Anno Dazumal

Rückkehr der Gerechtigkeit


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      Anno Dazumal

      Rückkehr der Gerechtigkeit

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      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Die Flucht

       Das Spiel

       Das Rückspiel

       Das neue Leben

       Die WM

       Impressum neobooks

      Die Flucht

      Es war sehr heiß draußen und jene Hitze drang natürlich auch in die Gebäude ein. Ein schleierhafter Dunst lag in den Hallen einer großen Fabrik. Man hörte einige Maschinen rattern, aber nicht nur die mußten arbeiten. In der Nähe von Karnal stand jene Fabrik, also mitten in Indien. Eigentlich nichts Besonderes. Oder vielleicht doch? Ein Blick auf die dort arbeitenden Menschen belehrte einen eines Besseren. Hunderte von Kindern und Jugendlichen befanden sich in der Fabrik, um dort von früh morgens bis spät abends zu arbeiten. Kinderarbeit in Indien. Also doch nichts Besonderes. Die Arbeiter und Arbeiterinnen wurden von Aufsehern bewacht, die dafür Sorge trugen, daß niemand auf die Idee kam, eine Pause zu machen. Die einen Kinder mußten Teppiche knüpfen, andere machten Körbe, wieder andere stellten Hemden her und so weiter. Die dort arbeitenden Kinder und Jugendlichen kamen aus armen Familien und mußten deshalb die Schulden ihrer Eltern in der Fabrik abarbeiten. Es gab nur eine Pause am Tag und die war mittags. Am Morgen begann man bereits um sechs Uhr und am Abend durften sie nie vor zwanzig Uhr aufhören. Dann wurden sie in die Schlafräume gebracht, wo sie bis zum nächsten Tag schlafen sollten. Sklaverei? Auf jeden Fall. Nur selten bekamen die Kinder mal einen freien Tag, an Urlaub war überhaupt nicht zu denken. Sie hatten nichts von ihrer Jugend und das wußten sie ganz genau. Aber was sollten sie dagegen tun? Wenn sie nicht arbeiteten, dann würde ihre Familie verhungern und das konnten sie nicht zulassen. Es war bereits am späten Nachmittag, als Raja für einen Augenblick durchschnaufen wollte. Sofort kam ein Aufseher zu ihm. „Arbeite weiter!“ befahl er. „Ich kann nicht. Ich brauche frische Luft“, entgegnete Raja. „Die kannst du haben“, meinte der Aufseher, holte eine Lederpeitsche hervor und schlug damit auf den Jungen ein. Um nicht noch mehr Schläge zu bekommen, setzte Raja seine Arbeit sofort wieder fort. Nicht einmal auf die Toilette durften die Arbeiter in der Kinderfabrik. Jeder hatte einen Eimer bei sich stehen, in dem er oder sie das eigene Geschäft verrichten mußte. Zweifellos katastrophale Zustände, aber in Indien gehörten sie einfach dazu. Auf einmal hörte man, wie jemand zu Boden fiel. Wieder war sofort ein Aufseher zur Stelle. „Steh auf!“ brüllte er, doch der am Boden Liegende rührte sich nicht. Da schlug der Aufseher auf ihn ein, aber es gab keine Reaktion. Mittlerweile waren einige andere Kinder herbei gekommen um zu sehen, was da los war. Als sie sahen, daß der Aufseher auf den Halbtoten einprügelte, sprangen sie auf ihn und rissen ihm die Peitsche aus der Hand. Auf einmal fielen Schüsse. Der Fabrikchef kam mit einer geladenen Pistole herein und schrie: „Alle auf Eure Plätze sonst seid Ihr tot!“ Ängstlich schlichen die Kinder von dannen. Sie waren traurig und entsetzt über das, was sie gesehen hatten, obwohl es nicht das erste Mal gewesen war. „Bring die Leiche auf den Müll und besorge Ersatz!“ verlangte der Chef vom Aufseher. Jener packte das tote Kind und warf es dann auf eine riesige stinkende Müllhalde, wo schon einige Kinderleichen vor sich hin verwesten. Auch Shankar und Nathu hatten mitbekommen, was da geschehen war. Sie waren Beide 17 Jahre alt und gehörten damit zu den Ältesten in der Fabrik. Shankar arbeitete schon seit zehn, Nathu seit acht Jahren in jener Fabrik und sie wußten ganz genau, daß sie zu jenen Kindern gehörten, denen man die Jugend gestohlen hatte. Doch als sie nun wieder gesehen hatten, wie einer der Aufseher auf ein fast totes Kind eingeprügelt hatte, da hatten sie beschlossen etwas zu tun. Als sie in der Nacht nebeneinander im Schlafraum saßen, begannen sie zu flüstern, damit die Aufseher sie nicht hörten. „Nathu, wir müssen etwas machen. Denn wenn nicht, dann werden wir aus diesem Teufelskreis nie mehr herauskommen“, erklärte Shankar. „Und was hast Du vor?“ wollte der wissen. „Hier können wir nichts erreichen. Wir müssen fliehen.“ „Weißt Du nicht mehr, wie sie uns beide Male erwischt haben, als wir fliehen wollten. Damals habe ich jeden Knochen einzeln gespürt.“ „Bei mir war es auch nicht besser. Aber das hilft nichts. Du weißt ja, wie es abläuft. Wer 18 wird, kommt entweder in eine andere Fabrik mit Erwachsenen, oder wird umgebracht, wenn man keine Arbeiter mehr benötigt.“ „Du hast Recht. Wir müssen es noch einmal versuchen. Aber wann und wie?“ „Morgen Nacht. Wir müssen versuchen, so Viele wie möglich mit uns zu befreien.“ „Vergiß es! Wenn wir das machen, dann jagen sie uns bis an unser Lebensende. Fünf Flüchtige verkraften sie noch, aber bei mehr hört der Spaß auf. Du weißt ja, daß die gute Beziehungen zur Polizei haben und daß die Polizisten sehr bestechlich sind. Mehr als fünf können nicht fliehen. Also, suchen wir uns noch drei mutige Weggefährten aus, bei denen wir absolut sicher sind, daß sie die Strapazen einer Flucht aushalten können.“ Raja hatte mitgehört. „Ich will auch mit“, stellte er klar. „Traust Du Dir das zu?“ forschte Nathu. „Na klar.“ „Also gut. Dann würde ich sagen, wir sollten noch Indira und Daya mitnehmen.“ „Wie kommst Du auf die Beiden?“ „Auch sie werden bald 18 Jahre alt. Und Du weißt, was mit ihnen dann geschieht.“ „Ja, leider. Entweder werden sie an einen reichen Mann verkauft, der sie dann zur Frau nimmt, oder sie werden von Mann zu Mann verliehen und von denen vergewaltigt. Einverstanden, wenn sie mit wollen, dann können sie mit“, bemerkte Shankar. Nathu stand auf und schlich sich zu den beiden Mädchen. „Schlaft Ihr schon?“ flüsterte er. „Nein. Was ist los?“ forschte Daya. „Shankar, Raja und ich werden morgen nacht fliehen. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr mit“, antwortete er. „Gerne. Ich bin froh, daß endlich jemand den Mut hat. Aber wie?“ fragte Indira. „Das werden wir noch klären. Haltet Euch auf alle Fälle bereit.“ „Wenigstens brauchen wir kein Gepäck mitnehmen, weil wir eh nichts haben“, scherzte Daya, bevor Nathu sie wieder verließ. Er schlich sich zur Tür des Schlafraumes, die, so wie immer, geöffnet war. Dort sah er einen Aufseher schlafen, während er die Anderen aus der Küche hörte. „Die verzocken wohl wieder ihr Geld“, dachte sich Nathu und kehrte dann an seinen Schlafplatz zurück. „Und?“ lautete Shankars Frage. „Sie kommen mit.“ „Sehr schön. Jetzt brauchen wir nur noch einen Fluchtweg.“ „Warte mal! Ich habe da eine Idee.“ Nathu erklärte Shankar seinen Vorschlag flüsternd und der nickte zufrieden. „Jawohl, so machen wir es. Gute Nacht“, hauchte er zum Schluß. Zehn Minuten vor sechs Uhr wurden alle geweckt. Wer nicht sofort aufstand, wurde geschlagen. Das wirkte. Im Nu waren die vielleicht 350 Kinder wieder an der Arbeit. Während die Aufseher nur darüber wachen brauchten, daß die Kinder auch rund um die Uhr arbeiteten, mußten jene ohne Unterbrechung rackern. Wieder war es sehr warm und es stand zu befürchten, daß am Nachmittag ein neuer Hitzerekord aufgestellt werden würde. Die Kinder schwitzten, aber sie bekamen vor dem Mittag kein Wasser. Ein fürchterlicher Gestank durchzog die Fabrik, aber das schien die Aufseher nicht zu stören. Jene waren das schon gewohnt. „Du! Arbeite schneller!“ schrie einer der Aufseher und schaute ein vielleicht fünfjähriges Mädchen an. Jene begann zu weinen. „Heul hier nicht rum, sondern arbeite!“ brüllte der Aufseher und zog seine Peitsche hervor. Nur mit Mühe konnte sich das kleine Mädchen beruhigen und versuchte dann, das ohnehin schon hohe Arbeitstempo noch einmal zu erhöhen. Während er seine Maschine beobachtete, schaute Nathu immer wieder nach draußen. Da war sie also, die große Freiheit. Nur wenige Meter von ihm entfernt und doch so weit weg. „Hey Du! Glotz nicht nach draußen, sondern arbeite! Die Sachen müssen bis heute Abend fertig sein!“ machte ihm ein Aufseher deutlich. Jene Nachricht sorgte in Nathus Innerem für Entzücken. Er wußte nun, daß die Chancen zur Flucht so gut wie nie standen. Es stand nämlich damit fest, daß in der