Carsten Both

Redewendungen: Episoden 2003


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      Carsten Both

      Redewendungen: Episoden 2003

      Redewendungen – Oft verwendet, Ursprung unbekannt?! – EPISODE 37 bis 44 (Argus, Hermes, Ritter, Faden, Strich, Bart, Bock, Adam)

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      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Episode 37: Argwöhnisch äugt der Argus

       Episode 38: Wer versiegelt luftdicht?

       Episode 39: Armer Ritter

       Episode 40: Faden(scheinigkeiten)

       Episode 41: Gerade, kürzere Linie

       Episode 42: Antlitzpelz

       Episode 43: Geil und stur

       Episode 44: Die Adams

       Episode 45

       Impressum neobooks

      Episode 37: Argwöhnisch äugt der Argus

      Die griechische Mythologie ist längere Zeit in unserer kleinen aber feinen Kolumne ein wenig vernachlässigt worden. Dabei hat diese Phantasiewelt mit ihren abgefahrenen Freaks, Jehovas und Chimären immer ein paar Kreaturen parat, die sprichwörtlich geworden sind, da sie es aufgrund ihrer Taten und Begabungen einfach werden mussten. Etwa Sisyphus [siehe Episode 3] oder Pandora [siehe Episode 7] oder Herkules [siehe Episode 8] oder Phönix [siehe Episode 24]. So ebenso das mythologische Überwachungsgenie, welches für die Argusaugen verantwortlich zeichnet.

      Wenn man auf eine besonders scharfe Beobachtung hinweisen möchte, die meist durch (berechtigtes) Misstrauen begründet ist oder wird, dann spricht man davon, jemanden oder eine Sache mit Argusaugen zu beobachten, zu bewachen. Das dazugehörige Adjektiv argusäugig bedeutet „scharfäugig“, „sehr wachsam“. Sehr wachsame bis misstrauische Personen, Organisationen und staatliche Stellen haben Argusaugen, mit denen sie aus ihrer subjektiven Sicht auf etwas Suspektes, Auffälliges, Verdächtiges (hinunter)blicken.

      Der Eigentümer der angesprochenen Augen ist der Riese und Hirte Argus (unlatinisiert <griech.> Argos), der von der Göttin Hera zum Hüter der in eine Kuh verwandelten Io bestimmt wurde.

      Sein vollständiger Name lautete Argus Panoptes – „der Allessehende“ – und dieser Titel war Programm, von einer Aufsehen erregenden anatomischen Ausstattung ist die Rede: Sein ganzer Körper soll mit Augen übersät gewesen sein, wobei sich die meisten Quellen auf hundert Stück festlegen. Die Zaudernden unter den Autoren beschreiben Argus einfach als „vieläugig“.

      Die Sagengestalt wird mutmaßlich erstmalig in „Die Schutzflehenden“ des griechischen Tragödiendichters Aischylos (um 525-456 v.Chr.) erwähnt. In diesem Stück wird in der Stadt Argos der „allesschaunde Hüter“ der Kuh Io vorgestellt. Und dieser „allerspähnde Hirte“ trüge (ebenso) den Namen des Fluchtortes.

      Im Deutschen ist der Ausdruck „Argusaugen“ Ende des 17. Jahrhunderts erstmalig belegt. Noch Friedrich Schiller (1759-1805) bemüht das Bild des aufmerksamen Hüters allerdings (auch) ohne Augen: In „Kabale und Liebe“ (1784) lässt er den Sekretär Wurm doppelt sagen: „Halten Sie sich deswegen an den Major – an den Major – der mich den ganzen Tag wie ein Argus hütet.“ (III, 6) Und in „Maria Stuart“ (1800) spricht der Graf von Leicester davon, „wie ein Gefangener vom Argusblick der Eifersucht gehütet“ zu sein (II, 8).

      Laut Mythologie qualifizierte sich Argus übrigens nicht nur allein wegen seiner Vieläugigkeit und der grandiosen Weit- und Übersicht als Riese für den Hüterjob. Ein ganz besonderer Trick ermöglichte es ihm außerdem, die Überwachungstätigkeit ohne Ablösung und Urlaub permanent zu garantieren: Von seinen zahlreichen Augen schloss er jeweils immer nur ein Augenpaar (oder ein paar Augen?), um zu „schlafen“, kam folglich seinen Arbeitspflichten durchgehend Tag und Nacht ohne Pause nach, eine Arbeitnehmer-Rundum-Einsatzfähigkeit, wie sie sich heute der gemeine Arbeitgeber nur erträumen kann; aber die Gentechnik steht ja erst am Anfang ...

      Allerdings nicht nur auf gewisse Arbeitgeber wirken die Fähigkeiten des mythologischen Wächters beeindruckend, sondern sicherlich gleichfalls auf so manchen Innenpolitiker, der sich mehr oder weniger heimlich wünscht, seine Beamtenschergen wären mit solchen Augen für die Totalüberwachung des Volkes ausgestattet. Die biologischen Überwachungskameras könnten sich dann konspirativ unter die viel zu undurchsichtigen Bürger mischen, besonders in ausgemachten „Gefahrenbereichen“ (also in der gesamten Stadt).

      Im Interesse freiheitlich gesinnter Bürger (hoffentlich gibt's davon noch ein paar?!) sollten folglich die innenpolitischen Aktivitäten und „Zukunftskonzepte“ gewisser Staatskünstler mit Argusaugen beobachtet werden.

      In der griechischen Sagenwelt hat der Hüter mit den vielen Sehorganen aber lediglich EIN Rindvieh über- und bewachen müssen, womit mir eine grandiose Überleitung aus der Realpolitik zurück zur netten Ursprungsgeschichte gelungen ist, die ich ja noch gar nicht näher ausgeführt hatte:

      Io war im Hauptberuf hübsch und Priesterin der Göttin Hera sowie nebenberuflich als Geliebte des Zeus tätig, der ja bekanntlich – rein formal – mit Hera eine offizielle Liaison (Ehejoch) hatte. Die amtliche Gattin war zufällig auch Schutzgöttin des ehelichen Lebensbundes, der i.d.R. lediglich höchstens vier Jahre gleichfalls ein Liebesbund ist. Daneben soll Hera obendrein die Schwester des Zeus' gewesen sein, denn verworren-inzestiöse Verwandtschaftsverhältnisse galten in der griechischen Sagenwelt als schick.

      Dummerweise ließ sich Zeus – der bekanntlich hinter jeder Eva her war, egal ob göttlich, halbgöttlich oder sterblich – von seiner Gattin/Schwester mit der bildschönen Io in flagranti [siehe Episode 9] erwischen. Hera sagte daraufhin zu der Nebenbuhlerin „Du olle Schlampe!“ (damals galt diese Titulierung noch nicht als Kompliment) und verwandelte die Geschlechtsgenossin kurzerhand in eine weiße Kuh, was höchstwahrscheinlich Ios Anziehungskraft auf die Männerwelt etwas reduzierte, auch wenn die Quellen (sarkastisch?) von einer „schönen Kuh“ berichten.

      Interessanterweise gibt's hinsichtlich dieser spontanen Kuhentstehung noch eine alternative Version innerhalb dieser ansonsten geläufigen Dreiecksgeschichte: Danach soll Zeus es gewesen sein, der seine Geliebte – quasi als Tarnung – in die Färse verwandelt hat, um die Gespielin vor der plötzlich auftauchenden rachsüchtigen Alten in letzter Sekunde in Sicherheit zu bringen. Hera war zwar eifersüchtig und aus Männersicht eine Spielverderberin, aber dumm war sie nicht. Sie durchschaute das Spiel und erbat die Kuh als Geschenk. Der erwischte Gatte/Bruder konnte nicht ablehnen, ohne sich verdächtig zu machen, und so kam die mutierte Io in Isolationshaft und Argus wurde von Hera als unüberwindbarer Wächter angestellt, sodass sich nie wieder der liebestolle Gatte/Bruder der jüngeren, attraktiveren Rivalin nähern könne.

      Bei der Argus-Fabrikation soll übrigens eine