Annegret Achner

Ihr bestes Messer


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      Annegret Achner

      Ihr bestes Messer

      Mörderische Geschichten

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      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Junge, komm nie wieder

       Ihr bestes Messer

       Herbstzeitlose

       O tempora, o mores

       Totenmaar

       Ein anständiges Mädchen

       Nicht umdrehen, Alte!

       So sieht kein Monster aus

       Was soll ich tun?

       Haben Sie noch Fragen?

       Impressum neobooks

      Junge, komm nie wieder

      »Käpt'n, backen und banken!«, Greta hängt sich über die kunstvoll gedrehten Tampen, die die Terrasse begrenzen, schaut hinunter auf die 27-Fuß Westerly, die am hauseigenen Steg sanft in den braunen Wellen der Schlei schaukelt, und winkt hektisch mit den Armen. Backen und banken, lächerlich. Das Essen ist fertig, basta.

      Ein großer, bärtiger Typ im Overall, Elbsegler auf dem kahlen Kopf, eine brennende Pfeife schief im Mund, kniet auf dem Vordeck. Neben ihm steht eine Dose mit Klarlack und er pinselt sorgfältig Planke für Planke des Stabdecks ein. Der Mann hebt nicht einmal den Kopf, abgeschirmt hinter einer Wand von Seemannsliedern, die aus dem voll aufgedrehten CD-Player im Cockpit dröhnen. Resigniert lässt Greta die Arme sinken. Freddy Quinn singt »Junge, komm bald wieder«. Schiff und Mann sind in einen schalldichten Kokon gehüllt, da kommt ihre Stimme nicht durch.

      Greta starrt noch eine Weile hinunter aufs Schiff, streicht mit einer schnellen Bewegung die grauen Strähnen hinter die Ohren, zuckt die Schultern. Junge, komm bald wieder?

      Sie konnte nicht genug von ihm kriegen, damals. Aber nun, nach fast vierzig langen Jahren mit Heiner, erwischt sie sich immer öfter bei dem Gedanken: »Junge, hau doch einfach ab. Mach dich vom Acker, nimm dein Boot und verschwinde.«

      Sie humpelt ins Haus zurück. Ihr linkes Knie schmerzt heute höllisch, kein Wunder bei der kalten Nässe in den letzten Wochen. Ein paar Kilos weniger würden ihren Gelenken guttun, das weiß sie.

      Sie lässt den Blick durch die Küche wandern. Ach was: Küche. Küchenzelle, höchstens. Bullaugen statt Fenster, viel zu wenig Arbeitsfläche, ein kleiner frei aufgehängter Herd, um die nichtvorhandenen Wellen auszugleichen, unpraktische Schränke mit Feststellschrauben für die Klappen, blauweißes Seemannsgeschirr, natürlich unzerbrechlich, blauweiß gestreifte Sitzkissen auf der harten Holzbank.

      »Unsere Kombüse«, wie Heiner zu sagen pflegt, wenn er sich die Hände reibend an sie heranschleicht, ihr mit einem rauen Lachen seine Pranke auf den Hintern klatscht. »Na, ganz schön zugelegt in letzter Zeit. Ordentlich was in der Hand.«

      Greta deckt den Tisch. Er wackelt ein bisschen, müsste abgezogen werden. Doch im Frühjahr hat Heiner keine Zeit. Er muss sein Segelboot startklar machen.

      Gottseidank, seit es draußen etwas heller und wärmer ist, arbeitet er nicht im Haus. Die Titten der Gallionsfigur am Treppengeländer, deren Farbe durch das viele Antatschen längst abgeblättert ist, hat er im Winter neu vergoldet. Die beiden Steuerräder an den Wänden sind mit diesem ekligen Öl eingepinselt worden, dessen penetranter Fischgeruch dann tagelang im Haus hing und ihr Brechreiz verursachte. Aber im Moment kommt er noch nicht einmal dazu zu kontrollieren, ob sie auch die Seglerzeitungen fächerförmig auf dem Sideboard ausgebreitet hat

      »Die perfekte Bordfrau«, sein Hochzeitsgeschenk. Mit strahlendem Lächeln hatte er das Buch in ihre Hände gelegt. Und sie, sie fühlte sich auch noch geehrt. Sie war ja so verliebt in ihren blonden, blauäugigen Heiner, der Akkordeon spielte und »Nimm mich mit, Kapitän, auf die Reise« sang, während sie sich an ihn kuschelte. Mit seinem volltönenden Bariton, ganz für sie allein. Ein Hans Albers aus Kappeln, ihr Verehrer, ihr Freund, ihr Mann. Neidische Blicke der Kolleginnen.

      Dabei war er gar kein richtiger Seemann. Er hatte nie auf einem Schiff gearbeitet, weder auf einer der großen Skandinavienfähren noch auf den Touristenbooten, die die Schlei entlang tuckerten. Ein bisschen Jollensegeln und feucht-fröhliche Angeltouren mit seinen Kumpels, das war alles. Sie musste dann die stinkenden Fische zubereiten, die sie mit ihren toten Augen anglotzten. Die angeschickerten Männer wollten bekocht werden.

      Nein, nach seiner Lehre als KFZ-Mechaniker war Heiner Hausmeister geworden, schlicht und ergreifend Hausmeister bei der St. Nikolai-Kirche in Kappeln. Handwerklich begabt war er ja. Da konnte man nicht meckern. Die dunkle, grazile Greta aus Hessen hatte sich damals als Erzieherin im kirchlichen Kindergarten beworben. Schon an ihrem ersten Arbeitstag, ihr alter Fiat 500 war kurz vor der Einfahrt zum Parkplatz zusammengebrochen, hatten Heiners geschickte Hände den Motor wieder zum Leben erweckt.

      »Lass mich mal machen, lütte Deern«, hatte er gesagt und seine kräftigen Hände auf ihre Schultern gelegt. Sie hatte ihn zum Dank abends zum Italiener eingeladen. Nein danke, italienische Pasta mochte er nicht.

      »Ich esse nur Seemannkost«, hatte er gesagt und sich in der verräucherten Eckkneipe nebenan sein Lieblingsessen bestellt: Labskaus.

      Oh Gott, das blöde Labskaus. Es würde doch nicht angebrannt sein? Hektisch reißt Greta den Topf vom Herd.

      Gott sei Dank. Nur ein bisschen angesetzt. Wenn sie die Pampe vorsichtig abhebt und in einen anderen Topf umfüllt, dann wird er vielleicht nichts merken.

      Wie sie sie hasst, diese rosa Matsche. »Corned Beef, meine Liebe. Fleisch in Dosen. Die Überfahrt über den Atlantik hat früher Wochen gedauert. «

      Greta verdreht die Augen. Es gibt mittlerweile Kühlschränke, hätte sie schreien sollen. Hatte er wohl nicht mitbekommen, der Depp.

      Aber sie blöde Gans, sie fand ihn originell, ihren Heiner. Nicht so laut und oberflächlich wie die anderen jungen Männer. Strebsam und tüchtig. Und erst seine goldenen Finger. Nicht nur bei den Maschinen, das musste sie zugeben. Und, bums, war sie schwanger. Heiner war begeistert. Eine Familie gründen. Eine Seemannsfamilie mit lauter blonden, kräftigen Seemännern. Leider bekamen sie nur eine einzige kleine Seefrau. Ein zierliches, dunkles Mädchen, wasserscheu wie die Mutter. Ein Töchterchen, das sich vor Wellen fürchtete, kaltes Wasser verabscheute und prompt seekrank wurde, wenn sie ins Spülbecken guckte, in dem das Abwaschwasser kreiselnd im Ausgusswogen verschwand.

      Nach Heiners Pensionierung verließen sie die hübsche Hausmeisterwohnung in Kappeln und zogen hinter der Lindaunis-Brücke in das kleine abgewrackte Fischerhaus, das er trotz Gretas Widerstand gekauft hatte.

      »Total idyllisch«,