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Leonardo Sciascia
Tod des Inquisitors
Der Mann mit der Sturmmaske
aus dem Italienischen von Monika Lustig unter Verwendung einer Übersetzung von Michael Kraus
Mit einem biographischen Essay von Maike Albath und einer kurzen Abhandlung von Santo Piazzese
Inhalt
Anmerkungen und bibliographische Angaben
Klarheit, Vernunft und Häresie – Maike Albath
Ironie — ein sizilianisches Instrument des Überlebens – Santo Piazzese
Ein Sizilianer von festen Prinzipien:
Verneigung vor Leonardo Sciascia 8. Januar 1921 Racalmuto – 20. November 1989 Palermo
Monika Lustig
Stella polare … un gigante1. Sein Werk gilt es nun endlich wieder und ganz neu zu lesen, zu entdecken, es gründlich zu erforschen. Seine Linie muss unbedingt fortgeführt werden.2 So und ähnlich feurig klingt es anlässlich des 100. Geburtstags des Maestro di Regalpetra3 – Leonardo Sciascia.
Seine Linie, das ist der mit den Waffen der Literatur geführte Kampf um eine gerechte und freie Gesellschaft unter dem Spannungsbogen »Sizilien – Metapher der Welt«. Er, Sciascia, ein unbestechlicher europäischer Aufklärer, ein Mann von fester Überzeugung4, die Wurzeln tief versenkt im schwefelhaltigen Gestein seiner Insel und dem Meer, ja dem Meer stets den Rücken zugekehrt.
Mit diesem Buch, ein pensierino5 zum festlichen Anlass, wagen wir in diesem Sinne einen kämpferischen Schritt und veröffentlichen erstmalig in deutscher Übersetzung zwei seiner historischen Essays (oder literarischen Fallbeschreibungen), entstanden und veröffentlicht in unterschiedlichen Schaffensphasen, zusammengehalten von der thematischen Klammer Inquisition und Folter, die sich wie ein blut- und feuerroter Faden durch Sciascias Werk zieht6. Tod des Inquisitors (Morte dell’inquisitore, 1964) ist der erste, und gewidmet hat Sciascia »sein kleines Buch den Racalmutesern, den lebenden und den toten, von fester Überzeugung«.
Es kreist um den Fall des rebellischen Augustinermönchs Fra Diego La Matina, Sciascias Held, sein idealer Mitbürger aus fernen Zeiten, welcher im Jahr 1657 unter der spanischen Inquisition in Sizilien (1479–1782), einem regelrechten Anti-Staat7, nach mehreren Schauprozessen, wiederholten Galeerenstrafen, Folter und Hohn seinem Peiniger, dem hochwürdigen Inquisitor Juan López de Cisneros mit eisernen Handschellen den Schädel einschlägt. Vom Heiligen Offizium in Palermo nach allen Regeln der Kunst inquisiert und der Seelenhygiene zugeführt, weigert er sich, seine Seele zu retten. Unablässig theologisch argumentierend verschleißt er eine gehörige Anzahl an hochgelehrtem inquisitorischem Personal und schwört auch angesichts des Feuertods nicht ab. Er ist: »Ketzer nicht angesichts der Religion (die [die Sizilianer] auf ihre Weise befolgen oder nicht befolgen), sondern angesichts des Lebens«. Er hält die Menschenwürde hoch: blieb unerschütterlich:/ er verzog keine Miene, hielt den Hals starr und den Oberkörper steif (Dante). Die vermeintliche Häresie, das wird im Laufe der Einkreisung des Falls deutlich, ist sozialer, politischer Natur, ist eine evangelische und damit höchst gefährliche, umstürzlerische Auslegung des rechten Glaubens.
Tod des Inquisitors war Sciascias liebstes, ihm »teuerstes Werk, ein nicht abgeschlossenes«, über das er sich wieder und wieder den Kopf zerbricht, das er versucht ist, immer neu zu schreiben, und es doch nicht tut. Er wird es nie zu Ende schreiben, wartete er doch immerzu auf ein neues Indiz, eine Erkenntnis, die ihm plötzlich aus den vertrauten Dokumenten hell ins Auge scheint. Doch – ging es ihm tatsächlich und ausschließlich um solch ein faktisches Element?
Wir schließen auf zu diesem Nicht-Abgeschlossenen, erkennen das Offene, das Non-finito als politische Ansage: Über den historischen Rahmen des Terrorregimes der spanischen Inquisition hinausgehend ist mit dem Offenen die Inquisition als solche gemeint. Die Inquisition als grausames, menschenverachtendes System, das immer präsent und perpetuierbar bleibt. Und dazu längst auf keinen religiösen Glauben mehr Bezug zu nehmen braucht. Die Beunruhigung, die diese Erkenntnis bei Sciascia auslöst, hat sich offen und wellenförmig ausgebreitet. Die Wellen seiner Beunruhigung reichen ins Hier und Heute, erfassen uns mit Wucht.
»Ich habe mich für die Inquisition interessiert, weil diese weit davon entfernt ist, nicht mehr in der Welt zu existieren«, kommentiert Sciascia die Herausgabe seines Werks und leitet damit über zum zweiten Essay:
Der Mann mit der Sturmmaske. Eine literarische, schmerzhafte Nachzeichnung des Bekenntnisses (oder Geständnisses) vor dem Solidaritätsvikariat in Santiago de Chile eines nach dem Pinochet-Staatsstreich wendehälsigen Chilenen: Unerkannt hinter seiner Maske deutet er im Stadion, ein riesiges Gefangenenlager unter freiem Himmel, auf ehemalige Genossen, deren Identität den Militärs und Folterknechten längst bekannt ist. Mit dem Fingerzeig auf sie fällt er vermeintlich ihr Todesurteil. Das längst feststeht, er muss es angeblich um den Preis des eigenen Lebens mit seiner Geste bekräftigen und steigert so die Perfidie ins Unerträgliche. Von dieser Last nun meint der Verräter sich durch ein Geständnis befreien zu können; doch letztlich wird aus seiner Anhörung eine abscheuliche Feier der Selbstrechtfertigung.
»Man wollte mit dem Mann mit der Sturmmaske ein unauslöschliches, übermächtiges Abbild des Terrors schaffen. Des Terrors der Denunziation ohne Gesicht, des Verrats ohne Namen. Man wollte mit Vorbedacht und makabrem Scharfsinn das Gespenst der Inquisition heraufbeschwören, das einer jeden Inquisition, das der ewigen und immer raffinierteren Inquisition.«
Der Fall des Fra Diego, den Sciascia mit ironisch-kritischen Kommentaren und nachhallenden Fragen zu den jeweiligen Dokumenten – in die Kerkerwände des Palazzo dello Steri eingeritzte Zeugnisse der Eingekerkerten, Folterprotokolle, seriöse, aber auch tendenziöse Geschichtsbücher, bis hin zu phantasieschäumenden Romanzen – einkreist, wird uns wie ein Sezierwerkzeug in die Hand gegeben. Und der Auftrag lautet: die Machtstrukturen