Heinrich Mann

Die Vollendung des Königs Henri Quatre


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      Heinrich Mann

      Die Vollendung des Königs Henri Quatre

      Saga

      Die Vollendung des Königs Henri QuatreCoverbild / Illustration: http://polona.pl Copyright © 1938, 2020 Heinrich Mann und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726482881

      1. Ebook-Auflage, 2020

      Format: EPUB 2.0

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      IDAS KRIEGSGLÜCK

      Das Gerücht

      Der König hat gesiegt. Das eine Mal hat er den Feind zurückgeworfen und gedemütigt. Er hat die Übermacht weder vernichtet noch entscheidend aufgehalten. Nach wie vor ist sein Königreich in Lebensgefahr, gehört auch noch gar nicht ihm. Es gehört bis jetzt der „Liga“, da die Zuchtlosigkeit der vorhandenen Menschen, ihr Widerstand gegen die Ordnung und Vernunft seit den Jahrzehnten der inneren Kämpfe schon bis zum Wahnsinn gediehen sind. Oder, noch schlimmer als der offene Wahnsinn, die platte Gewöhnung an den vernunftund zuchtlosen Zustand hat die Menschen ergriffen, die traurige Ergebung in ihre Schande hat sich bei ihnen festgesetzt.

      Der einmalige Sieg des Königs kann das keineswegs ändern. Ein vereiteltes vereinzeltes Gelingen — wieviel ist daran Zufall und wieviel ist Bestimmung? Es überzeugt noch keine Mehrheit von ihrem Unrecht. Wie denn? Dieser Protestant aus dem Süden wäre kein Räuberhauptmann, er wäre der wahrhafte König! Was müßten dann alle großen Führer der Liga sein: sie, von denen jeder eine Provinz beherrscht oder einen Gau leitet, und zwar mit wirklicher Gegenwart und voller Gewalt. Der König gebietet beinahe nur dort, wo sein Heer steht. Der König hat für sich den Gedanken des Königreiches: soviel erkennen manche, und nicht ohne Unruhe oder Wehmut. Ein Gedanke ist weniger als die wirkliche Gewalt, und ist auch mehr. Das Königreich, das ist mehr als ein Raum und Gebiet, es ist dasselbe wie die Freiheit und ist eins mit dem Recht.

      Wenn die ewige Gerechtigkeit auf uns herabblickt, muß sie sehen, daß wir furchtbar erniedrigt, und schlimmer noch, daß wir ein Moder und getünchtes Grab sind. Wir haben uns um der täglichen Notdurft willen den ärgsten Verrätern unterworfen und sollen durch sie an die Weltmacht Spanien kommen. Aus bloßer Menschenfurcht dulden wir im Lande die Knechtschaft, geistige Verwahrlosung und verzichten auf das erhabenste Gut, die Gewissensfreiheit. Wir armen Edelleute, die in den Heeren der Liga dienen oder Staatsstellen bekleiden, und wir ehrbaren Leute, die ihr Waren liefern, und wir niederes Volk, das mitmacht: wir sind nicht immer dumm und manchmal nicht ehrlos. Was sollen wir aber tun? Ein Geflüster unter Vertrauten, ein heimliches Gebet zu Gott, und nach dem unverhofften Sieg des Königs bei Arques schwillt für kurze Zeit unsere Hoffnung an, daß der Tag kommt!

      Höchst merkwürdig, die Weitentfernten machen sich von den Ereignissen meistens einen größeren Begriff als die nahe Wohnenden. Der Sieg des Königs geschah an der Küste der Nordsee: im Umfang von zwei oder drei Tagereisen hätte man staunen sollen. Besonders in Paris hätten sie sich prüfen und ihre hartnäckigen Irrtümer endlich berichtigen müssen. Durchaus nicht. Dort im Norden sahen wohl viele mit Augen, wie das geschlagene Riesenheer der Liga durch zersprengte Banden das Land unsicher machte — was ihnen aber nicht in den Kopf ging. Die Liga blieb für sie unbesiegt; der König hatte vermöge des dichten Nebels, den das Meer verbreitete, und dank anderen Umständen des Kriegsglücks ein unbedeutendes Stück Landes behauptet, das war alles.

      Für den innersten Teil des Königreiches hatten dagegen die erhofften Entscheidungen sich wirklich angekündigt. Am Flusse La Loire und in der Stadt Tours glaubten sie nach alten Erfahrungen, daß zuletzt doch immer der König in Person bei ihnen einkehrte. Manchmal als armen Flüchtling, aber endlich als den Herrn, so hatten sie ihn seit Jahrhunderten empfangen. Wie nun erst die entlegenen Provinzen des Westens und des Südens! Dort sahen sie diese Schlacht bei Arques, als ob sie vor ihren Blicken nochmals geschlagen würde und wäre ein Machtwort des Himmels selbst. Die stürmischen Protestanten der Festung La Rochelle am Ozean sangen: „O Gott, so zeige Dich doch nur“ — denselben Psalm, mit dem ihr König gesiegt hatte. Von Bordeaux schräg abwärts, der ganze Süden nahm aus ungemessener Begeisterung vieles als geschehen vorweg, was in weitem Felde stand, die Unterwerfung der Hauptstadt, die Bestrafung mächtiger Verräter und ruhmvolle Einigung des Königreiches durch ihren Henri, geboren bei ihnen, ausgezogen von hier, und jetzt so groß!

      Gingen seine Landsleute wirklich weiter als alle anderen? Groß — nennt man am leichtesten den Mann, den man nicht einmal von Angesicht kennt. Seine Landsleute im Süden wissen aus eigenen Begegnungen, daß er nur gerade mittleren Wuchses ist, den Filzhut zum abgewetzten Wams trägt und niemals Geld hat. Sie erinnern sich seiner sanften Augen: sprechen diese eigentlich vom heiteren Gemüt oder von manch erlebter Trauer? Jedenfalls ist er schlagfertig und versteht sich auf den Ton des gemeinen Mannes — versteht sich noch besser auf die Art der Frauen. Von ihnen könnten viele, niemand ermißt die Zahl, seine Geheimnisse verraten. Aber sonst so plauderhaft, auf einmal schweigen sie. Genug, hier kennt man ihn von Angesicht und war nur nicht bei seiner vorigen Arbeit mit, dort oben, wo Nebel lag, wo die Unseren den Psalm sangen, als sie angriffen und das gewaltige Heer schlugen. Das war eine sehr große Arbeit, und während sie getan wurde, haben Himmel und Erde den Atem angehalten.

      Jetzt haben auch ganz ferne Länder den Ausgang erfahren. Über seine Person wurde ihnen bisher nichts berichtet. Ein so neuer Ruhm ist auf große Entfernungen unirdisch und fleckenlos. Um so größer steht einer da, auf den Schlag. Die Welt hat ihn erwartet, sie hatte es gründlich satt, als einzigen Herrn und Meister ihren Philipp von Spanien zu ertragen, immer und ewig den trostlosen Philipp. Die bedrückte Welt hatte längst um den Befreier gefleht: nun sieh, hier ist er! Sein Sieg: eine kleine Schlacht, nichts von jähem Umsturz der Lage, und dennoch bedeutender als vorher der Untergang der Flotte Armada. Hier hat einer ganz durch seine Kraft den Thron des Weltherrschers erbeben gemacht. Wenn noch so leise, das Beben wird verspürt über den Grenzen, über den Bergen und bis an das andere Ufer des Meeres. Sie sollen in einer berühmten Stadt hinter dem Meer — sie sollen ein Bild mit Prozession durch die Straßen getragen haben. Stellte das Bild ihn auch nur vor? Es war schon nachgedunkelt, sie haben es beim Trödler ans Licht gezogen, es abgewaschen. „Der König von Frankreich!“ rief das Volk und veranstaltete den Umzug, sogar die Pfaffen sind mitgegangen. Das Gerücht weiß alles und es fliegt.

      Die Wirklichkeit

      Er selbst in Person hielt keine Siegesfeier. Denn eine gelungene Arbeit zieht sogleich die nächste nach sich; und wer seinen Erfolg nicht erlistet, sondern redlich gewinnt, weiß eigentlich nichts von Sieg und gewiß nichts von Berauschung. Der König dachte nur daran, seine Hauptstadt Paris überraschend einzunehmen, solange der Herzog von Mayenne mit dem geschlagenen Heer der Liga sie noch nicht erreicht hatte. Der König war der schnellere; außerdem ließen sie in Paris sich einreden, daß er von ihrem Mayenne besiegt und in voller Flucht wäre; das gab ihm noch mehr Vorsprung. Bevor er aber ankam, hatte Paris sich gefaßt und auf seine Verteidigung eingerichtet — übrigens unklug. Anstatt nur die festen Mauern und Wälle um die innere Stadt, beschlossen sie, auch die Vororte zu halten. Das war nach dem Sinn des Königs, der sie draußen zu überrennen dachte, und mit den Fliehenden wäre er in die Tore eingedrungen.

      Er stürmte die Außenwerke leicht, die Tore indessen konnten gerade noch geschlossen werden. So blieb es dabei, daß seine Truppen, alle diese Schweizer, deutschen Landsknechte, vier Kompanien von Abenteurern, viertausend Engländer, sechzehn französische Regimenter — daß alle zusammen stürmten, metzelten, plünderten. Sonst führte es zu nichts. Der König wurde zwar mit Hochrufen empfangen, aber inmitten von Plündern und Metzeln. Er ließ wohl über die Mauer hineinschießen und wußte doch schon, seine Hauptstadt bekäme er auch diesmal nicht. Jetzt begibt er sich zur Ruhe in einem Palast, der nach seiner Familie benannt ist: Klein-Bourbon heißt er; Henri hat hier eindringen müssen