Lothar Streblow

Borstel, der Frischling vom Eichwald


Скачать книгу

p>

      Lothar Streblow

      Borstel, der Frischling vom Eichwald

      Saga egmont

      Borstel, der Frischling vom Eichwald

      Copyright © 1987, 2018 Lothar Streblow und Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

      All rights reserved

      ISBN: 9788711807538

      1. Ebook-Auflage, 2018

      Format: EPUB 2.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach

      Absprache mit Lindhardt og Ringhof gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com

      „Die Frage nach dem tierlichen Bewußtsein hat die Menschen schon immer gefesselt, weil Haus- und Wildtiere gleichermaßen unsere Bewunderung und Neugier erregen. Sie verlocken uns dazu, in ihre Haut zu schlüpfen und uns vorzustellen, wie ihr Leben sein mag. “

      Donald R. Griffin

      „Gefühle sind es, die alle Kreatur dazu drängt, etwas zu tun oder, wenn es ängstliche Stimmungen sind, etwas zu unterlassen. “

      Vitus B. Dröscher

      Im Wurfkessel

      Nebel stieg aus dem Talgrund, überzog den sacht ansteigenden Hangwald mit langsam zerfasernden Schleiern. Feucht glänzte das Gras der Wiesen im Frühlicht. Noch war es still im Wald, nur im Unterholz knackte morsches Geäst. Und ein verspäteter Waldkauz strich lautlos durch die Wipfel. Erst als ein Sonnenstrahl die wabernden Nebelbänke durchbrach und die Landschaft in eine seltsam bleiche Helligkeit tauchte, begann eine Amsel ihr Morgenlied.

      Auch am Waldrand rührte sich etwas. Eine Rotte Wildschweine durchpflügte geräuschvoll den Boden nach Eßbarem, wühlte nach Engerlingen und Raupen. Ihr Grunzen und Schmatzen scheuchte einen verschlafenen Hasen auf, der eiligst davonhoppelte. Die Rotte kümmerte sich nicht darum. Nur ein kleiner, knapp einjähriger Frischlingskeiler blickte ihm kurz nach, dann senkte auch er wieder schnüffelnd seinen Rüssel.

      Gemächlich zog die Rotte weiter. Eine starke Mutterbache aber zögerte, blieb mit ihren beiden vorjährigen Frischlingen zurück. Sie hatte kaum etwas gefressen. Ihr Gang war schwerfällig. Plötzlich trennte sie sich von der Spur ihrer Gefährten, drang hangaufwärts in den dichten Unterwuchs. Und die beiden Jungen folgten ihr.

      Jetzt hoben sich die Nebel, trieben durch die Wipfel des dichten Kiefernwaldes. Hier am Südhang war es fast windstill. Die Bache kannte diesen Platz. Schon in den vergangenen Jahren hatte sie hier ihren Wurfkessel gebaut. Hier konnte sie sehen, ohne gesehen zu werden, konnte jede Gefahr rechtzeitig erkennen. Aber noch war es nicht soweit. Sie suchte nach einer flacheren Stelle für das Nest. Erst auf halber Höhe des Hanges schien sie zufrieden.

      Aufmerksam musterte sie den Platz. Der Unterwuchs war trocken genug. Dann begann sie zu rupfen, schleppte zwischen ihren kräftigen Kiefern weiche Gräser und belaubte Zweige und Gesträuch und türmte damit einen mächtigen Haufen. Stunden um Stunden arbeitete sie verbissen. Es fiel ihr schwer. Immer häufiger zwangen die Wehen sie zu einer Pause, verharrte sie wie im Krampf. Aber sie ließ nicht nach, bis der Haufen hoch genug war, die Nestmulde weich ausgepolstert. Einen Augenblick lang witterte sie in die Runde, dann schob sie sich in ihr Nest.

      Die beiden Jungen blieben draußen, hielten sich scheu am Rande des Dickichts. Die ganze Zeit über hatte die Bache sich nicht um sie gekümmert. Nur einmal, als sie ihr neugierig schnüffelnd zu nahe kamen, hatte sie die beiden energisch grunzend zurückgescheucht. Das hatte genügt. Sie trauten sich nicht mehr, aber sie vermißten ihre Nähe, den vertrauten Kontakt. Und sie beobachteten verwirrt das ungewohnte Treiben ihrer Mutter.

      Sie mußten lange warten. Und sie warteten geduldig. Von ihrer Mutter war nichts zu sehen. Nur der Haufen aus Gras und Gesträuch bewegte sich mitunter, wenn sie wieder ein Junges gebar. Dazwischen ertönten kurze Grunzlaute, worauf jedesmal ein zartes Quieken antwortete. Und die Bewegungen wurden häufiger, auch das Gequieke. So vergingen Stunden.

      Längst hatten sich die Morgennebel verzogen. Warm schien die Märzsonne durch die noch kahlen Wipfel der Bäume, malte schillernde Kringel auf den Waldboden.

      Gegen Mittag wurden die oberen Teile des Haufens sorgsam weggeschoben, Zweige und Gräser nach rechts und links zur Seite. Sekundenlang tauchte der mächtige Kopf der Bache aus dem Gewirr. Mißtrauisch beobachtete sie die Umgebung, ob auch keine Gefahr drohte. Danach zog sie sich beruhigt zurück. Ihre Kinder brauchten sie.

      Borstel

      Borstel hob leise quiekend ihren kleinen Rüssel aus dem Pflanzenpolster der Nestmulde. Sie war noch ein wenig erschöpft vom Tauziehen mit der Nabelschnur. Endlich war sie das lästige Ding los. Nun blinzelte Borstel neugierig in das helle Licht. Nach dem Dunkel im Leib der Mutter und dem Halbdämmer im geschlossenen Kessel sah sie zum erstenmal in ihrem Leben die Sonne, spürte ihre wärmenden Strahlen. Und das gefiel ihr.

      Doch lange konnte sie die Sonne nicht genießen. Ein dunkler Schatten fiel über sie. Und ein anderes kleines Wesen krabbelte ungestüm über sie hinweg, stupste sie mit seinem Vorderlauf in den Rücken. Borstel erschrak.

      Ganz in der Nähe ertönte ein Quieken; und ein vielstimmiges Gequieke antwortete. Verdutzt blickte Borstel sich um. Da waren noch mehr solcher Wesen, längsgestreift und winzig wie sie selbst: ihre fünf Geschwister. Sie rangelten wild umeinander und drängelten sich am Bauch ihrer Mutter, die sich nach dem Öffnen des Kessels mit einem Grunzlaut wieder auf die Seite gelegt hatte.

      Auch Borstel spürte Hunger. Instinktiv wandte sie sich dem warmen Bauch zu. Aber so leicht kam sie nicht an ihre mütterliche Milchquelle heran; da waren schon die anderen. Und die ließen sich nicht stören. Borstel mußte sich erst eine freie Saugstelle suchen. Und als sie die endlich fand, trank sie gierig von der warmen Milch.

      Borstel streckte sich wohlig. Alles um sie herum war warm: die Milch in ihrem kleinen Bauch und die Sonnenstrahlen auf ihrem gestreiften Fell, der riesige Leib der Mutter und die winzigen Körper ihrer kleinen Geschwister. Einige saugten noch eifrig, die anderen schliefen schon wieder, dicht aneinandergeschmiegt.

      Borstel gähnte. Sie fühlte sich satt und schläfrig. Und in der wärmenden Geborgenheit des Kessels fiel sie in einen tiefen Schlummer.

      Lange aber währte ihre Ruhe nicht. Irgend etwas wuselte neben ihr herum, stieß mit feuchtem Rüssel gegen ihren Bauch und suchte weiter. Es war ihr Bruder Kurf. Er hatte ausgeschlafen und suchte nach Milch. Und er drängte sich zappelnd an Borstels Saugstelle am Bauch der Mutter und begann zu schmatzen.

      Borstel blinzelte verschlafen. Oben am Rand des Kessels schilpte ein Spatz, hüpfte flatternd von Zweig zu Zweig. Borstel stutzte. Sie hatte noch nie einen Vogel gesehen. Aber der Spatz flog weg. Und Borstel spürte ein Knurren im Bauch. Sie suchte sich eine andere Saugstelle neben Kurf und trank. Wenig später war sie wieder eingeschlafen.

      Als sie erneut erwachte, war es nicht ihr Bruder, der sie weckte, und auch nicht der Hunger. Ihr war kalt. Die Schatten der Baumwipfel fielen über den Kessel, hielten die wärmende Sonne ab. Auch die anderen froren. Und ihr Quieken scheuchte ihre Mutter auf, die sich nach der anstrengenden Geburt ein wenig Ruhe gegönnt hatte.

      Die Bache erhob sich, streifte mit einem kurzen Blick ihre beiden vorjährigen Jungen, die am Rande des Dickichts nach Nahrung wühlten, stieß einen kurzen Warnlaut aus und begann dann die Öffnung des Kessels zu schließen. Kaum lag sie grunzend wieder auf der Seite, spürte sie sechs kleine Schnauzen gierig an ihrem Bauch.

      Auch Borstel trank, bis sie satt war. Im Kessel war es jetzt dämmerig. Und in der warmen Geborgenheit der Dämmerung schlief Borstel eng an die anderen gekuschelt wieder ein.

      Nacht