Kristof Magnusson

Zuhause


Скачать книгу

      

      KRISTOF MAGNUSSON

      ZUHAUSE

      Roman

      Verlag Antje Kunstmann

      Meinen

      Eltern

      »Die Last unserer Erinnerungen macht uns träge.« Hans Erich Nossack

      INHALT

       TEIL EINS

       Träume, Trabanten

       Dunkler Nachmittag

       Zwei Fische

       Musterhafte Herzen

       Die Ankunft, die Wahrheit, der Abend, die Nacht

       TEIL ZWEI

       Alberne Strapazen

       Albernste Strapazen

       Fuchs im Schnee

       Zuhause I

       Viele nasse Vögel

       Dagur Defender

       Pizza Hut

       Zuhause II

       Ein Licht, das nie verlöscht

       TEIL DREI

       Notaufnahme I

       Vorbei

       »Unfroh ist der Mann, / der den Leichnam trägt / des Verwandten / weg vom Haus.«

       Zuhause III

       Wir Menschen von Mýrar

       Stein, Schere, Papier

       Die tausendjährige Familie

       Dreizehenmöwen

       Jede Schnepfe lobt ihren Sumpf

       Replantationen

       Notaufnahme II

       TEIL VIER

       Für immer

       Elísabet Lovísa

       Das Leben der Elísabet Lovísa

       Eine neue Dekade

       Heute

       Rache

       »Fort denn nun eile, nach Osten gewandt«

       Hamburg (Jesus liebt dich)

       Danke

TEIL EINS

      TRÄUME, TRABANTEN

      Erst der schwarze Nordatlantik, dann schwarze Steinbrocken, eine schmale Rasenspur, dann die vierspurige schwarze Sæbraut, auf der der Berufsverkehr aus der Innenstadt von Reykjavík in die Trabantenstädte floss. Kaffee las ich vor dem Drive-in-Supermarkt am Rande der Schnellstraße auf Fahnen, die fast unbewegt in dem Orkan standen, der vom zugefrorenen Hochland über den Wal-Fjord in die Stadt fegte. Drinnen gab es ein paar Tische, an denen man auch essen konnte, was fast nie jemand tat. Ein einziger Taxifahrer saß da, vom Neonlicht ausgeleuchtet. Er kaute einen frittierten Teigring und sah an dem in den Flaschen erstarrten Ketchup und der aus dem Serviettenspender halb heraushängenden Serviette vorbei über die schwarze Schnellstraße, den Rasen, die schwarzen Steine hinaus in die Richtung, aus der der Sturm kam. Vor der Eingangstür klammerte sich ein zerzaustes Zierbäumchen an seinen Betonfuß. Es war der Freitag vor dem ersten Advent. Langsam begann ich mir einzugestehen, dass auch dieses Jahr, das bisher schönste in meinem Leben, zu Ende gehen würde.

      Wir waren direkt vom Flughafen hierher gefahren. Wie schon so oft saßen wir in Matildas altem Saab auf dem Parkplatz vor dem Drive-in-Supermarkt und sahen zu, wie die Innenstadt kurz vor den Sieben-Uhr-Nachrichten ausblutete. Der Schneeregen hatte das Isolierband aufgeweicht, das ein Loch im Dach verkleben sollte, und die Kälte kroch ins Auto, verwischte die Grenze zwischen Atemluft und Zigarettenrauch. Die kurzatmige Heizung keuchte mit dem einen noch funktionierenden Lautsprecher um die Wette, aus dem Ian Curtis von Joy Division gelegentlich ein Wort stammelte, ›Dance‹ zum Beispiel oder ›Radio‹. Zwanzig Jahre war es her, dass er sich in seinem Wohnzimmer erhängt hatte. Damals waren Matilda und ich gerade Freunde geworden.

      Matilda.

      Matilda und ich sind zusammen zur Grundschule gegangen. Ich war der einzige Junge, der sich nicht für Fußball interessierte, und sie das einzige Mädchen, das nicht Mutter-Vater-Kind-und-Pferd spielen wollte. Deshalb spielten wir zusammen Taxifahrer und Fahrgast, Koch und Kellner, Popstar und Fan. Ich war der Taxifahrer, der Kellner, der Fan.

      Heute war Matilda eine Art wandelnder Expo-Pavillon. Für das isländische Fremdenverkehrsamt zeigte sie Journalisten die Insel, wusste immer, wo der nächste Wasserfall war, und konnte von dem einen oder anderen Björk-Vorfall im Reykjavíker Nachtleben berichten. Alles, was die Menschen im Ausland über Island wussten, wussten sie von Matilda. Ein einfacher Beruf war das nicht.

      Matilda sah aus wie immer.