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      Joe Barry

      Privatdetektiv Joe Barry - Vierundzwanzig Stunden Angst

      Saga

      Privatdetektiv Joe Barry - Vierundzwanzig Stunden AngstCopyright © 1963, 2019 Joe Barry und SAGA EgmontAll rights reservedISBN: 9788711669167

      1. Ebook-Auflage, 2019

      Format: EPUB 2.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach

      Absprache mit SAGA Egmont gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com

      1. Kapitel

      Die Jury sprach Nat Salinger schuldig.

      Am 15. August 1958 war das.

      Im Schwurgerichtssaal von Lafayette (Louisiana) drängte sich die Menge. Ausländische Blätter hatten ihre Reporter entsandt. Es war ein heißer Tag, dem sechsundfünfzig heiße Tage vorangegangen waren. Tage, in denen die Sonne erbarmungslos auf die Köpfe von Weiß und Schwarz geknallt hatte. Tage, in denen das Gericht sich um die Antwort auf die Frage bemüht hatte: Hat Nat Salinger einen Menschen ermordet?

      Die Bevölkerung von Des Plaines, dem kleinen Städtchen an der Cote Blanche Bay, zweifelte nicht an der Antwort. Und das Schwurgericht gab ihr recht.

      „Schuldig“, lautete der Spruch, den die Geschworenen nach zwölfminutiger Beratung festsetzten. Die Zuhörer hielten den Atem an. Bekam Nat Salinger die Höchststrafe? Sie wurden enttäuscht.

      „Zwölf Jahre Zuchthaus —“, verkündete der weißhaarige Richter Blake. „— in Anbetracht der Jugend des Angeklagten hat das Gericht von der Verhängung der Höchststrafe abgesehen.“

      Nat Salinger war zwanzig Jahre alt. Im September wäre er einundzwanzig geworden. Die Tat, die man ihm zur Last legte, war begangen worden, als er erst neunzehn war.

      Johnny Mulligan, der Reporter der „Des Plaines News“, notierte in sein Tagebuch: „Nat Salinger ist verurteilt worden. Damit ist ein Fall abgeschlossen worden, der im ganzen Süden die Gemüter erhitzt hat. Zwölf Jahre — das riecht nach einem Kompromiß. War das Gericht nicht völlig von seiner Schuld überzeugt? Dann hätte es ihn freisprechen müssen. Freilich — dann wäre Des Plaines explodiert!“

      Ein Reporter eines New Yorker Blattes sah das Problem anders, von der Yankee-Seite aus:

      „Nat Salinger hat farbiges Blut in den Adern. Seine Mutter war eine Halbnegerin. Es ist schwer, sich vorzustellen, daß diese Tatsache bei der Urteilsfindung keine Rolle gespielt haben soll. Die Geschworenen sind nur ihrem Gewissen verantwortlich. Aber hier im tiefsten Süden ist Gewissen eine Angelegenheit der Hautfarbe.“

      Und der radikale “Chicago Observer“ formulierte schlicht: „Rassenterror in Louisiana!“

      Damit war ungefähr der Rahmen abgesteckt, in dem sich die Meinungen bewegten. Es bildeten sich zwei Parteien. Die einen sagten, weil Nat Salinger ein Mischling war, sei er verurteilt worden. Vor einem Gericht, das nur aus Weißen bestand, habe ihm das natürlich das Genick gebrochen.

      Die Gegenpartei sagte, er sei wirklich ein Mörder, und ein Wunder sei das auch nicht — bei seiner Abstammung.

      Merkwürdigerweise interessierte sich niemand für die Indizien und Zeugenaussagen, die vor Gericht angeführt worden waren; denn Nat Salinger hatte nicht gestanden. Aber darüber ließ sich nicht so gut diskutieren. Es besteht auch kein Zweifel, daß die Yankeeblätter es am liebsten gesehen hätten, wenn Nat zum Tode verurteilt worden wäre. Das hätte noch besseren Stoff zu Anklagen gegen die Rassenjustiz gegeben.

      Umgekehrt gab es im Süden — und da vor allem in Des Plaines — Leute, die bedauerten, daß Nat nicht freigesprochen worden war. Denn dann hätte man es ihm auf andere Weise zeigen können. Man war sich einig, daß ein freigesprochener Nat Salinger kaum Aussichten gehabt hätte, die Stadt lebend zu verlassen.

      Dieser Hexenkessel der Meinungen kam zum Schweigen, als Salinger in das Zuchthaus von Baton Rouge eingeliefert wurde. Aber unter der Asche schwelte die Glut weiter.

      Fünf Jahre später flackerte das Feuer wieder auf.

      Im Mai 1963 war das.

      Bick Dorset lenkte seinen schweren Cadillac zum Verlagsgebäude der „Des Plaines News“. Er hätte die hundert Meter über die Lee Avenue, die einzige Hauptstraße der kleinen Stadt, auch mühelos zu Fuß bewältigen können, aber Bick Dorset war ein großer Mann, der erste Steuerzahler des County, und er wußte, was er seinem Ruf schuldig war.

      Er war ein untersetzter, massiger Mann, mit Stiernacken, Gladiatorennase und einer steilen Falte zwischen den harten Augen. Sein eisengraues Haar war zu einer straffen Bürste formiert. Der Anzug, den er trug, stammte aus dem ersten Atelier von New Orleans, eine rohseidene Dreihundertdollarpracht.

      Es hatte Zeiten gegeben, da Bick Dorset noch ganz unten auf der Trittleiter des Erfolgs gewesen war und verzweifelt zur ersten Stufe geschielt hatte. Das lag nicht allzu lange zurück — zehn Jahre. Mit einem wackligen Lastwagen hatte er sein Speditionsunternehmen gerade gegründet gehabt. Es hatte lange gedauert, bis der Laden lief. Es gab sogar Zeiten, da steckte er so tief in Schulden, daß die Stapel der unbezahlten Rechnungen einen respektablen Posten beim Altpapierhändler ergeben hätten.

      Aber eines Tages hatte er es geschafft, und dann ging sein Bankkonto nach oben wie eine Atlas Dugena. Heute waren seine schweren dreiachsigen Trucks mit den verschlungenen Initialen B — D auf allen Highways des Kontinents zu Hause — von Alaska bis tief hinein nach Mexiko.

      In Des Plaines war er jetzt der größte Mann. Es wäre übertrieben, ihn als beliebt zu bezeichnen, aber für jeden Einwohner der kleinen Stadt stellte sich in irgendeiner Form die Frage, ob er für oder gegen Bick Dorset war. Die Antwort war einfach: Wer gegen ihn war, tat gut daran, kein Einwohner von Des Plaines mehr zu sein.

      Der Portier der Zeitung kam eilig aus seinem Glaskasten herau.

      „Guten Morgen, Sir.“

      „Mulligan da?“ schnappte Dorset.

      „Gewiß, Sir. Ist in seinem Büro, Sir. Soll ich ihn rufen?“

      „Ich kenne den Weg“, knurrte Dorset und ging weiter.

      Die Zeitung war eines der wenigen Unternehmen der Stadt, an denen er keine Anteile besaß.

      John Mulligan — seit er vom Reporter zum Chefredakteur avanciert war, nannte er sich nicht mehr Johnny, sondern John — drehte seinen Ledersessel um neunzig Grad nach rechts. Er stellte das Mikrophon weg.

      „Der große Asphaltkönig persönlich“, sagte er grinsend, „der Ritter der Landstraße! — Was gibt’s, Bick?“

      Bick Dorset schob den Hut in den Nacken. Das Leder hatten einen roten Streifen über seine Stirn gezogen.

      „Ich habe eine Information für dich“, sagte er.

      Mulligan hakte sofort ein.

      „Willst du Aktien verkaufen oder jemandem den Kragen umdrehen?“ fragte er trocken.

      „Nichts dergleichen“, knurrte Bick. „Die Dollars, die aus dieser Stadt herauszuquetschen sind, habe ich schon herausgequetscht. Diesmal komme ich ganz uneigennützig.“

      „Uneigennützig war auch Rockefeller“, sagte der Redakteur mißtrauisch.

      Bick ließ sich in den Besuchersessel fallen und langte in die Zigarettenkiste auf dem Tisch.

      „Die Sache ist die“, verkündete er, „Nat Salinger kommt raus.“

      Mulligan, im Begriff, ihm Feuer zu geben, hielt inne.

      „Weißt du das sicher?“

      „Habe ich mich schon mal geirrt?“

      „Das nicht. Aber —“