Dominique Noguez

Lenin dada


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      Über dieses Buch

      Waren Lenin und seine Freunde das «Balalaika-Orchester», das am Eröffnungsabend des Cabaret Voltaire «entzückende russische Volkslieder und Tänze» gespielt hatte? Sass Lenin im Publikum und rief da! da! (ja! ja!)?

      Dominique Noguez geht genau dieser Frage nach und zeigt, dass Lenin schon ein Dadaist war, bevor Dada da war, dass er an den Soireen im Cabaret Voltaire teilnahm und gar ein dadaistisches Gedicht verfasste. Doch damit nicht genug: «Es ist vor allem in der Politik, wo Lenin dada ist.» Und so landet das sinnfreie und absurde Treiben der Dadaisten plötzlich in der Realpolitik. Die Tatsache, dass zwei der wichtigsten Bewegungen des 20. Jahrhunderts in unmittelbarer Nachbarschaft ihren Anfang nahmen, war also alles andere als ein Zufall und Lenins Revolution ein grosses dadaistisches Unterfangen in den Fussstapfen von Père Ubu.

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      Dominique Noguez, geboren 1942, studierte Philosophie und war Dozent an der Sorbonne Paris für Film- und Literatur-Ästhetik. Er schrieb zahlreiche Arbeiten über Experimental- und Avantgarde-Filme, Essays, Romane und wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Prix Femina. 2012 wurde er mit den höchsten Ehren des Collège de Pataphysique – der Ernennung zum Satrapen – ausgezeichnet.

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      Jan Morgenthaler, geboren 1956 in Zürich. Studium der Medizin an der Universität Zürich, seit 1980 publizistische Tätigkeit sowie Arbeiten als Autor / Kurator im Bereich Theater, Film, Bildende Künste in Zürich und in Esfahan / Iran. Projekte u. a. «Transit 1999, Reisende Denkmäler – ein flüchtiger Sommer in Zürich» oder «Swiss Transit Esfahan – visual» (als Initiant und Organisator einer Ausstellung mit 10 Künstler/innen im Museum für zeitgenössische Kunst in Esfahan / Iran), zuletzt «Zürich Transit Maritim».

      Dominique Noguez

      Lenin Dada

      Essay

      Herausgegeben und – in Zusammenarbeit mit Patrick Straumann – aus dem Französischen übersetzt von Jan Morgenthaler

      Limmat Verlag

      Zürich

      Zum Geleit

      Dada hat eine kleine Nase nach russischem Aussehen.

      Francis Picabia1

      Dadaist sein kann unter Umständen heissen, mehr Kaufmann, mehr Parteimann als Künstler sein – nur zufällig Künstler sein.

      Richard Huelsenbeck2

      Ja, gewisse Reflexionen Lenins haben tatsächlich alle Züge dessen, was man «Pluralismus» (…) genannt hat.

      Louis Althusser3

      Lenin (…) dachte in anderen Köpfen, und auch in seinem Kopf dachten andere.

      Bertolt Brecht4

      I

      Eine brisante Offenbarung

      Die aussergewöhnliche Tatsache, dass Lenin und die ersten Dadaisten 1916 in Zürich während mehrerer Monate wie zufällig nebeneinander lebten und wirkten, ist lange Zeit ganz und gar unbeachtet geblieben. Vonseiten Lenins oder seiner Nächsten kein Wort. Nichts in der publizierten Korrespondenz.5 Seine Lebensgefährtin Nadeschda Krupskaja, die in ihren Erinnerungen an Lenin nicht mit präzisen Einzelheiten ihres Wohnortes an der Spiegelgasse und ihrer Umgebung geizt, scheint überhaupt nicht zu wissen, dass in ebendieser «kleinen engen Gasse»,6 nur wenige Meter entfernt, das Cabaret Voltaire untergebracht war. Nichts auch bei den wichtigsten Biografen.7 Wir müssen auf die Studie des Historikers Willi Gautschi (Lenin als Emigrant in der Schweiz) und die romanhafte Rekonstruktion von Alexander Solschenizyn (Lenin in Zürich) warten, um – mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Ereignis – auch nur die schlichte Erwähnung des Cabarets im Zusammenhang mit dem berühmten Mann zu finden:

      Etwas weiter entfernt, an der Münstergasse, liegt die «Meierei», wo sich das Cabaret Voltaire befand, in dem Anfang Februar 1916 der Dadaismus seine Geburtsstunde erlebte.8

      – und überdies, im zweiten Fall, ohne Dada überhaupt zu erwähnen:

      Auf eben dieser Strasse begleitet Willi [Münzenberg] seinen Lehrer [Lenin] in die Richtung, wo das Cabaret «Voltaire» ist, in dem die jungen Bohemiens ihre Nächte durch toben …9

Bild Muenstergasse

      Abb. 1: Münstergasse in Zürich. Rechts die Spiegelgasse mit Eckhaus Nr. 1, wo das Cabaret Voltaire eröffnet wurde (Foto: Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich.

      Die Dadaisten sind kaum gesprächiger. Im Tagebuch von Hugo Ball, publiziert 1927, finden wir die früheste Erwähnung dieser Nachbarschaft, allerdings als Eintrag vom 7. Juni 1917, das heisst erst mehrere Monate nach der Abreise Lenins. Der Eintrag liest sich weniger als direktes Zeugnis denn als eine nachträgliche Entdeckung:

      Mogadino, 7. VI. [1917]

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      Spiegelgasse Nr. 14, in welchem Lenin wohnte, was auch durch die Schrifttafel zwischen erstem und zweitem Stockwerk angezeigt wird (Foto: Schweizerisches Sozialarchiv Zürich).

      Ebenso einfach stellt das Georges Hugnet und später Hans Richter fest. Georges Hugnet, der kein direkter Zeuge war, ist auch der entschiedenste in seinem Urteil:

      Lesen wir aber bei Richter nach, so ist dies dennoch ganz ungewiss. Wenn auch er, der Maler, sich in der Adresse von Lenin irrt, so war er damals immerhin in Zürich und hat ihn gesehen:

      Gewiss,