Thomas Claes

Passkontrolle!


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      Passkontrolle!

      Eine kritische Geschichte des sich Ausweisens und Erkanntwerdens

      Thomas Claes

      Passkontrolle!

      Eine kritische Geschichte

      des sich Ausweisens und

      Erkanntwerdens

      Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

      ISBN (eBook, epub): 978-3-940621-57-3

      Lektorat: Alexander Schug

      Grafisches Gesamtkonzept, Titelgestaltung, Satz und

      Layout: Stefan Berndt – www.fototypo.de

      © Copyright: Vergangenheitsverlag, Berlin/2010

       www.vergangenheitsverlag.de

      Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen,

      der fotomechanischen und digitalen Wiedergabe

      und der Übersetzung, vorbehalten.

      eBook-Herstellung und Auslieferung:

      readbox publishing, Dortmund

       www.readbox.net

      Inhalt

       Einleitung

       Frühe Formen der Pässe und Praktiken der Identifikation

       Identifikation und die Erfindung des Ausländers

       Pass und Kontrolle in der Ständegesellschaft

       Der liberale Obrigkeitsstaat

       Der Erste Weltkrieg als Zäsur des Passwesens

       Die Passvergabe als rassepolitische Aussonderungsmaßnahme – der Nationalsozialismus

       Ein Neubeginn?

       Pass und Ausweis in BRD und DDR

       Der Pass im Zeitalter der Globalisierung

       Identifikation – vom Sinn und Unsinn eines Dokuments

       Anhang

      Was ist ein Pass? Die französischen und italienischen Begriffe verraten heute noch, woher die Idee eines Papiers stammt, dass wie kein anderes die Identität der Menschen auf dieser Welt bekundet – oder auch verneint: passeport, passaporto. In diesen Worten steckt das Passieren, ein Tor passieren. Im Mittelalter meinte das Passieren eines Tors auch eine Grenze zu überschreiten, die Grenze einer Stadt. Später dann auch die Grenze einer Herrschaft oder eines Landes. Und erst sehr viel später – im Zeitalter der Nationen – bedurfte es eines Passes, um eine Staatsgrenze zu überschreiten.

      Jeder Reisende führt heute einen Pass mit sich, und ein Personalausweis steckt wohl fast in jedem Portemonnaie. Zuallererst soll der Pass die Identität und Nationalität seines Besitzers sichern und feststellbar machen. So ermöglicht es der Pass, die Zugehörigen zum eigenen Staatswesen zu definieren. Der Staat möchte sich schützen, bewahren und Gefahren abwenden, die den Staat (vermeintlich) bedrohen könnten. Doch ist ein Pass tatsächlich nur ein offizielles Dokument, welches an ein Individuum ausgegeben wird, mit dem Hauptzweck, seinen Besitzer mit einem Beweis seiner Identität und Nationalität auszustatten, sowie ihn dabei zu unterstützten, von einem souveränen Staat in einen anderen zu reisen, sich dort aufzuhalten und diesen wieder zu verlassen?1

      Eventuell lassen sich an der Geschichte dieses „meistgereisten Dokumentes der Menschheit“ 2 ja wichtige Ereignisse der Deutschen Geschichte nachvollziehen. Denn vielfach beeinflussten historische Ereignisse wie Krieg und Frieden die Einführung oder Abschaffung von Passpflichten oder neuen Passmodellen. Da es sich bei dem heutigen Pass um ein internationales Dokument handelt, nehmen auch Ereignisse außerhalb Deutschlands erheblichen Einfluss auf die deutsche Passgesetzgebung. Das beste Beispiel für diese Entwicklung sind sicherlich die Terroranschläge vom 11 September 2001 in den USA.

      An den alltäglichen Identifizierungsdokumenten lässt sich die Entwicklung von Staatlichkeit und moderner Verwaltung nachvollziehen. Vielfach spiegeln sich politische und gesellschaftliche Ereignisse, Liberalität einer Gesellschaft oder nationalistisches Denken, schlicht Inklusion und Exklusion von Menschen in diesen Dokumenten der Kontrolle und Überwachung. Auch die Entwicklung individueller Identität und Persönlichkeit am Beginn der Neuzeit lässt sich historisch an Ausweisdokumenten nachvollziehen.

      Die historische Entwicklung des Passes beginnt im Mittelalter. Ein königlicher Geleitbrief versprach dem Reisenden Schutz. Er war ein teures Privileg für einige wenige. Es gestatte ihnen sicher und frei zu reisen, in einer Zeit, in der die wenigsten Menschen ihre Heimatorte verließen und verlassen durften. Doch in der modernen bürgerlichen Gesellschaft, mit Zunahme individueller Mobilität, war der Strom der Menschen für den Staat nicht mehr leicht zu überwachen. So griffen auch die französischen Revolutionäre auf Ausweisdokumente zurück – als Kontrollinstrument. Diese waren nun kein Privileg mehr, sondern ein Zwang für jeden Bürger. Der Prozess des sich Ausweisen-Müssens hatte etwas zu tun mit der Herausbildung moderner Staaten, ihrem Drang zu erfassen, zu regeln, zu organisieren und Grenzen im Verhalten seiner Bürger zu ziehen. Das ist Voraussetzung – so die Staatsraison – um regieren zu können.

      Wenn Foucault in seinen Vorlesungen zur Geschichte der Gouvernementalität3 von der beginnenden Disziplinierung der Bevölkerung in der Moderne spricht, so muss das auch die Entwicklung des Passes mit einbeziehen. Disziplin, so Foucault, wurde dann am wichtigsten, als man begann, die Bevölkerung zu verwalten, das Leben der Menschen bis ins Detail mit Gesetzen und Vorschriften zu bestimmen.

      Ein Identifizierungsdokument trägt in mehrfacher Hinsicht zur Disziplinierung der Bürgerinnen und Bürger bei: Es überwacht den nationalen wie internationalen Verkehr und Handel. Es ermöglicht die Identifikation eines Menschen. Es kann bestimmen, wer ein Gebiet oder einen Staat verlassen oder betreten kann. Es definiert Grenzen und Grenzüberschreitungen.

      Auch wenn Foucault den Pass nicht explizit erwähnt, so ist er doch ein „Mechanismus der Sicherheit“, ein angenommenes Sicherheitsdispositiv für den Staat. Das Dreieck aus Souveränität, Disziplin und gouvernementaler Verwaltung, welches Foucault beschreibt, hat als „Hauptzielscheibe“ die Bevölkerung.4 Es liegt nahe, hier das Dokument über die eigene Person als Teil in der Entstehung des modernen Staatswesens zu sehen. Disziplin, Kontrolle und vor allem Identifikation eines jeden bringen die Sicherheit, die ein Staatswesen – nach eigener Raison – für seinen Fortbestand benötigt. Sicherheit ist dabei ein beliebig politisch instrumentalisierbarer