Lise Gast

Bernis Glück im Pech


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      Lise Gast

      Bernis Glück im Pech

      Saga

      Bernis Glück im Pech

      German

      © Lise Gast

      Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

      All rights reserved

      ISBN: 9788711508350

      1. Ebook-Auflage, 2016

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

      1. Kapitel

      „So, die nächste Station ist unsere“, sagte Angelika, als der Zug wieder anruckte. „Eine halbe Stunde fahren wir noch, aber gerade die letzte halbe Stunde wird einem am längsten. Wenn man denkt, daß sie jetzt zu Hause losgehen zum Bahnhof, um uns abzuholen! Und wir sitzen hier, und es wird nicht später!“

      „Was wird nur deine Mutter sagen, wenn ich einfach so mitkomme“, sagte Friederun bedenklich. Angelika wischte das mit einer Handbewegung weg.

      „Meine Mutter — ph! Meine Mutter sagt immer, bei so vielen kommt es auf eins mehr nicht an. Und wo doch meine größeren Geschwister zu diesen Ferien nicht nach Hause kommen!“

      „Kommen sie nicht?“ fragte Friederun.

      „Margot und Brigitte doch, aber nur ganz kurz, die letzten Tage. Ernst gar nicht, er macht mit ein paar andern Jungen eine Radtour.“

      Friederun und Angelika waren Klassenkameradinnen in einer Internatsschule im Harz. In diesen Herbstferien nun konnte Friederun nicht nach Hause fahren, da ihre Mutter ganz plötzlich hatte verreisen müssen. Angelika, mitleidig und rasch bereit zu helfen, hatte die Freundin sofort zu sich eingeladen.

      „Du mußt dich nur nicht daran stoßen, daß wir so viele sind“, sagte sie, „komm, ich zeig’ dir noch die Bilder. Mutter schickte gerade neue, die von den großen Ferien. Willst du mal sehen? Das hier ist Christoph, mein jüngster Bruder. Ist er nicht nett? Er tut alles, was ich will, wir verstehen uns herrlich.“

      „Ach, ist er süß! Wie alt, fünf? Nein, Angelika, wenn ich doch auch solch goldigen kleinen Bruder hätte!“ Friederun, dreizehnjährig wie Angelika, war die jüngste von drei Schwestern.

      Angelika lachte stolz. „Ja, der Toffer! Wir nennen ihn immer Toffer; weiß der Himmel, wer es ausgeheckt hat. Und das hier ist die Heidi, die ist elf. Marianndel neun — wir haben jetzt aber alle die Haare kurz, hier hat sie noch Zöpfe auf dem Bild.“

      „Du sagtest doch aber, du hättest noch vier kleinere Geschwister“, sagte Friederun. Sie hatte ihr Köfferchen auf dem Schoß liegen und darauf die Bilder aufgereiht und betrachtete eins nach dem andern. „Oder hast du dich selber mitgezählt? Sonst sind es doch nur drei.“

      „Mich zu den Kleinen dazugezählt? Du bist wohl wahnsinnig. Ich gehör’ doch zu den Großen“, sagte Angelika entrüstet. „Die Jüngste von den Großen — das hat seine Vorteile. Man darf schon, was die Großen dürfen, aber man muß nicht soviel, weil man eben doch die Jüngste davon ist.“

      Friederun lachte. Die Vorteile, die man als Jüngste genoß, kannte sie aus eigener Erfahrung. Aber sie ließ nicht locker mit Fragen; sie war erst kurz in Angelikas Klasse und wollte alles genau wissen.

      „Aber es sind doch nur drei Kleinere —“

      „Nein, vier. Da ist doch noch Berni, das Unglückswurm.“

      Angelika blätterte ihr Lesebuch durch. Das ging im Hui, wie überhaupt alles, was sie tat. Sie war ein Kind „mit Tempo“, wie die Mutter, manchmal mit Seufzen, sagte. „Siehst du, da steckt er. Ja, sieh mal her.“

      Friederun nahm das Bild, das Angelika ihr hinreichte, und sah den kleinen Jungen an, den es zeigte. Er war lange nicht so hübsch wie der Jüngste, zwar auch blond, aber gleichsam fahl, wo der andere goldblond wirkte. Ein wenig stakige Beine standen aus den zu weiten Hosenröhren heraus.

      „X-Beine, ja, leider“, sagte Angelika sachlich, „und zwei linke Hände und an jeder fünf Daumen. Berni ist der Dollpunkt der Familie, verstehst du — aber wir haben ihn alle trotzdem lieb.“

      „Das würd’ ich aber auch“, sagte Friederun mit vor Empörung tiefer Stimme. „Er kann doch nichts dafür, daß er so ist.“

      „Ich weiß nicht, du“, sagte Angelika nachdenklich.

      „Man kann doch auch selbst was dazu tun. Sieh mal, Marianndel war auch mal so eine unmögliche Person. Sie knöpfte jedes Kleid, was hinten zugemacht wurde, grundsätzlich vorn zu, aß die Suppe mit der Gabel und zog den rechten Schuh an den linken Fuß. Meine Mutter schüttelte immer nur den Kopf. Da hab’ ich sie mir schließlich mal vorgenommen und zurechtgestaucht. Ich hab’ ihr gesagt: ‚Wenn du noch einmal die Schuhe verkehrt anziehst, dann setzt es aber was.‘ Amandern Tag dieselbe Geschichte. Ich hab’ sie verhauen, du, da war aber alles dran. Glaubst du, daß sie es nie wieder getan hat?“

      „Aber mit Hauen ändert man doch den Menschen nicht“, sagte Friederun. Sie war von zu Hause andere Methoden gewöhnt, und ihr wurde ein wenig bange, wenn sie dachte, daß sie nun vierzehn Tage in solch einer gewalttätigen Familie leben sollte. „Meine Mutter haut in solchen Fällen nie; sie erklärt immer, warum, und macht schließlich selbst, was ich nicht kann.“

      „Nicht kann! Natürlich kann man aufpassen, welches der rechte und welches der linke Schuh ist“, sagte Angelika ungerührt. „Übrigens, meine Mutter haut auch nicht wegen solcher Sachen. Sie hat gar nicht die Zeit dazu. Deshalb tu ich es ja, wenn’s nötig ist.“

      „Auch den Berni? Verhaust du den auch?“

      „Ich hab’ es probiert. Aber ich glaube, es ist nicht so einfach wie bei Marianndel. Er heult und wird bloß immer verscheuchter. In den Ferien hab’ ich es dann aufgesteckt mit ihm, ich hatte keine Lust mehr.“

      „Du, wird deine Mutter aber wirklich nicht ...“, setzte Friederun wieder an. Angelika stand auf und zog mit einem Schwung den Rucksack am Lederriemen aus dem Gepäcknetz.

      „Sei unbesorgt, sie schimpft nicht. Nur — ja, das muß ich dir noch erzählen. Die Frau, bei der wir wohnen, die Hausbesitzerin, die Frau Simmer ... Es war sowieso schwer für uns, eine Wohnung zu bekommen, das kannst du dir denken“, fuhr sie fort, während sie zwei Äpfel aus dem Rucksack grub, Friederun einen davon gab und selbst in den andern biß, „wir brauchen ja keine für neun Personen, weil wir vier Großen schon auswärts sind, die längste Zeit im Jahr, aber immerhin, sie muß ja so sein, daß wir zu den Ferien alle da sein können. Und da haben wir ewig gesucht. Schließlich nahm uns Frau Simmer, aber nur weil sie mußte, gern nicht. Mutter hat geredet mit Menschen- und Engelszungen ...

      Wir sind ja alle sehr vorsichtig, das muß man, sagte sie, ich hab’ zum Beispiel gemerkt, daß sie jedesmal, wenn eins von uns ins Häuschen geht, einen Strich an die Tür macht, einen Kreidestrich. Weil doch mehr Wasser verbraucht wird, wenn wir alle da sind. Und da hab’ ich immer, wenn sie es nicht merkte, einen oder zwei Striche am Tage ausgelöscht. Gar zu viele wegzumachen, würde auffallen, aber etwas weniger war es immer.“

      „Du lieber Gott, und da komm’ ich noch mit!“

      „Mutter macht das nichts aus“, versicherte Angelika wiederum. „Mutter ist ganz vernünftig. Wenn die Frau Simmer anfängt zu kreischen, geht Mutter in die Küche, dreht den Wasserhahn auf und läßt sich das Wasser über die Handgelenke laufen, hier, am Puls, weißt du. Da wird man ruhig oder, vielmehr, man ärgert sich von vornherein nicht.

      Neulich hat Berni wieder so was angestellt. In aller Unschuld, weißt du. Er ist kein Lausbub, gar nicht, aber er glaubt andern immer alles. Da hat ihm ein Junge aus seiner Klasse, der die Frau Simmer kennt, weisgemacht,