Gisela Schaefer

Ymirs Rolle


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      Gisela Schaefer

      Ymirs Rolle

      Eine außergewöhnliche Reise

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       Verlagslogo

      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       TEIL 1 – Norwegen, 9./10. Jahrhundert

       Ymir und Embla

       Gunnars Plan

       Logis Aufbruch in die Neue Welt

       Teil 2 – Yucatan, Mittelamerika, 16. Jahrhundert

       Felipe

       Mateo sucht Gold

       Zurück nach Spanien

       TEIL 3 – Spanien, 21. Jahrhundert

       Hein aus Niederbokelhusen

       Die Dinge kommen ins Rollen

       Überraschung!

       Erklärungen

       Impressum

       TEIL 1 – Norwegen, 9./10. Jahrhundert

       Ymir und Embla

      Mit voller Wucht traf das Holz Ymirs Rücken, und Ymir, der Bärenstarke, sackte leicht in die Knie.

      „Donnerwetter,“ keuchte er und verzog sein Gesicht zu einer Grimasse, „so stark hat sie noch nie zugeschlagen.“

      Er bog seinen Arm so weit es ging über die rechte Schulter, um die schmerzende Stelle zu reiben.

      „Wenn’s so weitergeht, wächst mir bald eine Hornhaut auf dem Buckel,“ brummte er und ließ sich schwer auf die Bank vor seinem Haus sinken.

      Damals, vor Jahren, als es begann, da hatte er sich noch amüsieren können über ihr herrliches Temperament. Und wenn ihn das Holz traf, hatte er höchstens gefragt: „Nanu, hat ein Laubblatt mich berührt?“

      Krach! – „Die Vögel haben wohl Reisig auf mich geworfen.“

      Krach! – „Ich glaube, mir ist eine Eichel auf die Schulter gefallen.“

      Dann hatte Embla lachen müssen, waren es doch genau die Bemerkungen der Götter aus den Geschichten gewesen, die sie Ymir so oft erzählt hatte. Ymir, der Gutmütige, hatte sie dann beschwichtigend in die Arme genommen – danach war jedesmal für eine Weile wieder Frieden. Aber mit der Zeit war es doch lästig geworden, und schließlich ärgerte ihn ihre ständige Launenhaftigkeit und Unbeherrschtheit, die selbst bei den geringsten Anlässen jederzeit aus ihr herausbrechen konnten. Heute bedauerte er fast den Tag, an dem er dieser Furie Embla zum Zeichen seiner ewigen Liebe und Treue das Holz, mit dem sie ihn so malträtierte, als Hochzeitsgeschenk überreicht hatte.

      Ymir starrte hinunter auf den hellschimmernden Sandstrand, der das Ende des Fjords bildete und der einzige Zugang von See aus zu dem weiten, grünen Tal dahinter war. Auf beiden Seiten der zum Meer hin immer breiter auseinanderklaffenden Bucht ragten steile, schroffe Felswände aus dem Meer. Kahl und düster bis auf vereinzelte Mooskissen und Placken rostroter Flechten. An manchen Stellen weiß vom Kot der Seevögel, die hier brüteten und ihre Eier selbst auf schmalste Vorsprünge und Kanten legten. Wie oft schon hatte Ymir beobachtet, wie ungeschützte Gelege oder Jungvögel abrutschten, von einer Windboe hinweggefegt oder leichte Beute von Raubvögeln wurden.

      „Muss daran liegen, dass es auf einen mehr oder weniger nicht ankommt bei dem massenhaften Nachwuchs, den sie haben,“ dachte er nun und seufzte tief.

      „Und ich,“ grollte es in seinem Innern verbittert, „ich habe keinen einzigen Sohn, nicht mal eine Tochter! Allmächtiger Odin, warum schenkst du Embla und mir keine Kinder? Siehst du nicht, dass sie immer unausstehlicher wird und mir alle Schuld an unserem Unglück zuschiebt?“

      Er lehnte seinen Kopf an die Holzbohlen hinter sich und schloss die Augen. Wie sorgenfrei und unbeschwert war sein Leben einst verlaufen – vor vielen, vielen Jahren ...

       waren Ymirs Eltern, Skadi und Grima, aus einer Region hoch oben im Norden des Landes hierher in den milderen Süden gezogen, wo die Äcker fruchtbarer, die Weiden saftiger und, was für Skadi das Wichtigste war, Eichen, Buchen und Eschen dichter und kräftiger wuchsen – denn Skadi war Schiffbauer. Doch nicht nur wegen der Kargheit des Landes und der grimmigen Kälte hatte er seine Heimat verlassen. Skadi hatte vielmehr mitansehen müssen, wie über seinen damaligen Herrn ein Unglück nach dem anderen hereinbrach: Söhne, die nicht wiederkehrten von waghalsigen Raubzügen, zwei Missernten hintereinander, so dass ihm sein Vieh verhungerte oder im nicht enden wollenden Winter erfror. Der einst so reiche, stolze Großgrundbesitzer schrumpfte zusammen auf einen armseligen, bedeutungslosen Bauern. Hinzu kam, dass um diese Zeit erste Bestrebungen im Gange waren, aus den vielen kleinen Herrschaftsbereichen der Landbesitzer, Häuptlinge, Jarle und Kleinkönige ein geschlossenes, starkes Reich zu schmieden. Der Kampf um Land, Macht und die Krone wurde mit Gewalt oder List und Tücke geführt. Wer nicht genügend Krieger und Schiffe besaß, wer nicht durch Handel zu großem Reichtum gelangen konnte, wurde überrannt und vereinnahmt. Nach all seinen Schicksalsschlägen hatte Skadis Herr nicht mehr die Kraft, sich gegen diese Bedrängnisse weiter zu wehren.

      So beschloss Skadi eines Tages zu gehen. Mit dem wenigen Geld, das er gespart hatte, kaufte er sich und Grima aus der Leibeigenschaft frei – sein Herr feilschte nicht lange um den Preis, was sollte er auch weiterhin mit einem Schiffbauer anfangen. Sie luden ihren Hausrat und Skadis Werkzeug auf einen Holzkarren, spannten ein Pferd davor und zogen nach Süden, immer möglichst nahe der Küste bleibend. Nach fünf anstrengenden Tagesmärschen erreichten sie die erste größere Ansiedlung und wurden gastfreundlich aufgenommen, aber Arbeit gab es nicht, denn der Platz des Schiffbauers war schon vergeben. Skadi und Grima setzten daher ihre Reise fort, zum ersten Mal froh darüber, dass sie noch kinderlos waren. Die Strapazen des mühsamen Weges erschöpften sie mehr und mehr, immer dichter und unwegsamer wurden die Wälder, immer zahlreicher die herumstreunenden Wölfe. In den Nächten zündeten sie helllodernde Feuer an und hielten abwechselnd Wache, damit es nur ja nicht erlosch – es wäre ihr sicherer Tod gewesen.

       Das nächste herrschaftliche Gehöft, auf das sie trafen, besaß keinen Uferstreifen, also brauchte man auch keine Schiffe. Beim übernächsten wurden sie sofort verjagt, kaum dass sie angekommen waren und den Mund öffnen konnten, weil man sie für armes Bettelvolk hielt. Am vierten wären sie glatt vorbeigelaufen, ohne es zu bemerken, hätte ihnen nicht eine gebieterische Stimme zugerufen: „Wer seid ihr und wohin wollt ihr?“

      Ymir rutschte auf seiner Bank weiter nach vorne und streckte die Beine weit von sich. Ja, so hatten