Wilma Burk

Jedem Tag folgt ein Abend


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      Wilma Burk

      Jedem Tag folgt ein Abend

      10 Kurzgeschichten

      Dieses ebook wurde erstellt bei

      

      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Die längste Nacht im Schnee

       Vorsicht, nicht stolpern!

       Der Fall eines Spieler

       Es ist ja nur ein Penner

       Eine seltsame Begegnung

       Das Medaillon

       Wie ein Sonnenstrahl

       Der Brillantring

       Die Perlenkette

       Ihr hundertster Geburtstag

       Impressum neobooks

      Die längste Nacht im Schnee

      Der Schnee knirschte unter unseren Stiefeln. Immer weiter konnte unser Blick schweifen, je höher wir kamen. Gipfel hinter Gipfel tauchte vor uns auf. Frisch gefallener Schnee glitzerte in der Sonne unter blauem Himmel. Ein leichter kalter Wind blies uns ins Gesicht. Doch uns, der kleinen Gruppe mit dem Bergführer, wurde wärmer mit jedem Schritt aufwärts. Mein kleiner Rucksack begann mich zu drücken nach dem langen Aufstieg. Ich blieb stehen und versuchte ihn auf meinem Rücken zu verlagern. Mark, der einen viel schwereren Rucksack trug, drehte sich zu mir um. „Was ist, Beate? Willst du schlapp machen? Wie willst du es da morgen mit bis zum Eiskogel hoch schaffen?“, fragte er besorgt.

      „Nein, nein! Es ist alles in Ordnung“, versicherte ich und stapfte kräftig den Weg weiter hinauf.

      Mark wartete und folgte mit mir den andern. „Gleich sind wir bei der Bärenhütte. Da gibt es einen heißen Tee, einen Enzian dazu und ein Lager für die Nacht. Morgen wirst du nichts anderes wollen, als zum Gipfelkreuz des Eiskogels hochzusteigen.“ Er lachte. Wie lange war es schon sein Traum, einmal dort oben zu stehen. Ich wollte es ja auch. Wenn nur nicht alles so anstrengend wäre! Aber ihm zuliebe ...

      Der Weg führte in einem Bogen um einen Fels herum. Da sahen wir die Bärenhütte vor uns, im schon abendlichen Sonnenschein. Schwer lag der Schnee auf dem weit überragenden Dach. Wärme und Gemütlichkeit verheißend stieg der Rauch aus dem Schornstein kerzengerade hoch in die plötzlich windstille Luft. Dahinter erhob sich majestätisch, Ehrfurcht einflößend der Eiskogel, mit seinem in der Abendsonne funkelnden Gipfelkreuz.

      Wir blieben stehen. der Bergführer mit der Adlernase und dem vom Wetter gegerbten Gesicht wies den Weg hinauf, über den wir morgen aufsteigen wollten. Ein nicht mehr so junges Ehepaar stand stumm daneben; er sehnig und braun gebrannt; sie nicht mehr so schlank, aber behände. Eine weiße Locke sah vorwitzig unter ihrer Mütze hervor. Ein paar Schritte von ihnen entfernt blickte ein einzelner Mann, dessen Lederhose einen Ansatz zu einem Bäuchlein verriet, andächtig zum Gipfel hoch. Er nahm seinen Hut mit einem Gamsbart ab und fuhr sich durch die dünnen Haare. „Und morgen werden wir dort oben sein“, sagte er.

      Stumm blickten wir hinauf. Dohlen umkreisten den Gipfel. Bis zu uns herunter drangen ihre Schreie.

      „Dass ich das sehen darf!“, durchbrach die Frau das Schweigen.

      „Ja, dies zu schauen und zu erleben ist ein Geschenk“, bestätigte ihr Mann.

      „Da, da! Hoch oben springen zwei Gämsen über die Felsen“, rief aufgeregt der Mann mit dem Gamsbart am Hut.

      Ja, wir sahen sie. Leises Scheppern verriet, dass sie Felsbrocken ablösten, die heruntersprangen, kling, kling, kling. Die Gämsen verschwanden irgendwo in den Felsen im Schnee. Aber immer noch war zu hören, wie Steine herabfielen. Wurden es mehr? Wurden die Schreie der Dohlen nicht schriller? Kreisten sie nicht aufgeregter um den Gipfel? Eine eigenartige Stimmung. Sie wurde mir unheimlich.

      „Weiter, weiter!“, drängte plötzlich unser Bergführer und lief mit großen Schritten voran, so dass wir Mühe hatten, ihm zu folgen. Schon wollte der Gamsbart murren, da gesellte sich zu dem Geräusch der herabfallenden Steine ein verhaltenes Grollen.

      „Da stürzt Schnee herab“, sagte die Frau und lachte unsicher. Warum lachte sie?

      „Komm jetzt!“ Ihr Mann zog sie weiter.

      Der Bergführer sagte nichts dazu, blieb stehen und forderte: „Schneller, schneller!“ Wie Schafe trieb er uns den Weg zur Hütte hoch.

      „Was soll das?“, wollte sich der Gamsbart beschweren, da nahm das Grollen zu. Es wurde zum Dröhnen; der Berg schien zu erzittern. Nur noch wenige Schritte zur Tür der Hütte. Der Wirt riss sie auf. Nichts musste mehr gesagt werden. Jeder rannte, rutschte, stolperte. Die Frau schlug hin. Der Wirt griff zu, zog sie wie ein Bündel herein und warf die Tür ins Schloss. Keinen Moment zu früh.

      Der Berg schien zu bersten. Das Dröhnen schwoll an zum wahnsinnigen Getöse. Unvorstellbare Massen rollten heran, krachten auf das Dach, schienen es einzudrücken. Holz knirschte; Glas splitterte irgendwo. Die Frau schrie, verschränkte die Arme über den Kopf. Der Mann hielt sie fest. Mark und ich hatten uns umklammert. Der Wirt, der Gamsbart und der Bergsteiger standen hilflos, wie verloren. Auf der Ofenbank, die den mächtigen Kachelofen umgab, saß die Wirtin mit ihrer Tochter, einem jungen Mädchen. Die Köpfe gesenkt, die Hände gefaltet beteten sie. Plötzlich sprangen sie auf. Dicker Rauch drang in einem kurzen Schwall aus dem Ofen, verteilte sich und ließ uns husten.

      „Gott, erbarm dich! Das Feuer! Es ist aus! Den Schornstein hat’s verstopft“, rief die Wirtin entsetzt.

      Nur noch einen Moment lang sah ich alles, dann war es schlagartig dunkel. Fenster und Tür endgültig vom Schnee zugeschüttet. Das Dröhnen draußen entfernte sich. Zu unserm Husten war ein seltsam rutschendes Rascheln im Raum zu hören, als würden Kieselsteine hereingeschüttet.

      „Mark, was ist das?“, fragte ich zitternd vor Angst und krallte mich in der Dunkelheit an ihm fest.

      „Pscht, Kleines, warte!“, versuchte er mich zu beruhigen. Dabei spürte ich doch, wie auch er zitterte. Ich merkte, dass er etwas aus seiner Tasche holte und dann flammte in seiner Hand ein Feuerzeug auf. In dem schwachen Licht sah ich, wie der Rauch sich verteilte. Alle waren noch an ihren Plätzen. Sie verharrten wie erstarrt vor Entsetzen. Gegen die Fensterscheiben presste sich Schnee und Geröll. Wie durch ein Wunder hatten sie gehalten. Von oben, da wo die Nachtlager waren, rieselte etwas die Stiege herunter, Schnee mit Geröll vermischt.

      „Jessas! A Lawin’ hat uns g’troffen. Das Dach hat’s erwischt“, sagte der Wirt.

      Die Frau ging in die Knie, kauerte am Boden, noch immer die Hände über dem Kopf. „Nein, nein! Ich will nicht sterben!“, schrie sie.

      Ich sah fragend zu Mark und erkannte, er wusste keine Antwort. Beruhigend strich er mir über die Schulter.

      „Wie kommen wir hier raus?“, fragte erregt der Mann. Er ließ seine Frau los und