William McIlvanney

Die Suche nach Tony Veitch


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      William McIlvanney

      Die Suche nach

      Tony Veitch

       Aus dem Englischenvon Conny Lösch

      Verlag Antje Kunstmann

      Für Hilda, sie weiß warum

      1

      FREITAGNACHT, GLASGOW. Die Stadt der starren Blicke. Mickey Ballater stieg an der Central Station aus dem Zug und hatte das Gefühl, nicht in den Norden, sondern in die eigene Vergangenheit gereist zu sein. Als er in die Bahnhofsvorhalle trat, hielt er kurz inne, wie ein Forscher, der sich auf die der Region eigentümliche Fauna besinnt.

      Und doch war hier nichts, das einem nicht auch andernorts hätte begegnen können. Vorübergehend fiel es ihm schwer, die Atmosphäre zu fassen. Im Grunde sagen alle Städte dasselbe, nur der Tonfall ist anders. An den von Glasgow musste er sich erst wieder gewöhnen.

      Menschen standen in Trauben herum und schauten auf die Tafeln mit den Abfahrtszeiten. Offenbar glaubten sie, ihre Reiseziele allein durch drohende Blicke erscheinen lassen zu können. Auf den Bänken ihm gegenüber fühlten sich zwei Frauen zwischen Einkaufstüten heimisch. Nicht weit davon entfernt führte ein Säufer mit grell orangefarbenem Bart, der so lang war, dass er auch als Bettdecke hätte dienen können, eine hitzige Diskussion mit einem Guinness-Plakat.

      »Von denen bekommen Sie nichts, Sir.« Ein kleiner Mann, der stehen geblieben war, um den Säufer zu beobachten, hatte das gesagt. Er war Mitte sechzig, aber sein Gesicht wirkte so schelmisch wie das eines jungen Hundes. »Hab’s letzte Woche auch über eine Stunde lang versucht.« Bevor er weiterging, warf er Mickey noch einen Blick zu. »Aber die Hoffnung stirbt zuletzt.«

      In diesem Augenblick kam Mickey in Glasgow an. Keine anonyme Stadt, sondern eine der Nähe, die trotz der Weitläufigkeit ihrer Elendsviertel so geräumig erschien wie ein Bus in der Rushhour. Erneut verstand er, welche Erwartungen ihn jedes Mal bei seiner Ankunft hier überfielen. Man konnte nie wissen, woher der nächste Einbruch in die eigene Privatsphäre kam.

      Er erinnerte sich auch, warum er Birmingham einfacher fand. In Glasgow wimmelte es vor enthusiastischen Amateuren und Sonntagsrowdys. Man bekam ebenso schnell vom Busschaffner eine gescheuert wie von einem stillen Mann in einer Schlange, vor allem nachts. Der Text eines Songs über Glasgow fiel ihm wieder ein:

      Going to start a revolution with a powder-keg of booze,

      The next or next one that I take is going to light the fuse –

      Two drinks from jail, I’m two drinks from jail.

      Trotzdem war es gut, wieder zu Hause zu sein, wenn auch nur für kurze Zeit. Zumal er wusste, dass er mit sehr viel mehr Geld abreisen würde, als er mitgebracht hatte. Nur von Paddy Collins keine Spur.

      Er ging zur »Royal Scot Bar« in der Bahnhofshalle und durch die Glastür. Auf den orangefarbenen Plastikschalen, die wohl das waren, was sich irgendein Designer mal unter einem Stuhl vorgestellt hatte, saßen drei oder vier Leute. Sie hatten nichts miteinander zu schaffen und wirkten dabei irgendwie abwesend, wie aus sich selbst vertrieben oder im Übergang zwischen zwei Inkarnationen. Hier herrschte die düstere Unaufgeräumtheit eines Ortes, der niemandem gehört, ein Abfalleimer verschwendeter Zeit.

      Aber die Gespräche am Tresen – wo er nicht vergaß, ein Pint »Heavy« und kein »Bitter« zu verlangen – ließen vermuten, dass dies die Stammkneipe nicht weniger war. Die Barfrauen mochten die Erklärung dafür sein. Die eine war jung und hübsch und so bunt geschminkt wie ein Schmetterling. Die andere älter. Früher musste auch sie hübsch gewesen sein. Jetzt war sie besser als das. Dem Aussehen nach musste sie Mitte oder Ende dreißig sein, hatte anscheinend aber keine Zeit verschwendet. Ihre Augen suggerierten, Ali Babas Höhle könne sich dahinter verbergen, vorausgesetzt, man kannte das Passwort und kam den vierzig Dieben zuvor.

      Mickey ließ sich sein Bier schmecken und dachte an Paddy. Er hätte hier sein müssen. Kein guter Anfang. Er konnte sich nicht vorstellen, dass es zu Komplikationen gekommen war, denn die Sache schien so riskant wie ein Überfall auf ein Baby im Kinderwagen.

      Ein Mann mit Brille am Tresen war betrunken genug, um sich einzubilden, er habe einen privaten Draht zu der Barfrau mit den Augen. Auf dem Grund seines Glases hatte er magische Kräfte entdeckt, und nun starrte er sie auf eine Weise an, der keine Frau widerstehen konnte. Jedenfalls glaubte er das. »Das ist die Wahrheit«, sagte er. »Wenn ich’s dir doch sag. Du hast die schönsten Augen, die ich je gesehen hab.« Sie blickte stumpf an ihm vorbei und stülpte ein Pintglas über die Spülbürsten. Er hätte genauso gut geniest haben können.

      »Ich sag’s dir. Die schönsten Augen, die ich je gesehen hab.«

      Sie schaute ihn an.

      »Verrätst du mir den Namen deines Optikers? Dann schick ich meinen Mann hin.«

      Mickey fand, es reichte. Er trank aus und nahm seine Reisetasche. Anschließend ging er runter zu den Toiletten und knurrte, weil er am Drehkreuz zahlen musste. Heutzutage kostet alles. In der Kabine machte er die Tasche auf, kramte darin nach dem lose verpackten Messer, dessen Klinge keinen Griff hatte, sondern nur mit schwarzem Klebeband umwickelt war. Er steckte es in die Innentasche seines Jacketts. Dann zog er die Spülung.

      Als er herauskam, sah er einen Mann, der wie ein Ölarbeiter aussah und seinen heftigen Bartwuchs gerade mit einem kleinen elektrischen Rasierer bändigte. Wie Sandpapier auf Rauputz. Ballater gab seine Tasche an der Gepäckaufbewahrung ab und trat hinaus auf die Gordon Street.

      Das Gewicht des Messers fühlte sich gut an, ohne dieses Argument begab er sich nicht gerne an unvertraute Orte. Aus seiner anderen Innentasche zog er einen Zettel und las die Adresse. Am besten ging er die West Nile Street rauf und dann immer weiter.

      Der Abend war angenehm. Vorbei am Empire House, das ihm gut gefiel, und zwei Männern, die sich unterhielten. Der eine erzählte von den Trinkgewohnheiten seiner Frau. »Davon würden einer Natter Titten wachsen«, sagte er.

      Der Eingang war schäbig. Den italienischen Namen, den er suchte, fand er im dritten Stock. Er drückte auf die Klingel. Der Elektrorasierer von vorhin hatte dagegen melodiös geklungen. Nichts passierte. Er drückte noch einmal, lange, und lauschte. Stöckelschuhe in einem teppichlosen Flur. Die Tür öffnete sich einen Spalt. Die Frau wirkte unkonzentriert, als wäre sie noch nicht vollständig von dort wieder zurückgekehrt, woher sie kam.

      »Kannst du später noch mal kommen?«

      Tatsächlich ein italienischer Akzent.

      »Nein«, sagte er und stieß die Tür auf.

      »Warte.«

      Aber er war schon drin. Erschrocken hatte sie die Tür zuhalten wollen, dabei war ihr rosa Morgenmantel kurz aufgegangen. Darunter trug sie nur einen schwarzen Strapsgürtel, Strümpfe und Schuhe mit Stilett-Absätzen. Wer auch immer im Schlafzimmer wartete, er stand auf Schuhe. Mickey schloss die Tür.

      »Ich bin ein Freund von Paddy Collins«, sagte er. »Wenn du keine Zeit hast, nimm dir welche.«

      Er ging den Flur entlang ins Wohn- und Esszimmer, das irgendwann einmal mit guten Absichten eingerichtet worden war. Hier gab es einen Korbstuhl mit roten Kissen, einen bunt gemusterten Sessel und ein dazu passendes Sofa. Außerdem einen weißen, runden Tisch mit passenden Stühlen. Es war unaufgeräumt und staubig. Auf dem Tisch standen schmutzige Tassen, eine Kante vertrocknetes Brot lag daneben.

      Sie war ihm gefolgt, hatte den Gürtel ihres Morgenmantels fest zugezogen, sie wirkte beunruhigt.

      »Ich kann nicht«, sagte sie und glaubte ihren eigenen Worten nicht.

      »Oh doch, du kannst.«

      Ein Mann erschien im Türrahmen. Er hatte sich die Hose hochgezogen und sein Bauch schwabbelte über dem Bund. Seine nackten Füsse wirkten verletzbar. In seinem Gesichtsausdruck lag die Gereiztheit eines Kunden, der guten Service gewohnt und jetzt enttäuscht worden war.

      »Verdammt«, sagte er. »Was ist hier los?«

      »Zieh