Paul Keller

In deiner Kammer


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Auf der nahen Brücke erschien Berta, des Kühprinzen „Braut“. Sie kreischte laut auf, als sie uns so ringen sah; der Kühprinz brüllte wie ein Stier und machte wahnsinnige Anstrengungen, frei zu werden; ich aber hielt fest, und da er mich rasend in die Beine zwickte, gab ich ihm wieder zwei schallende Ohrfeigen.

      Darob überkam die Jungfrau auf der Brücke ein Grausen, und mit dem erschütternden Rufe: „Der Keller ermurkst a Lamprecht! Der Keller ermurkst a Lamprecht!“ stürzte sie fort.

      Mochte sie fortstürzen, mochte sie durchs ganze Dorf schreien, sie war lediglich ein Herold meines Ruhmes.

      Doch was war das? Der Kühprinz lag ganz still und atmete nur schwer.

      „Looss mich uf!“ keuchte er.

      „Wem’s is de Feife?“ fragte ich.

      „Deine!“ sagte er.

      „Hab’ ich dir se richtig obgekooft?“ fragte ich wieder.

      „Fer zweehundert,“ gab er zu.

      „Lässte mich jitzt ruhig heemgiehn ?“ begehrte ich noch zu wissen.

      „Ich tu’ dir nischt!“ gelobte er.

      „Na, do stieh uf!“

      Drei Sekunden später standen wir, und einen Moment später — hatte er mich abermals gepackt. Ein massloser, wütender Hass gegen den Wortbrüchigen überkam mich. Ich hieb, stampfte, biss, spie — jedes Mittel war mir recht. Dazwischen rief ich: „Fips! Fips! Fips!“ Der Hund erschien. „Niem a, Fips, niem a!“

      O das blödsinnige Tier! Es erfasst nicht, dass sein junger Herr ringt auf Leben und Tod, es steht da und bellt kindisch, wie es vorhin das Wasser angebellt hat. Es meint, all diese grossen Vorfrühlingsereignisse seien lediglich zu seinem Vergnügen da.

      Inzwischen wird mein Atem schneller, kürzer, keuchender; der Schweiss perlt von meiner Stirn, ein heisses Zittern fliegt über den masslos angestrengten Körper.

      Da! — „Grussvater!“ — — —

      Ein Klatschen — und mich umfängt ein eisiger Schauer.

      Was ist?!

      Jesus! Ich liege im Wasser!

      Da der Kühprinz — —

      „Ich hab’ dich ni neigeschmissa,“ schreit er.

      „Hilfe — Hilfe!“

      „Das — das — Was — mei — mei — ich — ich —“

      „Grussvater! — — — — Gruss — — — —“

      Was ist nur? Ich wache auf. Der Mond scheint draussen. Wir haben keinen Vorhang. Den Mond und weisse Wolken sehe ich. Auch den Apfelbaum. Und der Wind geht.

      Die Augen fallen mir zu. Die Blümeln ist wohl da. Ich höre sie sprechen.

      „Um dan Junga wär’s schade!“

      „Nu do!“ sagt der Grossvater.

      Ich mache die Augen wieder auf. Ich sehe ihn. Er hat heute rote Wangen, der alte Mann. Und die Blümeln ist wirklich da. Jetzt sehen sie, dass ich wache. Wie sie sich freuen! Wie sie auf mich einreden! Was ist denn eigentlich?

      „Gelt, du wärst wieder munter, Paul?“ fragt die Blümeln.

      Ich gucke mich um. Auf dem Tische steht der Blümelns Teeschüssel, und daneben liegt meine kleine Tabakspfeife. Auch die sieben Bleiknöpfe sind da und das andere Zeug, das ich in der Tasche hatte. Was eigentlich bloss sein mag? Ich kann gar nicht denken.

      „Würste wieder gesund war’n, Paul?“ wiederholt die Blümeln angstvoll.

      Ich weiss es ja auch nicht. Aber da sehe ich wieder die Teeschüssel und die Tabakspfeife, und da sage ich: „Ja, Blümeln, ich war’ schun wieder gesund war’n!“

      Draussen singt der Frühlingswind, die Augen fallen mir wieder zu, und ein leiser, aromatischer Duft von Pfeffermünze zieht durch meinen Traum.

      Seeschwalben.

      Ich habe einmal einen sonderbaren Freund gewonnen. Der war Schullehrer auf einer Hallig. Wilhelm Schmitt hiess er und war eben ein Mittefünfziger, als ich ihn kennen lernte.

      Seine Heimat war so trostlos, wie die Halligen alle sind, — ein langgestrecktes, fahlgrünes Eiland, an dem das Meer frass; auf der Düne ein paar kleine Dünenrosen und ein wenig Erika, sonst nur sehr kümmerliches Gras.

      Aber ich fand bei Schmitt, was ich suchte — Einsamkeit und die Gelegenheit, ein wenig dem Friesischen nachzuforschen. Die tote Ruhe, die sonst in den niedrigen Hallighäusern herrscht, wohnte im Schulhause nicht, nur die friedliche Stille, die jeder verträgt, auch der moderne Mensch.

      Schmitt lebte seit mehr als dreissig Jahren als Lehrer auf der Hallig. Er hatte wohl nie einen Versuch gemacht, von da wegzukommen, denn er war selbst ein Kind der Hallig. Viel Schüler hatte er nicht; die Leute auf dem Eiland brachten ihre Kinder, und von den benachbarten Inselchen kam manchmal eines herüber, wenn es das Meer erlaubte, und wenn die Leute Zeit und Lust hatten.

      Das Schulhaus war sehr hübsch und ragte unter den elenden Hütten auf wie ein Schlösslein oder wie eine Festung. Es war erst unter preussischem Regiment gebaut, und die Regierung hatte an die Werft, d. h. an den künstlichen Hügel, der das Gebäude trägt, mehr Geld gewandt als an das ganze Haus. So hatte denn der Schulpalast auch bis jetzt alle Sturmund Springfluten siegreich überstanden, was nicht wenig dazu beitrug, mein Wohlbehagen und Sicherheitsgefühl auf der kleinen Insel zu mehren.

      Schmitt erzählte mir einmal, dass in einer einzigen Nacht mehr als die Hälfte seiner Schüler ertrunken sei. Da hat er am anderen Tage auf der Düne, die der Stolz der Hallig war, ein bisschen zerzaustes Heidekraut gesammelt und ein ganz kleines Kränzlein gemacht. Das Kränzlein hat er auf die Flut gelegt, und es ist über das weite, grosse Grab geschwommen, in dem die kleinen Schläfer ruhten, als eine letzte Gabe von ihrem Lehrer.

      Die Halligleute können nicht lachen. Auch Schmitt lachte nie, aber er hatte doch ein freundliches, friedevolles Wesen. Es ist immer so: je mehr es um den Menschen tobt und wirbelt, desto stiller wird es in ihm selbst.

      Interessanter noch als Schmitt war seine Frau Regina. Sie war eine Professorentochter aus Berlin. Es sind mir wenig Frauen im Leben begegnet, die ich so geachtet habe wie sie. Ein kluges, stilles Weib war sie mit unsagbar weichen Händen. Eine derer, vor denen sogar die Bösewichte zahm und die Spötter stille werden. Ich habe auch selten ein Ehepaar kennen gelernt, das sich nach so langer Ehe noch eine so innige und ehrfürchtige Zärtlichkeit bewahrt hätte, wie diese beiden Leute.

      Für den Mann war die Frau ein Segen. Sie rettete seine Seele vor der Erstarrung und war ihm mit ihrem goldenen Herzen und ihrem klugen, feinen Kopfe die beste Gesellschafterin.

      Ich hatte viel Respekt vor meinem Freunde Schmitt; aber ich wunderte mich doch im stillen darüber, dass ihn Frau Regina genommen. Da sass ich einmal mit ihr auf der kleinen Bank, die in dem Gange stand, der rund auf der Werft um das Schulhaus herumlief. Schmitt war nicht zu Hause, und da erzählte sie mir.

      Sie war mit ihrem Vater, dem Professor, nach der Hallig gekommen. Der war auch ein Einsamkeitsmensch und ein Freund des Friesischen. Schmitt war damals noch ein junger Mann. Sehr schön und sehr stark sei er gewesen, sagte Frau Regina. Er gefiel ihr, und es rührte sie sehr, dass er seine arme Heimat und deren ebenso arme Menschen so liebte. Er sei ihr immer als ein echter Heilandsjünger vorgekommen: so arm und so ein Freund der Armut, so still, so stark und immer so bereit zum Helfen.

      Der Vater Reginas war ein eifriger Schlickläufer. Wenn das Meer zurückebbte, ging er hinaus auf den Schlickboden. Er sammelte keine Muscheln und ging nicht auf die Seehundsjagd; er wollte bloss draussen sein. Schmitt begleitete ihn anfangs, aber mit der Zeit ging der Professor allein.

      Und da geschah es, dass der einsame Wanderer mitten auf dem trügerischen Meeresgrunde vom Nebel überfallen wurde.

      Das