Anonym

Erzählungen aus 1001 Nacht - 1. Band


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      Anonym

      Erzählungen aus 1001 Nacht

      2. Band

      Texte: © Copyright by Anonym

      Umschlag: © Copyright by Gunter Pirntke

      Verlag:

      Das historische Buch, Dresden / Brokatbookverlag

      Gunter Pirntke

      Mühlsdorfer Weg 25

      01257 Dresden

      [email protected]

      Inhalt

       Impressum

       Zweiunddreißigste bis einhundertsechste Nacht

       Die Geschichte des Barbiers

       Des Barbiers Erzählung von seinem ersten Bruder

       Des Barbiers Erzählung von seinem zweiten Bruder

       Des Barbiers Erzählung von seinem dritten Bruder

       Des Barbiers Erzählung von seinem vierten Bruder

       Des Barbiers Erzählung von seinem fünften Bruder

       Des Barbiers Erzählung von seinem sechsten Bruder

       Der Schluss der Geschichte des Schneiders

       Die Geschichte Nur al-Din Alis und des Mädchens Anis al-Dschalis

       Die Geschichte Ghanim bin Ayyubs, des Verstörten, des Sklaven der Liebe

       Die Geschichte des ersten Eunuchen namens Bukhait

       Die Geschichte des zweiten Eunuchen namens Kafur

      Zweiunddreißigste bis einhundertsechste Nacht

      Die Geschichte des Barbiers

      »Ich lebte in Bagdad zur Zeit Al-Mustansir bi'llahs, des Sohnes Al-Mustasi bi'llahs, des damaligen Kalifen, eines Fürsten, der die Armen und Bedürftigen liebte und die Gesellschaft der Gelehrten und Frommen suchte. Eines Tages aber geschah es, daß er ergrimmte wider zehn Räuber, die auf den Straßen des Kalifen raubten, und er befahl dem Präfekten von Bagdad, sie am Tage des großen Festes vor ihn zu führen. Da zog der Präfekt aus, nahm sie gefangen und schiffte sich ein mit ihnen in einem Boot. Ich erblickte sie, als sie das Boot bestiegen, und sagte zu meiner Seele: ›Diese sind sicher versammelt, um eine Hochzeit zu feiern; ich glaube, sie wollen den Tag in diesem Boot verbringen und essen und trinken, und niemand soll teilhaben an ihrem Gelage als ich.‹ So stand ich auf, ihr Herren, und im Übermaß meiner Höflichkeit und im vollen Ernste meines Verständnisses stieg ich zu ihnen ins Boot und begann, mich mit ihnen zu unterhalten. Sie ruderten quer hinüber zu dem anderen Ufer und landeten dort; doch die Wachen und Hüter des Friedens kamen mit Ketten herbei und legten sie den Räubern um den Hals. Und mit den anderen allen fesselten sie auch mich; nun saget, ist es nicht Beweis genug für meine Höflichkeit und für meine Wortkargheit, daß ich den Mund hielt und nicht einmal mit ihnen sprach? In Ketten führten sie uns fort und schleppten uns am nächsten Morgen vor Al-Mustansir bi'llah, den Beherrscher der Gläubigen, und er befahl, den zehn Räubern den Hals zu brechen. Und als sie alle auf dem Blutleder saßen, trat der Schwertträger vor und zog das Schwert und schlug die Köpfe einen nach dem anderen ab, bis er den zehnten getroffen hatte und nur noch ich zurückblieb. Und der Kalif sah mich an und fragte den Träger des Schwertes: ›Was fehlt dir, daß du nur neun Köpfe abschlägst?‹ ›Allah verhüte‹, versetzte er, ›daß ich nur neun abschlüge, wenn du mir befiehlst, zehn abzuschlagen!‹ Sprach der Kalif: ›Mich dünkt, du hast nur die Hälse von neunen getroffen, und der da vor dir steht, das ist der zehnte.‹ ›Bei deiner Wohltätigkeit!‹ erwiderte der Henker, ›ich habe zehn geköpft.‹ ›So zähle sie!‹ rief der Kalif; und als sie die Köpfe zählten, siehe, da waren es zehn. Und der Kalif sah mich an und sagte: ›Weshalb bewahrst du zu solcher Stunde Schweigen, und wie kommst du in die Gesellschaft dieser Menschen des Blutes? Sag mir den Grund, denn wahrlich, du bist hoch in den Jahren, aber dein Verstand ist schwach.‹ Als ich nun diese Worte aus dem Munde des Kalifen hörte, sprang ich auf und sagte: ›Wisse, o Fürst der Gläubigen, ich bin der schweigsame Schaykh, und so geheißen, um mich von meinen sechs Brüdern zu unterscheiden. Ich bin ein Mann von ungeheurer Gelahrtheit; und der Ernst meines Verständnisses, die Findigkeit meines Witzes und die Kargheit meiner Rede, all das ist ohne Grenzen, und von Beruf bin ich Barbier. Gestern aber ging ich in der Frühe aus und sah diese Leute, als sie zu einem Boote gingen; und da ich glaubte, sie seien auf dem Wege zu einer Hochzeitsfeier, so schloß ich mich ihnen an und mischte mich unter sie. Nach einer Weile aber kamen die Wachen und Hüter des Friedens und legten ihnen Ketten um den Hals, und mit den anderen auch um meinen; im Übermaß meiner Höflichkeit aber hielt ich den Mund und sprach kein Wort; und das war nichts als Großmut von meiner Seite. Sie führten uns in deine Gegenwart, und du gabst Befehl, den zehnen den Kopf abzuschlagen; und doch gab ich mich dir noch nicht zu erkennen, und schweigend blieb ich stehen vor dem Träger des Schwertes, und einzig aus der Fülle meiner Großmut und Höflichkeit, die mich trieb, ihr Schicksal zu teilen. Aber mein ganzes Leben lang habe ich so edel an den Menschen gehandelt, und sie vergelten mir mit der ärgsten und schmählichsten Vergeltung!‹ Als der Kalif nun meine Worte hörte und erfuhr, daß ich ein Mensch von übermäßiger Großmut und von so wenigen Worten wäre, ein Mensch, in dem kein Vorwitz lebte (wie doch dieser Jüngling behauptete, den ich aus Todesgefahr gerettet habe, und der es mir so schmählich vergalt), da lachte er in unbändigem Lachen, bis er auf den Rücken fiel. Und er sprach zu mir: ›O Schweiger, gleichen dir deine sechs Brüder an Weisheit und Wissen und Kargheit der Rede?‹ und ich erwiderte: ›Nimmer waren sie wie ich! Du wirfst Schimpf auf mich, o Beherrscher der Gläubigen, und es steht dir nicht an, mich mit meinen Brüdern auf die gleiche Stufe zu stellen; denn jeder von ihnen hat infolge der Fülle seiner Rede und infolge seines Mangels an Höflichkeit und Ernst irgend ein Brandmal davongetragen. Der eine ist einäugig, ein zweiter gelähmt, ein dritter stockblind, ein vierter der Ohren und der Nase beraubt, einem fünften sind beide Lippen abgeschnitten, und der sechste ist bucklig und ein Krüppel. Und glaube nicht, o Beherrscher der Gläubigen, ich gehe mit Worten verschwenderisch um; aber ich muß dir unbedingt deutlich machen, daß ich ein Mensch von höherem Wert und von weniger Worten bin als irgendeiner von ihnen. An jedem meiner Brüder hängt eine Geschichte, wie er zu seinem Körperfehler kam, und diese Geschichten will ich dir erzählen.‹ So lieh der Kalif sein Ohr

      ›Wisse denn, o Beherrscher der Gläubigen, mein erster Bruder, Al-Bakbuk, der Schwätzer, ist bucklig. Er erlernte in Bagdad das Schneidergewerbe, und er nähte in einem Laden, den er von einem sehr begüterten Manne gemietet hatte; der Hausherr aber wohnte über dem Laden, und unten im Hause war noch eine Kornmühle. Eines Tages nun, als mein Bruder, der Bucklige, in seinem Laden saß und schneiderte, hob er von etwa den Kopf und sah in einem überdachten Fenster eben dieses Hauses, dem aufgehenden Monde gleich, eine Dame, die die Vorübergehenden betrachtete. Und als mein Bruder sie erblickte, wurde sein Herz von Liebe zu ihr erfaßt, und den ganzen Tag