F. John-Ferrer

Und über uns die Ewigkeit


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      Der Ablauf des militärischen Geschehens entspricht der geschichtlichen Wahrheit. Die Namen der handelnden Personen sind frei erfunden. Eventuelle Ähnlichkeiten sind daher rein zufällig.

      Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2013

      ©2014 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim

       www.rosenheimer.com

      Lektorat und Satz: VerlagsService Dr. Helmut Neuberger & Karl Schaumann GmbH, Heimstetten

      Titelfoto: © Bundesarchiv Bild 146-1978-087-22

      eISBN 978-3-475-54238-1 (epub)

      Herbst 1940. Über dem deutschen Flugfeld in der Normandie hängt Nebel, grau wie eine Waschküche, und legt den Flugbetrieb lahm – seit Tagen schon. Unentwegt treibt der Nordwest Regenböen heran, die über die Startbahn peitschen. Am Rande des Flugfeldes stehen die Kampfmaschinen in ihren Tarnbunkern. Verdrossen und unter den umgehangenen Zeltbahnen fröstelnd patrouillieren die Posten um den Platz.

      Drüben in der Werfthalle wird fieberhaft gearbeitet, denn nach jedem Einsatz gibt es eine Menge zu tun. Indessen rasten die Besatzungen, schlafen sich aus oder dreschen in den Unterkünften einen Dauerskat.

      Werkmeister Brenner, im Berufsleben Maschinen-bau-Diplom-Ingenieur, nun aber der Leiter der Flugwerft, wartete gespannt, bis die eben mit einem Austauschmotor versehene Ju 88 aus der Halle geschoben wird. Dann klettert er durch den Einstieg in die Maschine, klemmt sich in den Führersitz und wartet, bis der elektrische Anlasser die linke Luftschraube durchdreht. Knatternd springt der Motor an, beginnt zu rasen, zu jaulen, zu brüllen. Mit vorgeschobenem Kopf horcht Brenner auf das Dröhnen, nickt zufrieden, reguliert die Drehzahl, kontrolliert die Messinstrumente, nickt abermals. Das wäre also wieder mal in Ordnung.

      Ein Beben zuckt durch den Leib der Ju. Wie ein Rennpferd, das zu lange im Stall gestanden hat, zittert der große Vogel. Das ist Musik für Fliegerohren, die schönste, die es gibt!

      Das Orgeln der probelaufenden Maschine weckt Leutnant Hanke aus dem Schlaf. Erst hebt er den Kopf, dann stützt er sich auf die Ellenbogen und horcht. Schließlich begreift er, dass er nicht in der Ju sitzt, sondern tief und fest und lange geschlafen hat.

      Der Leutnant rappelt sich auf, kratzt sich im Haar, dann im Nacken, gähnt, fischt nach den Zigaretten und zündet sich eine an. Er ist von kleiner, fast knabenhafter Gestalt, hat ein schmales, scharfgeschnittenes Gesicht und viele Fältchen um die grauen Augen herum.

      Die unvermeidliche Zigarette zwischen den Lippen, die Barackenwand im Nacken und am Hinterkopf, die Beine weit von sich gestreckt, denkt Horst Hanke über seinen letzten Flug nach, den 67.

      Wäre wieder mal um ein Haar schiefgegangen! Beim Rückflug hängte sich eine Hurricane an und verschoss sich, zerhämmerte aber noch den rechten Motor der Ju, und man kam auf dem letzten Pfiff daheim an. Glück muss der Mensch haben, zumal wenn er ein Flieger ist!

      Natürlich sind Kameraden da, die mehr Erfolge aufzuweisen haben. Vor sechs Wochen hängte man Oberleutnant Greiner das Ritterkreuz um den Hals, weil er drüben eine wichtige Raffinerie zu Klumpen bombte und noch etliches mehr.

      Nicht jeder Feindflug bringt besondere Schwierigkeiten oder große Kämpfe mit sich. Es gibt Besatzungen, die zu ihrem Leidwesen planmäßig ihre Routinen abspulen und nur gelegentlich zu außergewöhnlichen Kampferlebnissen kommen. Daneben stehen die, die sich ständig mit dem Tommy in den Haaren haben.

      Hanke gehört zu diesen, er und seine Besatzung. Jeder einzelne steht seinen Mann, egal ob es der Bordmechaniker oder der Funker ist. Neben jedem sitzt der Tod, wenn die Motoren donnern und tief unten die Flak zu schießen beginnt.

      Alles ist anders gekommen, als Hanke es sich einstmals ausgedacht hatte. Bei der Lufthansa wollte er fliegen, lange Strecken, mal dahin, mal dorthin, durch die ganze Welt. Nun muss er einen der gefürchteten Bomber fliegen, nun setzt er täglich sein Leben aufs Spiel, rauft sich mit dem Feind herum, zerstört ihm wichtige Basen, lässt Fabriken und Hafenanlagen in Qualm und Trümmer aufgehen oder visiert auch nur einen einsamen Frachter an.

      Manchmal, so wie jetzt, fragt Hanke sich, wann er dran ist. Morgen schon? Oder übermorgen? Viele bleiben am Feind. Auf der schwarzen Tafel drüben in der Flugleitung stehen eine Menge Namen: Kameraden, die nicht mehr zurückkamen. Wann bin ich fällig? Oder gehöre ich zu jenen, die immer wieder Glück haben? Oder wird man eines Tages doch verheizt? Abwarten! Weitermachen und nicht dran denken! Denken macht Gedanken, und Gedanken können lästiger sein als eine angriffslustige Hurricane.

      Hanke lässt sich zur Seite fallen, zieht die Beine auf das Bett, nimmt die Zigarette aus dem Mund, drückt sie auf dem Fußboden aus und dreht sich der Barackenwand zu.

      Schlafen! Schlaf ist gut, viel besser, als drüben im Kasino zu sitzen und Kognak zu gurgeln oder von den Mademoiselles zu erzählen, aus denen Hanke sich gar nichts macht. Dafür hat er seinen guten Grund, einen Grund, über den der knabenhaft schlanke Leutnant nicht nachdenken, geschweige denn reden will.

      Hanke kommt nicht mehr zum Schlafen. Im Barackenflur ertönen Schritte. Jemand flüstert, dann geht, leise knarrend, die Tür auf.

      Hanke drehte sich um. Ein großer, breitschultriger, gutaussehender junger Mann steht auf der Schwelle, schaut grinsend auf Hanke hinunter, legt die Hand an den Mützenschirm und sagt lachend:

      »Leutnant Brechtmann meldet gehorsamst seine Versetzung zur sechsten Jagdstaffel und gibt sich die Ehre, Herrn Leutnant Hanke …«

      »Mensch!«, unterbricht Hanke ihn und springt auf, »Rudolf! Mich haut’s um!«

      Lärmende Begrüßung, Umarmung, Schulterklopfen, Durcheinander. Zwei Freunde haben sich wiedergetroffen. Rudolf und Horst kennen sich von Berlin her. Seit Jahren schon. Rudolf Brechtmann ist der Sohn eines reichen Hotelbesitzers, kann – oder besser gesagt –, konnte sich vieles mehr leisten als Horst, der sich sein technisches Studium selbst verdienen musste. Immer aber hockten die beiden beisammen, trafen sich fast täglich, erlebten heitere und ernste Stunden. Dann brach der Krieg aus, und man verlor sich aus den Augen.

      »Junge, Junge, das ist eine Überraschung!« Hanke mustert ohne Neid den Freund und stellt fest, dass Rudolf in der Uniform noch schneidiger aussieht, noch auffallender als in Zivil. Er ist der Typ, dem die Mädchen hinterherseufzen, um dann in verliebte Träumereien zu geraten. Hanke weiß einiges davon, weiß von Liebesgeschichten, über die er manchmal den Kopf geschüttelt hat.

      »Mach den Spind auf«, lacht Rudolf. »Oder hast du keinen Kognak? Dann segeln wir ins Kasino rüber.«

      Hanke hat Kognak. Eine halbe Flasche voll. Er schenkt zwei Zahnputzbecher ein, und dann zeigt es sich, dass der kleine Leutnant auch ein großes Glas Kognak inhalieren kann.

      »Prost, Casanova!«

      »Prost, Jockey!« Auch Rudolf nennt den Freund mit dem Spitznamen aus vergangenen Tagen, was sich dieser gern gefallen lässt, obwohl er noch nie auf einem Gaul gesessen hat.

      »Erzähl! Erzähl!«

      »Bin zur Sechsten versetzt worden«, strahlt Rudolf.

      »Ah! Wunderbar! Jäger also.«

      »Ich bin der glücklichste Mensch, Horst. In Berlin war’s, was Freizeit anbelangt, ganz interessant, dienstlich aber stinklangweilig. Nichts los! Die Kollegen an der Waterkant haben uns die ganze Arbeit abgenommen. Schließlich bat ich an die dreimal, schriftlich und mündlich, um Versetzung an die Front. Der Alte wollte mich partout nicht gehen lassen. Weiß der Himmel, warum er dann endlich ja sagte. Und jetzt bin ich da!«

      »Großartig!«

      Sie schauen sich lachend an. Sie trinken wieder. Dann muss Hanke von seinen Erlebnissen erzählen. Darüber vergeht die Zeit.

      »Man hat dich ganz hübsch dekoriert«, stellt Rudolf fest, als Hanke in die Uniformjacke schlüpft. »Bei mir ist noch alles leer.«