre nach meiner Ausreise noch einmal dorthin zu reisen.

      Im Juli 2019 war ich dort auf Einladung der Stadtbibliothek, zur Vorbereitung einer Lesung im September. Vieles hat sich in der Stadt verändert, die Fassaden sind frisch gestrichen, einiges renoviert, aber manches ist immer noch so wie zu der Zeit, als ich hier lebte. Heute ist Wochenmarkt, reges Treiben um Springbrunnen und Postsäule. Vor allem ältere Menschen sind mit Tüten und dem altbewährten Einkaufsnetz unterwegs. Wie es der Zufall will, sehe ich an einem Marktstand eine zierliche Frau mit kurzen, fast weißen Haaren. Mich durchzuckt es blitzartig, das ist doch Sabine. Älter zwar, aber ich spüre, das ist sie, die Lebensgefährtin des zweiten Redakteurs Gerhard bei der Sächsischen Zeitung. Er ist inzwischen verstorben, das habe ich bei den Recherchen zu meinem Buch erfahren, auch das sie noch in der Stadt lebt. Ich überlege kurz und meine Füße gehen fast von allein in ihre Richtung. Ich grüße und spreche sie an. Dieser Zufall ist sicher für sie ein Überfall. Ich lächle und stelle mich vorsichtig vor, erkläre ihr, wer ich bin, dass wir eine Zeit gemeinsam hier in Sebnitz gelebt haben. Ich erwähne unsere gemeinsamen Essenszeiten in der „Kunstblume“, ihre Arbeit im Kulturbund, ihre historischen Exkursionen oder die Treffen bei ihr zu Hause bei Kaffee und Kuchen. Ganz persönliche Dinge, die nur Eingeweihte wissen können. Ich merke, sie hat mich erkannt, aber gleichzeitig spüre ich Kälte. Sie will mich nicht mehr kennen und schiebt die lange Zeit als Mauer vor sich. Ihre Augen und ihre Hände verraten etwas anderes, es ist Abwehr. Sie möchte mit mir kein Gespräch. Sie unterbricht mich und erklärt noch einmal mit Nachdruck, mich nicht zu kennen und greift nach den Kartoffeln, die am Marktstand in der Auslage liegen.