Ursula Reinhold

Verblassende Spuren


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      Ursula Reinhold

      Verblassende Spuren

      Wiederannäherung an ein verlorenes Leben

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       Verlagslogo

      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Vorbemerkung

       Nachgelassenes

       Spurensuche

       Frühe Prägungen und frühes Ende

       Die Arbeitsverweigerin

       Frauenkonzentrationslager Ravensbrück

       Über Grenzen der Annäherung

       Krematorium

       „Arbeit macht frei“

       Erste Eindrücke

       Vom Überlebenswillen

       Arbeitskommando für Verfügbare

       Häftlingsgesellschaft

       Leben, wo gestorben wird I

       Späte Botschaften

       Leben, wo gestorben wird II

       Industriehof: Schneiderei

       Ramdohr schafft Ordnung

       Bunkerhaft

       Das Ende

       Literaturverzeichnis

       Danksagung

       Impressum neobooks

      Vorbemerkung

      Es ist uns geläufig, dass der Umgang mit dem Vergangenen immer von den Interessen des gegenwärtigen Betrachters abhängt. Um Geschichte aber nicht nur als reine Fiktion im Beliebigen sich auflösen zu lassen, stellt sich die Frage nach dem angemessenen Umgang mit ihr. Wie aber kann ein angemessener Umgang mit den Geschehnissen um die Verbrechen der Nazi-Zeit aussehen? Gegenüber den Opfern, den Toten und denen, die überlebt haben. Es setzt wohl Wissen um das Geschehene voraus, es braucht das Bestreben, die politische Macht, die wirtschaftlichen Interessen und die weltanschaulichen Prämissen zu verstehen, aus denen heraus das System der Konzentrationslager organisiert wurde. Die Interessenlage der Nutznießer und Organisatoren muss offenbar und Einsicht in die Motivlage der Täter gesucht werden, um das Funktionieren des faschistischen Systems begreifen zu können. Dass es sein Vernichtungs- und Zerstörungswerk so gründlich ausüben konnte, hatte viele Gründe. Auch den, dass es nur wenige Menschen gab, die widerstanden. Viel zahlreicher waren Menschen, die mitmachten, wegsahen oder reglos duldeten, damals wie immer.

      Ich suche nach den Spuren einer jungen Frau, deren Schicksal weder gestern noch heute mit öffentlichem Interesse rechnen kann. Denn sie gehört nicht in die Opfergruppen, denen man sich in Vergangenheit und Gegenwart vorzugsweise widmete bzw. widmet. Sie war weder eine Widerstandskämpferin aus politischer oder religiöser Überzeugung, noch zählt sie zu den Millionen, die dem Rassenwahn der Nazis zum Opfer fielen. Sie geriet wohl eher beiläufig ins Räderwerk der Vernichtung, gehört zu den vielen Toten, die ohne Aufmerksamkeit und Fürsprache blieben.

      Nachgelassenes

      Ein halbes Dutzend Fotos im Familienalbum, ein Brief, von ihrer Hand geschrieben; das sind die Hinterlassenschaften der Frau, die nur wenige Wochen ihren 25. Geburtstag überlebt hat. Wenn in der Familie von ihr gesprochen wurde, hieß sie Friedchen. Sie war die zwanzig Jahre jüngere Schwester meines Vaters, der noch zwei weitere Schwestern hatte, die in Abständen von je fünf Jahren nach ihm geboren wurden. Friedchen war der Nachkömmling in der Ehe meiner Großeltern, das verwöhnte Kind ihrer Mutter, der die anderen Kinder längst entwachsen waren. In Kindertagen schaute ich mir die Konterfeis der jungen Frau an, die verstreut in mehreren Alben klebten, ich fand sie schön. Putzmacherin sei sie gewesen, hörte ich sagen, alle Formen von Hüten habe sie herstellen können. Aber sie selbst trägt Hut nur auf einem der Bilder. Es ist ein wenig auffälliges Gebilde, mehr eine Kappe, dicht am Kopf sitzend. Dafür ist sie auf jeder Ablichtung mit einer anderen Frisur zu sehen. Manchmal hat sie das Haar hochgesteckt in Locken, dicht am Kopf. Zwei Porträts, aus unterschiedlichem Halbprofil aufgenommen, zeigen sie mit dieser damenhaften Frisur, wie manche Frauen sie damals trugen. Das Gesicht erscheint hierauf schmal mit geradem Nasenrücken, hell die Haare, jedenfalls sieht es auf dem schwarz-weißen Foto so aus. Es kann sein, dass sie sich die Haare hatte bleichen lassen. Auf anderen Ablichtungen ist sie der eher brünette Typ, der sie tatsächlich war, dunkles langes Haar, aus der Stirn frisiert, und mit Kämmen nach hinten gesteckt, wo es halblang in Wellen über die Schultern fällt. Dunkel auch die deutlich ausgeprägten Brauen, ein Familienerbe, das auch auf mich gekommen ist. Einem der Fotos scheint eine regelrechte Inszenierung vorausgegangen zu sein. Wer es aufgenommen hat, weiß ich nicht. Da sitzt sie mit angezogenen Knien in einer Sofaecke, einen kleinen Hund neben sich, einen Terrier. Das muss Großmutters Lumpi gewesen sein, denn von dem Hund erzählte man mir in Kindertagen. Allerdings bin ich mir unsicher darüber, ob ich ihn jemals wirklich gesehen habe. Kinderbilder und solche des heranwachsenden Mädchens gibt es nur wenige. Auf einem dieser frühen Fotos ist sie mit ihrer Mutter und der Schwester Lucie abgebildet. Das Gruppenfoto muss im Sommer aufgenommen worden sein, wahrscheinlich in Klosterfelde, wo die Eltern, einem allgemeinen Trend folgend, um 1929 ein Grundstück gekauft hatten. Lucie, die erwachsene Tochter, hat einen dunklen Badeanzug an, der zur Hälfte die Oberschenkel bedeckt. Die Mutter, vor der älteren Tochter sitzend, trägt eine ärmellose Kittelschürze. Das heranwachsende Mädchen steht splitternackt vor der Mutter, es ist schlank, mit ungelenken Gliedern, vielleicht 11 Jahre alt, ein Lebensaugenblick ist hier festgehalten, kurz bevor die Pubertät den Körper verändern wird. Das Mädchen hält sich die Hände schamhaft vor ihren unteren Leib, lacht verlegen. Man hatte ihr die Haare zu einem halblangen Bubikopf gestutzt. Noch auf der Ablichtung, die anlässlich ihrer Kommunion aufgenommen wurde, trägt sie Zöpfe, die rund um den Kopf gelegt sind. Hier präsentiert sie sich in der für solche Anlässe üblichen Aufmachung, mit Kerze, Gebetbuch, weißem