Paul Keller

In deiner Kammer


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dir no schlecht wird,“ sagte er und ging aus der Stube. Jauchzend blickte ich ihm nach. Die Tabakspfeife war sanktioniert.

      Mein Jubelgefühl war so stark, dass mir der Radestock zu eng war. Ich lief in den Hof. Der Wind hatte das Tor aufgerissen, und draussen lag das weite Feld. Dort hinaus lief ich. Gleich hinter dem Besitztum des Grossvaters stieg der Feldweg zu einer kleinen Anhöhe empor. Auf der blieb ich stehen.

      Die Felder lagen schwarz und braun; grau waren die Raine und matt das Grün der Saaten. Farblose Lachen standen in den Niederungen, hie und da war eine abgerissene, verlorene Schneelinie, und die schwarzen Krähen segelten durch die Luft. Es war ein ganz farbiges Bild. Auch die lichten Wolken, die mit der Sonne rangen, waren schön, und auf den Wiesen schüttelten die Weiden ihre langhaarigen Köpfe. Ich stand ganz still, und durch den jungen, gesunden Leib strömte es frühlingskräftig und wonnig.

      Jetzt dazu noch eine Pfeife rauchen können, dann wäre das Mass des Glückes übervoll. So etwas fiel mir ein. Ach, es gelang nicht, wie ich mich auch bog und krümmte und die kleine Jacke ausbreitete: der Frühlingssturm löschte mir das Licht aus.

      So tanzte ich den Berg hinunter. An der Esche passierte noch etwas. Dort wühlte ein Spatz mit seinem harten Schnabel im Moose. Ich vermutete gleich, ein Käferlein werde in dem grünen Bettchen liegen und gar wonnig vom Frühling träumen. Das wollte der Spatz fressen.

      Lump! Wenn mich nun der Grossvater auch gefressen hätte, als ich vorhin so glücklich in der Tiefe lag!

      Ich hob einen Stein auf und warf. Ich traf den Räuber nicht, doch ich verscheuchte ihn. Aber ach, der Stein lag schwer auf dem Moose.

      Nun hatte ich vielleicht das Käferlein selber getötet.

      Auf der Dorfstrasse erst endeten meine Gewissensqualen. Dort stand der Kühprinz und titschte, — titschte mit seinem alten Gegner. Er war so aufgeregt und so ins Spiel verbissen, dass er mich gar nicht sah. Sein Herr hatte ihn offenbar mit einem Auftrag ins Dorf geschickt, und er war noch nicht zurückgekehrt. Nein, er titschte, der leichtsinnige Mensch. Ich gedachte ihn zu ärgern.

      Hinter einer Mauer stopfte ich meine Pfeife mit meiner besten Sorte — mit Pfeffermünze. Ich zündete das edle Kraut an und trat mit einem kurzen Grusse zu den Spielenden. Sie dankten kaum. Aber ich stand behaglich und protzig da und liess das köstliche Arom meines Tabaks dem Kühprinzen beständig unter die Nase streichen. Er schnüffelte, schnüffelte, ich glaube, die Augen gingen ihm über, aber er sagte nichts.

      Er hatte übrigens grenzenloses Pech, der Kühprinz. Fast bei jedem Wurfe verlor er. Anfangs hielt sich das Spiel in mässigen Grenzen; — zwei Knöpfe auf einen Wurf, das kann ein mutiger Spieler schon wagen. Aber dann artete es aus. Der Kühprinz, der ungeheuer im Verluste war und immer mit meinen Knöpfen bezahlte, bot fünf, endlich sogar zehn Knöpfe auf einen Wurf. Mit Ingrimm sah ich die schönen Knöpfe, von denen ich doch jeden einzelnen kannte und liebte, in die Tasche des Gegners wandern. Ich warnte, — es war umsonst. Der Unglückliche war völlig verblendet. Endlich hatte er bloss noch zwanzig Knöpfe und setzte alles auf einen Wurf. Der Wurf fiel, und — alles war verloren. Mit erbleichtem Gesichte und zitternden Händen, so stand der Kühprinz da. Er war ruiniert! Mechanisch griff er in die Tasche und warf seinem Gegner die letzte Habe vor die Füsse. Mir aber ging zum erstenmal im Leben die Pfeife aus.

      Ich weiss nicht, warum ich ihn begleitete. Es war wohl tiefes Mitleid. Ich wollte ihn trösten, mit ihm reden, — er gab keine Antwort. Erst als ich ihm riet, er solle sich nie mehr mit dem Heinrich einlassen, tat er einen leisen Fluch.

      Der Frühlingswind sang in den Ästen, melancholisch und schaurig, der volle Bach rauschte und dröhnte, und unser Hund lief den Rand entlang und bellte das Wasser an. Mir wurde weich ums Herz.

      Alles, was ich an kleiner Münze bei mir trug, es waren sieben Bleiknöpfe, bot ich dem Kühprinzen an. Er könnte ja klein und vorsichtig wieder anfangen, sagte ich gutmütig.

      Finster schlug er meine Gabe ab. Er werde nie mehr spielen, sagte er. Da tat mir’s leid, dass er so ganz mit dem Leben abschliessen wollte. Und gerade jetzt, wo der Frühling kam.

      Die Gasse, in der wir gingen, war schmal. Rechts und links lagen Gärten mit hohen, verwachsenen Zäunen. Die Ruten bogen sich im Winde, es war schon finster in der Gasse, und der Bach gurgelte so laut.

      Da fürchtete ich mich plötzlich.

      „Ich muss heem,“ sagte ich und blieb stehen.

      Er sah mich an — tückisch, mit bösen, gelben Augen. Er wollte etwas sagen, aber er brachte es nicht gleich heraus, weil es ein schweres, sündiges Wort war.

      „Ich muss heem,“ wiederholte ich. „Schloof gesund!“

      Da krächzte er mich unvermittelt mit heiserer Stimme an: „Gib die Feife har!“

      „Die Feife? Ich hütt’ mich! Die is meine!“

      „Gib die Feife har!“

      „Ich hab’ se gekooft! Fer zweehundert —“

      „Gibste de Feife har!“

      Das gurgelte er. Und er fasste mich am Halse. Er war einen Kopf grösser und wohl doppelt so stark wie ich. Er presste mir die Kehle zusammen. Ganz finster wurde es um mich, und ich fühlte nur den Arm des Räubers. Es lag so ein lähmender Schreck in meinen Gliedern, dass ich mich kaum wehrte. Ich glaube, ich dachte auch nichts, wie er mich so würgte. Nur der gute Grossvater fiel mir auf eine Sekunde ein mit heissem Heimweh.

      Das Blut blieb mir im Kopfe stehen, und es war, als ob mir die Stirn auseinanderplatzen sollte. Vielleicht war ich nahe daran, die Besinnung zu verlieren.

      Da liess der starke Bursche meinen Hals los und griff nach meiner Brusttasche. Und da — ich weiss nicht, wie es kam, da holte ich tief Atem und hatte auf einmal Kräfte. Mit einem gewandten Ruck riss ich mich los. Fest presste ich die linke Hand auf die geliebte Tabakspfeife, die rechte aber, zur Faust geballt, hieb ich dem Räuber gerade auf die Nase.

      Ach, es war ein schlechter Hieb. Kein Tröpflein Blut quoll dem Kühprinzen über die Lippen; nur die Augen tränten ihm. Seine Wut aber steigerte sich. Wie ein wildes Tier sprang er abermals gegen mich an. Da gedachte ich, in dieser hohen Not, ihm einen Tritt gegen den Bauch zu versetzen. Ich trat, verlor das Gleichgewicht und fiel auf den Rücken. Der Magen des Kühprinzen hatte für meinen Stiefelabsatz zu hoch gelegen.

      Jetzt wäre ich verloren gewesen, wenn nicht ein Wunder passiert wäre. Es passierte eines: nämlich der Kühprinz lag auch. Er war über mich gestolpert. Blitzschnell erkannte ich die Situation, blitzschnell fuhr ich in die Höhe, blitzschnell ritt ich dem liegenden Kühprinzen auf dem Rücken. Er brüllte, er schlug mit den Beinen, er versuchte sich zu wälzen, er wollte sich auf die Hände stützen — alles umsonst; fest sass ich auf dem Rücken, nicht nur mit meiner ganzen furchtbaren Halb-Zentnerlast, sondern auch mit der Kraft einer Schraube, die nach physikalischen Gesetzen nicht locker lassen kann.

      Jawohl, der Kühprinz war festgeschraubt!

      Ein seliges Siegergefühl überkam mich, auf einen Moment wurde meine Phantasie rege, und der Frühlingswind, der durch die Ruten fuhr, grüsste einen Helden, der im dunklen Walde einen Riesen gefällt. Das ganz nahe Wasser aber sang mir ein brausendes Triumphlied.

      Vor der Höhe dieses Gefühls erblich auch die niedere Regung, die mich als Lustanwandlung überkam, dem Kühprinzen zur Strafe für seinen Anfall hundert oder zweihundert Ohrfeigen zu geben und eine Million Püffe gegen den unfrisierten, dicken Schädel. Nein, ich tat ihm gar nichts, ich fragte nur, fragte mit der ganzen vornehmen Ruhe des Überlegenen:

      „Wem’s is de Feife?“

      „Meine is se,“ knirschte er.

      Da bekam er doch eine Ohrfeige.

      „Kannste die zweihundert Knöppe wiedergeben?“ fragte ich hochdeutsch, um ihm meine Überlegenheit begreiflicher zu machen. Nein, das konnte er nicht. Aber dennoch wollte er die Pfeife. Umsonst wollte er sie! Und er wollte auf, augenblicklich auf, wollte mir’s „anstreichen“. Auf diese glänzenden Präliminarien ging ich