Klaus Steinvorth

Ella trifft Ola und Aische


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       Inhalt

      

      Ella ist die junge Heldin der Geschichte, die trotz großen Widerstandes sich für zwei diskriminierte Mitschüler einsetzt und dabei viel über sich und ihre Eltern lernt.

      Die 16jährige Ella leidet selbst unter Vorurteilen, weil sie durch ihren schwarzen Vater nicht zu den weißen Deutschen gehört. Sie hat ihr Internat wegen einer Brandstiftung verlassen müssen und versucht in der Schule ihrer provinziellen Heimatstadt Fuß zu fassen. Das fällt ihr nicht leicht, weil sie als arrogante Schülerin wahrgenommen wird, die sich wegen ihres reichen Stiefvaters alles erlauben kann. Dass sie sich für zwei Außenseiter einsetzt, für Ola, einen Flüchtling aus Nigeria, und für Aische, eine Deutschtürkin, provoziert die rechten Anführer ihrer Klasse. Sie mobben und bedrohen Ella und ihre Freunde, und als Ella und Ola sich verlieben und ihre Liebe nicht verheimlichen, werden sie brutal überfallen.

      Ella fährt in den Herbstferien mit Ola und Aische nach Berlin, um dem Klima von Bedrohung und Gewalt zu entkommen. Ola hat ein Angebot seines Onkels, in seiner Autowerkstatt zu helfen. Aische flüchtet vor ihrer Familie, weil sie Angst hat, von einem Urlaub in der Türkei nicht zurückzukommen. Dadurch gerät die Fahrt nach Berlin zu einer Flucht, wo Vorurteile und Missgunst nicht geringer werden, wie Ella es sich erhofft hat, sondern sogar noch zunehmen. Auch Berlin ist nicht der erhoffte Ort der Freiheit. Nur durch die Vermittlung ihrer Großmutter, die Ella in Berlin besucht, kann die drohende Unfreiheit für Aische und Ola abgewendet werden. Ihr gelingt die Versöhnung der Familien, so dass Ella und Aische ein neues Verhältnis zu ihren Müttern gewinnen, während sich für Ola eine neue Zukunftsperspektive eröffnet.

      Klaus Steinvorth hat Jugendbücher im Ensslin- und Fischer-Verlag veröffentlicht, war als Lektor und Lehrer 15 Jahre im Ausland (davon zwei Jahre in Nigeria) und wohnt jetzt in Norderstedt bei Hamburg.

      Bildnachweise. Titel: dot.com.asc.upenn.edu

      Rückseite: sos-kinderdörfer.de stuttgarter-zeitung.de

      1

      Wenn der Held kam, hörte ich ihn schon von weitem. Ein scharfes Knallen der Autotür, federnde Schritte auf dem Kies, zwei kurze Klingelsignale. Der Herr des Hauses hatte zwar einen Schlüssel, aber er liebte es empfangen zu werden. Die Heldin ging an die Tür, Umarmung, Küsse, dann die Frage: „Was machen die Kinder?“

      Mit Kindern war Hero gemeint, die Miniaturausgabe des Helden, von der Familie geherzt und gehätschelt. Sein richtiger Name war Hieronymus, weil der Held es griechisch mochte, mich nannte er Eleonore. Schritte polterten auf der Treppe, Hero krähte: „Hallo, Daddy!“

      „Hallo, mein Lieber!“

      „Darf ich dir nachher wieder helfen?“

      „Klar. Wie war die Schule?“

      „Alles okay, Daddy! Läuft geschmiert. Wie unser Boot!“

      Vater und Sohn-Lachen!

      Unser Boot! Ich ballte die Fäuste. Ich durfte nicht helfen! Ich war zu unpraktisch. Ich würde alles ruinieren. Nach mir erkundigte sich der Held nicht einmal!

      Ja, ich würde alles ruinieren! Benzin auf das Boot, ein Streichholz, zisch und zack, das Feuer knackt! Sicher würde die Versicherung bezahlen. Er war ja gegen alles versichert. Dennoch. Er hätte mich auf seinem Radar. Er würde mich nicht übersehen können.

      Er war ja immer in Eile, stand immer unter Druck, musste so vieles erledigen, war in zwei, höchstens drei Wochen schon wieder weg, in New York, wo sein Geschäft nach ihm rief. Und ließ die Heldin allein, die sehen musste, wie sie damit klarkam.

      Sie kam damit klar, weil sie sich nichts anmerken ließ. Sie war schön, ruhig, gleichmütig. Sie war so schön, weil sie nichts aufregte. Sie hatte kein Fältchen im Gesicht, nicht mal an den Augen. Jeder dachte, sie wäre viel jünger, hielt sie, wenn man uns zusammen sah, nie für meine Mutter. Doch einmal hatte die Leidenschaft diese ruhige, schöne Frau gepackt, und das Ergebnis war ich gewesen.

      Darüber sprach sie nicht mit mir. Was ich wusste, hörte ich von Oma häppchenweise. Ich musste selbst sehen, wie ich damit klarkam. Ich kam damit aber nicht klar, denn ich wechselte so oft die Schulen wie andere die Hosen. Und kam immer wieder in mein Heimatkaff zurück, ein nichtssagendes Nest inmitten vieler Seen, in die alle glotzten, um sich selbst zu sehen. Aber sie wollten keinen anderen sehen, schon gar nicht Fremde!

      Ich aber war eine Fremde, was man auf den ersten Blick sah. An meiner Haut, an meinem Haar. Als die Leidenschaft meine Mutter packte, verlor sie ihre Unschuld an einen afro-amerikanischen Pianisten in Berlin. Sie war 18 und er auf Durchreise und dass ich am Leben blieb, verdankte ich Oma.

      Sie sagte, dass meine Eltern nicht mit mir gerechnet hatten. Mein Vater verschwand und ließ nur seinen Vornamen zurück. Antwan hieß er, was französisch klang, so dass ich mir einen coolen Typen aus New Orleans vorstellte, der so fantastisch spielte, dass selbst meine kühle Mutter ihm nicht widerstand.

      Sie glaubte auch nicht an mich. Selbst im sechsten Monat hielt sie ihren Bauchumfang für normal. Erst bei einer Routineuntersuchung kam heraus, dass sie schwanger war. Da war die Kacke am Dampfen! Sie dachte sogar an Abtreibung, aber Oma hielt sie davon ab. Sie wollte für mich sorgen, wenn meine Mutter studierte und keine Zeit hatte.

      Oma zog mich die ersten vier Jahre auf, dann traf meine Mutter Hermann Held und wurde Heldin. Sie konnte ihm nicht widerstehen, weil er Reichtum und Sicherheit versprach. Er spielte zwar nicht Klavier, war aber auch auf Durchreise, so dass sie sich schön machte, um ihn zurückzuholen.

      Schön für den Mann zu sein, das war für sie der Sinn der Ehe! Gott, wie ekelhaft! Sich von einem Mann vorschreiben zu lassen, wie man aussah! Ging es noch schlimmer? Man sollte natürlich nicht wie eine Schlampe aussehen, aber darüber entschied kein anderer als ich! Ich entschied, wie ich meinen Typ zur Geltung brachte, nur ich!

      Ich betrachtete mich im Spiegel. Was hatte ich von meinem Vater? Das war die spannende Frage. Augen, Nase, Mund waren eher von der Heldin, die gaben das Gesicht, das die Leute gerne anguckten. An meinen Zähnen war mein Vater beteiligt, ich machte mühelos ein Zahnpastareklamelächeln nach. Auch für meine wirren Haare hatte er gesorgt, die ich lang trug, gedreht und lockig. Aber ich war klein und zierlich, die Heldin groß und schlank. War der Pianist aus New Orleans ein kleines Männlein? Unmöglich! Die Heldin konnte keinem Knirps erlegen sein!

      Ich kontrollierte die Körpermaße am Wandspiegel: Busen-Taille-Hüfte gut. Nur die Größe: zu kurz, zu kurz! Warum wuchs ich nicht?! Ich nahm den Wandspiegel ab, legte ihn auf den Boden. Von dieser Perspektive sah ich klasse aus, lange Beine, schlanker Körper, Modelgröße. Der Kopf war klein geschrumpft. War für die Männer nicht wichtig, sie wollten nur den Körper!

      Ich stampfte wütend mit dem nackten Fuß auf den Spiegel. Ich wollte nicht für die Männer schön sein! Blut breitete sich aus, rann über die zersplitterte Gestalt.

      In dem Augenblick blinkte es rot, schrillte es grell. Die Warnanlage des Helden ging los, von seiner Firma verfertigt und vertrieben. Der Direktor wollte Elektronik auch in seinem Haus. Es war aber keine Warnung vor Einbrechern, es war nur das Signal zum Essen! Der Held wünschte zu speisen. Im Kreis seiner Familie. Die Heldin würde ihn bedienen, Hero an seinen Lippen hängen. Und mich würde man wie das Aschenputtel übersehen! Ich war so überflüssig wie das Blut, das immer noch rann. Kam keiner, um mich zu erlösen? Rucke di guh, Blut ist im Schuh!

      Ich humpelte zur Badewanne, wusch den Fuß, trocknete ihn, bepflasterte ihn, wollte kein Blut. Dann in die Hausschuhe, damit der Fuß bedeckt war, und die Treppe hinunter: rucke di guh, rucke di guh!

      An seiner Tafelrunde saß der Held, winkte mich heran und ließ sich einen Kuss geben. Alles Ritual! Den blutigen Fuß sah er nicht. Ich fühlte, wie es feucht zwischen den Zehen wurde. Würde ich sterben, wenn es weiterrann? Eine Ohnmacht wäre auch nicht schlecht. Dann müssten sie mich sehen. Obwohl Hero nichts mitbekommen würde, der glotzte