Anita B.

Zwischen Knast und Alltag


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viel), bin sehr humorvoll, bin natürlich immer für meine Partnerin da, auch wenn es ihr schlecht geht (Selbstverständlichkeit), ich hasse es Spielchen zu spielen, finde Vertrauen enorm wichtig und bei mir darfst du dich jederzeit fallen lassen. Von daher bin ich ja wohl der perfekte Partner für dich!

      Fast schon zu perfekt für meine Bedürfnisse, aber daran könnte ich mich zur Not gewöhnen.

       So, mein süßer Schatz, inzwischen ist es zehn vor drei, ich bin hundemüde, aber ich wollte dir einfach heute noch schreiben und bei so vielen Fragen, die ich zu beantworten hatte, ist der Brief auch gleich etwas länger geraten. Ich werde jetzt kurz schlafen und von dir träumen. In drei Stunden muss ich schon wieder raus. Ich denk an dich, Lara! Liebe Grüße, dein John

      Mein erster Besuch in einer JVA

      Die Jungs sind bereits oben in ihren Betten. Ich schaue auf die Uhr. Zwischen achtzehn und einundzwanzig Uhr kann man in Kaisheim wegen der Besuchstermine anrufen. Ich probiere es jetzt einfach! Was habe ich schon zu verlieren? Ich suche die Telefonnummer raus. Mein Herz pocht wie wild, als es klingelt. Ich bin total aufgeregt. Passiert ja nicht alle Tage, dass man in einer Justizvollzugsanstalt anruft. Außerdem weiß ich gar nicht so richtig, was ich eigentlich fragen möchte.

      »Justizvollzugsanstalt Kaisheim, Grüß Gott!« Ich sage meinen Namen, stammle etwas von meinem ausgefüllten Besucherzettel, den ich schon vor drei Wochen abgeschickt habe und möchte gerne einen Termin ausmachen. »Jetzt mal langsam!«, unterbricht mich der Beamte. »Wie heißen Sie und wen möchten Sie besuchen?« Ich erzähle ihm noch einmal, wer ich bin und dass ich gerne John Jackson sehen möchte, wir aber immer noch nichts hinsichtlich des rosa Antrags gehört haben. »Moment mal bitte.« Er legt den Hörer beiseite und ich warte eine gefühlte Ewigkeit.

      »Da haben Sie Glück«, meldet er sich freundlich zurück. »Der ist inzwischen bewilligt worden. Wann möchten Sie Herrn Jackson denn besuchen?« Ich zögere keine Sekunde: »Wären eventuell gleich morgen Nachmittag die vollen zwei Stunden möglich?« »Das kann ich Ihnen leider jetzt nicht zusagen. Im Moment schaut es ganz gut aus, aber ich weiß nicht, wer noch anruft.« »Okay, dann probiere ich es auf gut Glück und komme morgen um dreizehn Uhr. Muss ich noch etwas Spezielles mitbringen?« »Ihren Personalausweis oder Reisepass und wenn Sie möchten zwei Euro, dass sich der Gefangene zwei Tafeln Schokolade holen darf.«

      In Gedanken stelle ich mir das gerade bildlich vor, Johns Gesicht, wenn ich ihm zwei Euro in die Hand drücke. Der lacht sich doch kaputt. John hat immer so viel verdient und ich gebe ihm Geld für Schokolade. Ich lache beinah laut los.

      Erst nach dem Telefonat überlege ich, wie ich den morgigen Tag organisiere. Einmal mehr werde ich meine Mom bitten müssen, mir mit den Jungs zu helfen. Was sage ich ihr eigentlich, wo ich plötzlich so dringend hinfahren muss? Ich werde ewig unterwegs sein, denn zusätzlich zu dem hoffentlich zweistündigen Besuch, muss ich ja noch jeweils zwei Stunden Fahrtzeit hin und zurück einrechnen.

      Meine Mom weiß bisher nichts von John, nicht einmal von der Annonce hatte ich ihr erzählt. Ich rufe sie an und schiebe für morgen Nachmittag einen Arztbesuch in München vor. Zum Glück hat sie Zeit und ist einverstanden. Ich kann ihr die Kinder am Vormittag bringen.

      Dann stelle ich schelmisch grinsend fest, dass ich John morgen ganz schön überfallen werde. Er weiß vielleicht noch gar nicht, dass mein Besucherantrag endlich bewilligt worden ist.

      Und was ziehe ich an? John hat mich vierzehn Jahre nicht gesehen. Aussehen ist ihm total wichtig. Den ganzen Abend probiere ich verschiedene Oberteile an und entscheide mich schließlich für die Ich-bin-wie-ich-bin-Variante mit Jeans, rotem New-York-City-Top und einem Hilfiger-Pulli drauf. Das ist es ja gerade, was ich mir von diesem Besuch erhoffe, dass wir uns entweder noch genauso verstehen und mögen wie damals oder aber wir stellen fest, es passt nicht und dann bitte sofort! Denn so aufgewühlt und unter Strom wie die letzten Wochen, das stehe ich nicht mehr lange durch. Auch diese Nacht schlafe ich schlecht, immer wieder läuft der morgige Tag vor meinen Augen ab. Und doch wird er komplett anders, als ich mir das vorgestellt habe.

      In der Früh sind die Jungs begeistert von der Idee, heute einen Omi-Tag einzulegen. »Yay. Yippie! Zur Omi fahren!«, tönt es wie aus einem Mund. »Mit Omi Kuchen backen!«, ruft Nic munter durchs Haus und Felix singt hinterher: »Kuchen backen, Kuchen backen.« Ihre Sachen sind gepackt, nach dem Frühstück geht es los. Somit kann ich noch ein wenig dabeibleiben und muss die Jungs nicht so abrupt verlassen. Gegen halb elf mache ich mich auf den Weg. Dank Navi und relativ leeren Straßen bin ich viel zu früh in Kaisheim.

      Briefpapier habe ich seit Wochen immer dabei und inzwischen ist es fast schon zur Gewohnheit geworden, dass ich jede freie Minute nutze, um John zu schreiben. Warum nicht auch auf dem Parkplatz vor der JVA. Wenn ich mir das hier so anschaue, sieht das Gebäude vor mir überhaupt nicht aus wie ein Gefängnis, eher wie ein altes Kloster. Ich hatte mir ein Gefängnis immer mit einer hohen Mauer und Stacheldraht vorgestellt. Erscheint optisch also gar nicht so schlimm.

      Somit bin ich am letzten Junitag, gut drei Monate nach meiner Annonce, das erste Mal in einer Justizvollzugsanstalt. »Na dann, in wenigen Minuten weiß ich mehr«, mit diesen Worten steige ich aus. Den Brief nehme ich mit. Das Porto kann ich mir sparen und John bekommt ihn einen Tag früher als mit der Post. Ich gehe zur Tür und klingle. Ein komisches Gefühl durchfährt mich. Wieder habe ich schweiß-nasse Hände. Am Empfang gebe ich meinen Ausweis ab und bekomme einen Schlüssel. Ich frage, ob ich den Brief für John hier abgeben kann. Der Beamte wundert sich, warum der so dick ist: »Aber Geld ist keines drin, oder?« Ein wenig überrascht antworte ich: »Nein, nur Fotos von den Kindern.«

      Danach folgt ein Sicherheitscheck genau wie am Flughafen. Langsam gehe ich durch die Lichtschranke. Es piepst. »Haben Sie einen Gürtel um?« »Ja, hab ich.« Ich lege ihn ab und versuche es erneut. Wieder piepst es. »Ziehen Sie bitte Ihre Stiefel aus!« Jetzt klappt es und ich darf mich wieder ankleiden. Ich denke mir meinen Teil und werde durch die große Eisentür in den Besucherraum geführt. Eigentlich muss ich noch auf die Toilette, aber ich möchte John nicht länger warten lassen.

      Die Minuten, die ich im Warteraum verbringe, fühlen sich an wie Stunden. Meine Hände sind inzwischen eiskalt. Ich lese den Hinweis mit den Besuchervorschriften bestimmt schon zum fünften Mal, als ich endlich aufgerufen werde: »Besuch für Jackson!« Ich stehe auf und gehe langsam durch die Tür. Mein Herz klopft mir bis zum Hals.

      Da kommt John schon auf mich zu. Sein breites Grinsen hat er nicht verloren. Meine Knie werden weich. Dieses Strahlen in seinen Augen lässt mich alles um mich herum vergessen. Am liebsten würde ich ihm direkt um den Hals fallen. Aber ich habe es ja gerade mehrfach gelesen: »Am langen Tisch bitte keinen Berührungskontakt zum Gefangenen. Auch das ungeöffnete Getränk muss vom Wärter kontrolliert und übergeben werden.«

      John scheint das offensichtlich nicht zu interessieren. Er nimmt mich in den Arm, drückt mir einen Kuss auf die Wange und wir setzen uns an einen Tisch. Auf mein verdutztes Gesicht hin und meinen Hinweis auf die Besuchervorschriften lächelt John mich an und meint: »Keine Sorge, Süße, diese Regeln gelten nur für den langen Tisch da drüben hinter der Scheibe. Dort sitzen die Gefangenen, die gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen haben.«

      An unserem Tisch fühlt es sich in der Tat relativ normal an. Hier auf dieser Seite vom Raum stehen circa acht bis zehn kleine Tische mit jeweils vier Stühlen und wir sitzen ganz vorne neben der Tür. Ich erzähle John, dass ich mir unter Cafeteria etwas völlig anderes vorgestellt hatte. Das Einzige, was man hier kaufen kann, sind Getränke, eine Suppe oder einen Schokoriegel aus dem Automaten.

      John beschreibt mir bildhaft, wie überrascht er gerade war, als sein Chef zu ihm sagte: »Besuch für Sie, Herr Jackson. Eine Frau Gruber.« »Gruber? Lara Gruber? Ich bin dann mal weg!« Dann sei er mit klopfenden Herzen zum anderen Ende des Gebäudes gesprintet, um hierher zu gelangen. Er hatte keine Ahnung, dass ich ihn heute schon treffen würde. Keiner hatte ihm Bescheid gegeben. Er wurde bisher noch nicht einmal bezüglich des inzwischen genehmigten Besucherscheins kontaktiert. Überglücklich schaue ich John einfach nur an. Er sieht blass aus und