E.D.M. Völkel

Nullmenschen


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      * * * * * * *

      Zügig füllten sich die beiden unterschiedlichen Anfragebücher. Die Nachfrage der perfekten Reproduktionen und die Zurückgewinnung der Gesundheit war größer als je zuvor. Nur extra ausgewählte Mitarbeiter versorgten die neu eingetroffenen Frauen. Sie kümmerten sich um alle notwendigen Untersuchungen, wie: Blutentnahmen, Bestimmung und Dosierung der unterschiedlich benötigten Medikamente sowie die Vorbereitungen zur Unterbringung in den folgenden Monaten. Farbige Bändchen mit Blutgruppe und Status der Anwendung wurden den Frauen um das rechte Handgelenke gebunden und mit einem sicheren Clip verschlossen.

      Es durfte keinesfalls eine Verwechslung geben um die per Vorkasse geleisteten Bezahlungen zurückzufordern. Undenkbar, dass ihr Image der absoluten Zufriedenheit beschmutzt wurde oder gar der überaus respektable Ruf Schaden erlitt.

      Der Doktor befand sich allerdings in einem Interessenkonflikt. Schon vor sehr vielen Jahren hatte er begriffen, dass ihm alle Wege der Forschung offenstanden, solange er regelmäßig die gewünschten Bestellungen und Aufträge vorbildlich ausführte. Doch die ständigen Unterbrechungen dieser für ihn übergeordneten Forschung schürten die inneren Konflikte bis zur Unerträglichkeit.

      Sein Perfektionismus erlaubte nur erstklassige Arbeit und er stand kurz vor der Vervollkommnung um eine große Geißel der Menschheit beseitigen zu können. Doch gerade diese hundertprozentige Leistung erlaubte ihm nicht, sich mit den erreichten neunundneunzig Prozent zufriedenzugeben. Das Drängen der Partner wischte er mit seiner Aussage, wie sich das zahlungskräftige Klientel wohl fühlen würde, wenn es erführe, nur die eins B Variante zu bekommen, vom Tisch. Zähneknirschend gewährten sie ihm weitere Zeit. Allerdings nur unter der Voraussetzung mit den vorhandenen Möglichkeiten fortzufahren, um die dringend benötigte Versorgung aufrecht zu halten. Die Erfolge im Zweig der Reproduktion als auch im Gesundheitssektor dem waren einzigartig! Viele zufriedene Menschen und deren Angehörige zeigten ihre Dankbarkeit in großzügigen Spenden. Dies sollte auch weiterhin so bleiben.

      Es wurde Zeit, dass er Unterstützung von seinem Sohn bekam. Der sich seit zwei Jahren auf die Einführung in diese Materie vorbereiten sollte, allerdings keinerlei Interesse zeigte. Weder an der Familie noch an der übergeordneten Sache. Der momentan ausgeübte Druck, sein Desinteresse zu überdenken, war augenscheinlich nicht groß genug und musste unerfreulicher weise erhöht werden.

      * * * * * * *

      Zügig fuhren sie im einsetzenden Schneegestöber auf den kleinen Platz hinter der Villa.

      »Die Ratte sperrn wir solang in de alde Zwinger, da kommd se ned raus.«

      »Mach das und gib ihm eine von den alten Decken, er darf uns nicht erfrieren, bevor wir die Antworten haben.«

      Nachdem alle Brüder des Lakota MC´s wieder in der Blauzeder Villa eingetroffen waren, beauftragte Kralle Dag,

      »hol ihn raus und bringt ihn hinter das Haus.«

      Schlotternd, vor Kälte halb tot, stand der Mann im frischgefallenen Schnee vor den Mitgliedern des Lakota MC.

      »Wie is Dein Name?« Berti trat dicht an ihn heran und schob die den steifen Fingern entglittene Decke mit dem Fuß zur Seite.

      »Wo is euer hinterhäldiger Präsidend un die annern von euerm Pack?« Hugo baute sich vor dem verbissen Schweigenden auf, »los red, letzde Chance«, ließ er die Knöchel seiner beeindruckenden Hände knacken.

      Trotz klirrender Kälte, rasten seine Gedanken.

       ›Hab ich tatsächlich eine Chance? Lassen die mich wirklich laufen wenn ich die anderen verrate oder machen sie mich doch zum Sündenbock?‹

      »Also?! Werds bald?!« Der Kreis um ihn zog sich immer enger.

      »Bis´de en Mann odder en Feichling?«

      »Wenn ich´s euch sag, lasst ihr mich gehn?«, stotterte er vor Kälte.

      Lauter Gelächter antwortete ihm.

      »Was is en des für einer? Ich glaubs ja ned!« »Jetz red erst ma, dann gugge me was werd.«

      »Des bedeut, ich bin praktisch eh schon tot, mein Lebe is kein Pfifferling mehr wert. Also warum sollt ich hier noch quatsche?« Die Antwort ging fast im lauten klappern seiner Zähne unter.

      »Du bestimmst was Sache is, schnell oder langsam«, gab Berti ihm zu bedenken und verpasste ihm einen heftigen Faustschlag mitten ins Gesicht. Das Brechen der Nase war deutlich hörbar, er wankte bedrohlich und sackte halb ohnmächtig auf die Knie. Sofort rann das Blut über den Mund, das Kinn herunter und tropfte zu Boden. Es hinterließ leuchtend rote, gezackte Kreise in der dicker werdenden Schneeschicht.

      »Ganz wie Du willst«, schaltete sich Kralle mit verständnisvoller Stimme ein. »Schade, ich finde, Du hast es anders verdient. Hast gut gekämpft«, nickte er extra betont zur Bestätigung. »Euer Präsi Devolo hat alle verraten und opfert lieber euch, um seine Haut zu retten. Er sollte hier sein und uns Rede und Antwort stehen. Nicht Du!«, und zog ihn auf die Beine. Sein Bedauern war echt, das merkte der Ghost augenblicklich.

      »Pfaffe. Mein Name is Pfaffe«, reagierte er auf Kralles Angebot. Er kannte den Vize, dessen Ruf immer das Wort zu halten, eilte ihm voraus und war in der Szene bekannt.

      Das kurze Aufleuchten seiner Augen registrierte Kralle sofort,

      ›ich bin auf dem richtigen Weg.‹ Er bückte sich, hob die Decke auf und reichte diese Pfaffe. Mit der Geste hatte er nicht gerechnet,

      ›der ist tatsächlich wie erzählt wird.‹ Er versuchte sie zu packen, doch seine erstarrten Finger konnten sie nicht greifen. Die Füße und Unterschenkel spürte er schon nicht mehr. Das vorher nasse Haar war steifgefroren und stand wirr von seinem Kopf ab.

      »Devolo hat sich mit dem Auto der Probemitglieder aus em Staub gemachd, es wurd verlasse an de Kiesgrub in Langen gefunde. Vielleicht is er bei seiner Ex-Schnalle Silke in Walldorf unnergetaucht.« Seine Stimme wurde immer schwächer, »wir ham ihn dort gesucht, aber er sei ned da, hat sie gesacht.« ›Gleich werde ich ohnmächtig, ich kann nicht mehr, ich fühle nichts mehr‹, wankend versuchte er sich aufrecht zu halten. Unerwartet spürte er einen Stuhl unter sich geschoben und sank kraftlos darauf. Kralle legte ihm die Decke um seine Schultern, zog sie vorne fest zusammen und steckte die Enden unter Paffes Beine.

      »Was noch?«

      »Sei ehemalige Firma in Frankfurt. Die ham en große Fuhrpark mit eigner Werkstatt«, flüsterte er. ›Kralle, er hilft mir, ihm bin ich nicht egal.‹

      »Weiter«, hörte er dicht an seinem Ohr und spürte den warmen Atem auf der Haut. Geduldig wartend steckte Kralle sich einen Joint an und reichte ihn den Brüdern.

      »Der Silvio vom Scrollo MC. Ich glaub, er hat ihn sich abgegriffe.« ›Jetzt sinke ich vom Stuhl, ich spüre Garnichts mehr.‹

      Skeptisch verzog Kralle das Gesicht, nahm einen tiefen Zug und blies Pfaffe den Rauch entgegen.

      »Wo? Im Loch?«, hakte er bedächtig nach. Dieser zog begierig den Dampf ein,

      »Nee, es gibt noch einen zweiten Raum«, ›Habe ich die Worte gesagt oder nur gedacht?‹

      Kralle steckte Pfaffe den restlichen, fast aufgerauchten Joint zwischen die blaugefrorenen, tauben Lippen.

      »Wo?«

      Die Brüder standen im Kreis, in ihrer Mitte Kralle und der auf dem Stuhl sitzende, in die Decke gewickelte Pfaffe. Sie wussten, das ihr Vize eine ganz spezielle Art der Befragung hatte. Zeig Verständnis für ihn, gib ihm etwas, reich ihm die Hand, sei sein Freund, bis er anfängt, dir zu vertrauen. Dann holst du alles aus ihm raus. Verdammt, er hatte es wahrhaftig drauf.

      Pfaffe beschrieb den kleinen fensterlosen Raum, versteckt unter dem Treppenaufgang.

      »Deine Brüder warten bestimmt auf Dich, wo trefft ihr euch?« Einschmeichelnd drangen die Worte in seine Gedanken.

      ›Die Brüder,