Laia Arnaus Gil

Frühkindlicher Trilinguismus


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      Laia Arnaus Gil / Natascha Müller / Marina Hüppop / Meike Poeste / Elena Scalise / Nadine Sette / Abira Sivakumar / Mabel Tirado Espinosa / Katharina Sonja Zimmermann

      Frühkindlicher Trilinguismus

      Französisch, Spanisch, Deutsch

      Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

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      © 2019 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

      Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

      www.narr.de[email protected]

      Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

      ISBN 978-3-8233-8277-5 (Print)

      ISBN 978-3-8233-0183-7 (ePub)

      Vorwort

       Notre tête est ronde pour permettre à la pensée de changer de direction.

      FRANCIS PICABIA (1879 – 1953)

      Mehrsprachigkeit wird bis heute in der Regel auf den Erwerb von zwei Sprachen bezogen, wenn sie im frühesten Kindesalter einsetzt. Dabei ist in Deutschland der Fall, dass Eltern unterschiedliche Muttersprachen sprechen und ihre Kinder Deutsch als (dritte) Sprache außerhalb der Familie hören, absolut keine Ausnahme. Diese Kinder haben die Chance trilingual aufzuwachsen. Wenn sie in das deutsche Bildungssystem kommen, müssen LehrerInnen mit ihnen umgehen, also ihre Potenziale für die Lerngruppe nutzen und die Mehrsprachigkeit erhalten bzw. fördern, da diese, wenn sie aktiv gelebt wird, später Türen im Berufsleben öffnet. Der Umstand, dass bisher keine Einführung in den frühkindlichen Erwerb von drei Sprachen existiert, hat uns dazu veranlasst, eine solche zusammen mit unseren Mitarbeiterinnen zu verfassen. Erst wenn wir über den Erwerb von drei Sprachen im frühesten Kindesalter informiert sind, können wir Hypothesen, die den Erwerb einer zweiten und dritten Fremdsprache im Bildungssystem betreffen, auf Spracherwerbstheorien im Allgemeinen beziehen und Unterschiede und Gemeinsamkeiten beider Erwerbsformen formulieren, welche dann im Bildungssystem zur Förderung der Sprachen führen können.

      Die Ergebnisse, die in unserer Einführung vorgestellt werden, sind mit der Hilfe einer Sachbeihilfe durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft entstanden, der wir zu großem Dank verpflichtet sind. Empirische Forschungsprojekte sind sehr kostspielig und erfordern Höchsteinsatz von allen Mitarbeiterinnen. Die außergewöhnliche Leistung der Mitarbeiterinnen spiegelt sich u.a. darin wider, dass eine große Probandengruppe gefunden wurde und neben Testungen auch Sprachaufnahmen von dreisprachig aufwachsenden Kindern in Form von Langzeitstudien durchgeführt wurden. Hierbei muss Sprachmaterial in drei Sprachen erhoben werden; eine Herausforderung!

      Die Eltern und die Bildungseinrichtungen haben unsere Forschungen ermöglicht und uns in jeder Hinsicht unterstützt. Wir möchten uns dafür bei ihnen bedanken.

      Die erhobenen Daten haben bereits zu mehreren, sehr interessanten Bachelor- und Masterthesen geführt, was uns sehr freut. Wir haben versucht diese Ergebnisse mit einzuarbeiten, damit Studierende Mut entwickeln, eigene kleine empirische Arbeiten anzufertigen.

      Die spanischen Sprachdaten haben die folgenden wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen analysiert: Désirée Kleineberg, Claudia Kubina und Amelia Jiménez-Gaspar. Der Analyse dieser Daten konnte in unserem Buch leider kein eigenes Kapitel eingeräumt werden. Sie werden in kurzer Form in den jeweiligen im Buch zitierten Aufsätzen vorgestellt. Wir danken den beteiligten Mitarbeiterinnen.

      Die formale und stilistische Bearbeitung des Manuskripts hat Meike Poeste vorgenommen. Wir danken ihr für diese Leistung. Für die Bearbeitung unseres Manuskripts im Narr Verlag danken wir Katharina Wituschek und Kathrin Heyng.

      Wir wünschen uns, dass der Stoff der Einführung Eingang in die Lehrerausbildung findet und dazu beiträgt, die frühkindliche Mehrsprachigkeit im Bildungssystem als Chance und nicht als Stolperstein zu betrachten.

      Wuppertal, im April 2019 : Laia Arnaus Gil und Natascha Müller

      1 Trilinguismus und Drittspracherwerb

       Trilinguismus Natascha Müller Müller, Natascha

      Erwirbt ein Kind nicht zwei, sondern drei (oder mehr) Sprachen, so stellt sich die Frage, ob alle im Erwerbsverlauf dieselbe Funktion haben. Das Kapitel unterscheidet die Ausdrücke TrilinguismusTrilinguismus und DrittspracherwerbDrittspracherwerb und stellt auf der Basis von Theorien zum Drittspracherwerb Überlegungen zum Spracheneinfluss beim simultanensimultan Erwerb von drei Muttersprachen vor. Es führt in die wichtigsten Arbeiten auf dem Forschungsgebiet ein.

      1.1 Begriffsdefinition und Fragestellungen

      In der Mehrsprachigkeitsforschung unterscheidet man zwischen dem TrilinguismusTrilinguismus und dem DrittspracherwerbDrittspracherwerb. Der Trilinguismus (3L1) bezeichnet den frühkindlichensimultan und natürlichen Erwerb von drei Muttersprachen, so wie er bei jedem Kleinkind erfolgt. Der DrittspracherwerbDrittspracherwerb bezeichnet den sukzessivensukzessiv Erwerb einer zweiten Zweit- bzw. Fremdsprache, also einer Sprache, die nach dem Erwerb der Muttersprache (L1) und nach dem Beginn des Erwerbs einer ersten Zweit- oder Fremdsprache (L2) gelernt wird. Der Erwerb einer zweiten Sprache kann nach dem Mutterspracherwerb auf natürliche Weise erfolgen. Dann spricht man von einer Zweitsprache (L2). Die zweite Sprache kann aber auch nach dem Mutterspracherwerb über formalen Unterricht in der Schule erworben werden. In diesem Fall spricht man von einer Fremdsprache (wieder abgekürzt als L2). So zum Beispiel bei einem monolingual deutschen Kind, das in der Grundschule EnglischunterrichtEnglisch erhält. Auf der weiterführenden Schule wird der EnglischunterrichtEnglisch intensiviert. Ab der siebten Klasse kommt dann die Fremdsprache Französisch hinzu. Diese zweite Fremdsprache wird als Drittsprache (L3) bezeichnet. Diese besondere Bezeichnung setzt voraus, dass es einen Unterschied zwischen dem L1-, L2- und L3-Erwerb gibt. Beim L2-Erwerb steht in der Tat allein die Muttersprache als Stütze zur Verfügung, wenn Kompetenzlücken in der L2 kompensiert werden müssen. Beim L3-Erwerb ist nun die Frage, ob sich der Lerner1 auf die Muttersprache oder auf die L2 stützt. Die unspezifische, nicht die Einzelsprache unterscheidende Bezeichnung 3L1 setzt voraus, dass alle drei Sprachen gleichwertig sind. Doch auch im Fall des simultanensimultan Erwerbs von drei Sprachen wäre denkbar, dass nicht alle Sprachen im Erwerbsprozess gleichwertig sind. Diese Perspektive soll das vorliegende Studienbuch beleuchten.

      Bis heute konzentriert sich die Mehrsprachigkeitsforschung auf das simultansimultan bilinguale Kind (Hoffman 1999:16). MontanariMontanari, Simona (2013:63) nennt als Grund die aufwändige Methode, um den Spracherwerb in drei Sprachen dokumentieren zu können. Oft wird behauptet, dass der gleichzeitige Erwerb von drei Sprachen ein Mehraufwand sei, da der frühkindliche TrilinguismusTrilinguismus in der Regel als eine Erweiterung des Bilinguismus angesehen wird (vgl. die kritischen Anmerkungen zu dieser These in HoffmannHoffmann, Charlotte 2000). Diese Vorgehensweise ist vermutlich gerechtfertigt, wenn der Wortschatz betrachtet wird. Für die grammatische Entwicklung wird oft davon ausgegangen, dass es keine qualitativen Unterschiede zwischen bilingualen und trilingualen Kindern gibt (vgl. beispielsweise die Verwendung des Begriffs „multilingual“ anstelle von „bilingual“ für Personen, die zwei Sprachen gebrauchen, welche suggeriert, dass die Anzahl der Sprachen bei der Mehrsprachigkeit unbedeutend ist; vgl. JeßnerJeßner, Ulrike 1997). Jedoch berichtet HoffmannHoffmann, Charlotte (2001) in ihrem Überblicksartikel auch von Unterschieden, welche in eine Definition des Trilinguismus einfließen sollten (vgl. auch QuayQuay, Suzanne 2011a). Die Unterschiede sind sowohl quantitativer als auch qualitativer Natur, so dass die Erforschung der trilingualen Sprachkompetenz ein eigenes Forschungsgebiet darstellen sollte (HoffmannHoffmann, Charlotte 2001:1). So wird behauptet, dass trilinguale Kinder im Gegensatz zu bilingualen nicht balanciertbalanciert sein können und dass es dementsprechend immer eine dominante Sprachedominante Sprache mit zwei schwächeren Sprachenschwache Sprache