Mari März

#2 MondZauber: VERSUCHUNG


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Augen. War da nicht gerade …? In der tiefen Weite des Sees lauerte etwas Dunkles. Schwarze Schatten zuckten durch das Grün des Wassers. Ängstlich drückte sie sich zurück an die Oberfläche und tauchte prustend auf. Seltsamerweise reichte ihr das Wasser wieder nur bis zu den Knien. Die Beanna stand hinter ihr. »Hast du sie gesehen?«

      Lyra nickte wieder und schaute die Druidin fragend an. Diese nahm einen Mistelzweig von einem kleinen Tisch neben sich und strich damit über Lyras nassen Körper. »Das sind die Wächter. Sie bewachen die Grenze zwischen den Welten. Du hast noch viel zu lernen, Mädchen. Nutze die Zeit, die du bei uns bist, und gehe sorgsam mit deinem Wissen um.«

      Erstaunt sah Lyra in die weißen Augen der Druidin. Sie zitterte, als der Mistelzweig ein weiteres Mal über ihren Körper wanderte. Endlose Minuten verstrichen, in denen die Druidin die Waschung vollzog und dabei in der uralten Sprache der Geister murmelte. Dann endlich legte sie den Mistelzweig beiseite und stattdessen ihre kühle Hand auf Lyras Stirn. »Dein Körper ist nun bereit. Jetzt reinige deinen Geist! Nichts wird mehr sein, wie es war. Alles wird sein, wie vorherbestimmt.«

      Ein weiteres Mal schloss Lyra die Augen. Mit Moira hatte sie diese spezielle Technik geübt, ihren Geist freizumachen von allen Gedanken, Sorgen, Ängsten. Deshalb atmete sie nun tief ein und spülte Stück für Stück den geistigen Ballast aus ihrem Kopf. Mit jedem Atemzug sog sie Energie in sich auf und ließ ihre Gedanken ziehen. Schon bald stellte sich das Gefühl von Freiheit ein, als würde sie schweben in einem luftleeren Raum. Ihr Geist breitete sich über die körperlichen Grenzen aus. Lyra sah sich selbst aus der Vogelperspektive. Und obwohl sie von dort sehr gut erkennen konnte, dass die Beanna direkt neben ihr stand, nahm sie gleichzeitig den Gesang der Druidin wie aus der Ferne wahr. Die Alte legte ihr wieder die Hand auf die Stirn und führte Lyra auf diese Weise Stück für Stück ins Diesseits zurück.

      Dann löste sich ihre Hand von Lyras Stirn.

      »Jetzt bist du bereit für die Verwandlung.«

      Die Druidin trat ein Stück zurück und winkte Moira herbei, die sich bisher ehrfürchtig im Hintergrund gehalten hatte. Die kleine Wölfin stellte sich jetzt neben Lyra. Aufregung war in ihren Augen zu sehen, auch wenn sie sich bemühte, ganz ruhig zu sein. Die Beanna hingegen war verschwunden, nur ihre Stimme hallte durch die Höhle: »Nun ist es an dir, unserer Hybridin ihre wahre Gestalt zu offenbaren.«

      Lyra sah eine Krähe, die über den See flog. In der Ferne meinte sie, etwas aus dem Wasser steigen zu sehen. Eine Gänsehaut überzog ihren Rücken. Die Kälte war nicht nur dem Umstand geschuldet, dass sie nackt war.

      »Du frierst, Lyra. Komm, zieh das hier über und dann lass uns diesen Ort verlassen.« Moira reichte ihr ein langes weißes Hemd, das Lyra dankbar überstreifte.

      »Das war alles? Und jetzt setzen wir uns ins Mondlicht und machen aus mir eine richtige Wölfin?«

      Moira hatte ihr Lächeln wiedergefunden. Grinsend zwinkerte sie Lyra zu. »Los jetzt! Das hier war unheimlich genug.«

      Ohne ein weiteres Wort zog sie Lyra hinter sich her, die steinernen Stufen hinauf und öffnete die schwere Eichentür. Das klare Licht des Mondes empfing sie. Lyra atmete erleichtert auf, als sich das Portal hinter ihr schloss. Sie spürte die behagliche Wärme der Sommernacht auf ihrer Haut. Moira war vorgelaufen und stand nun erwartungsvoll unter dem großen Apfelbaum. Lyra gesellte sich zu ihr. Den schlimmsten Teil des Rituals hatte sie wohl hinter sich, hoffte sie zumindest. Jetzt musste sich ihr blöder Körper nur noch in einen Wolf verwandeln. Das konnte doch nicht so schwer sein, verdammt noch mal!

      Auch darüber hatte Lyra mit Ian und Moira mehrfach gesprochen. Immer wieder hatten die beiden ihr erläutert, wie es sich anfühlte, wenn die Verwandlung vollzogen wurde. Trotzdem erklärte Moira ihr jetzt noch einmal, was sie tun sollte.

      »Auch wenn wir alles schon durchgekaut haben, hier noch mal die Kurzanleitung: Nutze die Atemtechnik, befreie deinen Geist und dann stell dir dein Krafttier vor. Also einen Wolf. Das ist echt easy. Los jetzt!«

      Das mit dem Atmen hatte Lyra in der Höhle gerade eben schon richtig gut hinbekommen. Deshalb konzentrierte sie sich jetzt darauf, tief einzuatmen und die Luft kontrolliert aus ihrem Körper strömen zu lassen. Nach und nach fühlte sie sich leichter. Und wieder stieg ihr Geist aus seinem menschlichen Gefäß und kreiste nun zwischen den Zweigen des Apfelbaums. Wie schön die Welt von hier oben war. Doch Lyra wusste, dass sie nicht endlos ihren Körper verlassen durfte. Deshalb konzentrierte sie sich nunmehr auf das Abbild eines Wolfes, wie sie es sich in den letzten Tagen unzählige Male vorgestellt hatte.

      Nichts!

      Ihr Körper lag im Schatten des Baumes. Immer noch menschlich. Kein einziges Wolfshaar hatte sich gebildet.

      Schöne Scheiße!

      Lyra sah von oben, wie Moira sie anstupste. Dann beugte sich die kleine Wölfin über sie und rief: »Komm zurück, Lyra! Das wird irgendwie nichts. Fuck!«

      Kaum hatte Lyra ihren Körper erreicht, stieg die altbekannte Wut in ihr auf. »Verdammt! Wie blöd muss man eigentlich sein?«

      * * *

      »Wie schön du doch fluchen kannst. Und ich dachte, die Beanna hätte deinen Geist gereinigt?«

      Miranda?! Lyra schaute sich um und glaubte für einen Moment, sie hätte Halluzinationen. Doch dann sah sie ihre Tante in voller Größe, wie sie gerade einen rosafarbenen Kaugummi um ihren Finger wickelte. Grinsend schob sich Miranda das süße Etwas zurück in den Mund und stakste auf Lyra zu. »Dieser Boden hier ist nichts für meine High Heels. Ich bin und bleibe ein Mädchen aus der Stadt.«

      Lyra konnte es kaum fassen. »Was machst du hier? Und wie geht es Mama?«

      Miranda schlenderte auf sie zu und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. »›Hallo, Miranda! Schön, dich zu sehen.‹ Das wäre so ungefähr die Begrüßung, die ich erwartet habe. Na ja, schlechter Zeitpunkt für Ego-Theater. Und auch ein schlechter Zeitpunkt für das langweilige Geplänkel von zu Hause. Deiner Mutter geht es so weit gut, genau wie Emily. Das muss vorerst reichen. Ich denke, wir haben hier eine härtere Nuss zu knacken. Wo ist dein Amulett?«

      Das Amulett? Lyra hatte keine Ahnung, wo sie den Anhänger mit dem hellen Stein auf der einen Seite und der Sonne auf der anderen gelassen hatte. Und sie konnte sich auch nicht erklären, warum das jetzt wichtig sein sollte. Im Augenwinkel sah sie, wie Moira ihre Tante aufmerksam musterte. Auch Miranda entging dies natürlich nicht, deshalb wendete sie sich jetzt an die kleine Wölfin: »Hallo, Moira! Wie ich sehe, hat meine Nichte nach wie vor Schwierigkeiten bei der Verwandlung. Was meinst du, woran es liegt?«

      Moira zuckte resigniert die Schultern. »Ich habe keine Ahnung. Die Beanna war sehr zuversichtlich, dass es heute klappen würde. Also ... ähm ... soweit man nachvollziehen kann, was die Druidin meint.« Noch einmal zuckte sie ratlos die Schultern und schaute Miranda fragend an. Diese setzte ein verschmitztes Grinsen auf und konstatierte: »Tja, dann muss wohl eine Hexe ran und die vermaledeite Situation lösen. Ich habe auch schon eine Idee. Wo, sagtest du, ist dein Amulett?«

      Miranda schaute zu Lyra, die ein imaginäres Fragezeichen über dem Kopf trug.

      »Keine Ahnung, ist das wichtig?«

      »Natürlich ist das wichtig, Schätzchen. Ich hatte Ian gebeten, dir das Amulett zu geben und dir zu sagen, dass du es immer tragen sollst. Nun, wo ist es?«

      Lyra zog ratlos die Augenbrauen nach oben. Der energische Blick ihrer Tante ruhte auf ihr, während sie sich zu erinnern versuchte, wo die Kette abgeblieben war. Auf dem Abiball hatte Lyra sie noch getragen und dann?

      »Ich weiß nicht. Wahrscheinlich habe ich sie bei Ian im Haus gelassen, als ich mich nach dem Abiball in Windeseile umziehen und nach Irland fliehen musste.«

      Miranda sagte nichts, runzelte nur die Stirn, ging zurück zum Apfelbaum und setzte sich in seinen Schatten. Beide Mädchen