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Azura Schattensang
Schattenreich
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Inhaltsverzeichnis
Prolog
Sie rannte.
Die Nacht war kalt, der Himmel sternenklar. Äste schlugen ihr ins Gesicht und Dornen zerkratzen ihre Beine, während sie durch den kleinen Wald hastete.
Mit einem leisen Aufschrei stolperte sie über eine Wurzel und fiel mit dem Gesicht voran eine Böschung hinab. Ohne Zeit zu verlieren rappelte sie sich auf und rannte weiter. Ihre Hände bluteten, aber sie merkte es kaum.
Vor ihr erschien das Ende des Waldes. Dahinter erstreckte sich eine weite, grasbewachsene Ebene. Eine dunkle und einsame Fläche unter einem gewaltigen Meer aus Sternen.
Ihre Lungen brannten und schrien nach Luft, aber sie traute sich nicht langsamer zu werden. Noch nicht. Nicht, so lange sie nicht eine größtmögliche Distanz zwischen sich und ihre Häscher gebracht hatte.
Plötzlich erhellte sich der Nachthimmel in einem feurigen Rot. Gegen jedes bessere Wissen kam sie zitternd zum Stehen und wagte einen Blick zurück.
In der Ferne konnte sie ihr Elternhaus ausmachen, welches auf einer kleiner Anhöhe stand... gestanden hatte.
Dort, wo einst ihr zu Hause gewesen war, tobte nun ein gewaltiges Feuer.
Langsam und majestätisch erhob sich ein Drache aus den Flammen, dessen Leib aus reinem Feuer bestand. Er spannte die gewaltigen Flügel, legte den schmalen Kopf auf dem langen Hals in den Nacken und brüllte in die Nacht.
Der Klang rollte über die Ebene und traf ihren Körper wie einen Schlag. Sie spürte die Tränen auf ihren Wangen. Dann erhob sich der Drache in die Luft. Mit wenigen Schlägen seiner gewaltigen Flügel gewann er an Höhe und verschwand als leuchtender Punkt am Himmel.
Kapitel 1
Ostarmanoth 323 n. DK (nach dem letzten Drachenkrieg)
Mit donnerndem Herzen erwachte Aurelia. Sie starrte an die Zimmerdecke und versuchte ihren Atem zu kontrollieren. Nur ein Traum. Es war nur ein Traum.
Dennoch - er war ein Teil ihrer Vergangenheit und er verfolgte sie wie ein Jäger seine Beute.
Sie warf einen Blick aus dem Fenster zu ihrer Rechten. Die Welt lag noch im Dunkeln. Ein schmaler rosa Streifen am Horizont kündete vom beginnenden Tag. Sie schlug die Bettdecke zurück, setzte sich auf und fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. Einen kurzen Augenblick verharrte sie so, bis sie mit einem Seufzen aufstand und zum Fenster hinüber schritt. Leise öffnete sie einen Flügel und atmete tief die kühle Morgenluft ein.
Ihr Zimmer lag nach Osten gerichtet im zweiten Stock eines einfachen Gebäudes. Von dort konnte sie auf die Dächer der Nachbarhäuser blicken, die ein gutes Stück unterhalb ihres zu Hauses lagen. Sie gehörten ebenfalls zu dem kleinen Dorf, welches sich wie eine Bergziege an die Hänge des Dornenkamms im Süden von Canthan schmiegte.
Wie von selbst fanden ihre Finger den Weg zu der Kette um ihren Hals. Es war eine schlichte, dünne Goldkette mit einem in Gold gefassten roten Edelstein. Auf den ersten Blick wirkte sie recht schmucklos und unscheinbar, doch für Aurelia war sie das Wertvollste, was sie besaß.
Mit einem letzten Blick auf das noch schlafende Dorf schloss sie das Fenster und ging zu ihrem Kleiderschrank. Wenn sie nun schon wach war, konnte sie genauso gut trainieren.
Sie entledigte sich ihrer Nachtwäsche und schlüpfte in weiche, dunkle Stoffhosen, zog ein ebenso dunkles Hemd über den Kopf und band ihre hüftlangen, schwarzen Haare zu einem Zopf zusammen. Schnell warf sie einen Blick in den Spiegel an der Wand.
Trotz der noch vorherrschenden Dunkelheit in ihrem Zimmer, leuchteten ihr ihre eisblauen Augen aus einem hübschen, aber blassen Gesicht entgegen. Sie schnitt ihrem Spiegelbild eine Grimasse, stieg in ihre braunen Lederstiefel und verließ das Zimmer.
Der begrünte Hinterhof des Hauses, welcher als Trainingsplatz diente, lag im Dunkeln und es würde noch eine Weile dauern, bis die ersten Strahlen der Morgensonne den Platz erreichten. An der offenen Seite war er von einer mannshohen Mauer aus weißem Stein eingefasst, vor welcher sich kleine, gepflegte Bäume und Sträucher duckten.
Unter einem Vordach wurden etliche Übungsutensilien gelagert. Aurelia nahm sich einen geschmeidigen Holzstab, der eben so hoch wie sie selbst war, aus einem Ständer.
Nur die letzten Sterne und einige Nachtvögel schauten ihr dabei zu, wie sie langsam, dann immer schneller, die seit Jahren einstudierten Bewegungen ausführte. Ihre Füße tanzten einen lautlosen Tanz über den gepflasterten Boden und sie vergaß sich völlig in den Bewegungen.