Stefan Millius

Himmelfahrtskommando


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      Stefan Millius

      Himmelfahrtskommando

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      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Prolog

       Teil 1 – Der Aufstieg von Gottlingen

       Kapitel 1: Wie man aus einer schwarzen Null eine rote macht

       Kapitel 2: Wie man seiner Tochter einen Russen vom Leib hält

       Kapitel 3: Wie man sich eine Absolution holt

       Kapitel 4: Wie man Feste würdig begeht

       Kapitel 5: Wie man das Schicksal zur Post bringt

       Kapitel 6: Wie die Bürokratie die Improvisation erlernt

       Kapitel 7: Warum man in einem Zelt besser schläft

       Kapitel 8: Wie man eine Gemeindebehörde aus der Fassung bringt

       Kapitel 9: Wie ein Pöstler unverhofft zum Agenten wird

       Kapitel 10: Wie es im völlig unbewohnten Schlohwinkel drunter und drüber geht

       Kapitel 11: Wie der Gemeinderat eine Söldnerin akquiriert

       Kapitel 12: Wie man eine zu enge Uniform mit Würde ausfüllt

       Kapitel 13: Wie der Krieg die Romantik verhindert

       Kapitel 14: Wie der Gemeinderat sein blaues Schlohwinkel-Wunder erlebt

       Kapitel 15: Wie ein Hauch Exotik nach Bächigen kommt

       Kapitel 16: Wie sich der Gemeinderat durch das Schlohwinkel-Universum kämpft

       Teil 2 – Der Niedergang von Gottlingen

       Dank

       Impressum neobooks

      Prolog

      Eine der Gestalten löst sich aus der Gruppe und geht mit schweren Schritten durch den Gewölbekeller in die Mitte des Raums. Auf dem schmucklosen, schweren Steintisch steht eine kleine Vase. Dort angekommen, streift sich die Gestalt die Kapuze vom Kopf. Der massige, haarlose Schädel glänzt im Kerzenlicht. Der Mann hebt die Hände und blickt zur Decke hoch. Von dort starrt ein Gesicht zurück. Es ist das Antlitz eines Raben, kunstvoll eingearbeitet in die Skulptur einer Sonne, die über dem Steintisch hängt. Der Mann hält dem Blick des Raben kurz stand, bevor er sich langsam auf die Knie fallen lässt, ohne die Arme zu senken. Hinter ihm knien nun auch die anderen Gestalten nieder, schlagen ihre Kapuzen zurück, breiten die Arme aus und lassen sich langsam nach vorne sinken, bis sie auf allen Vieren kauern, das Gesicht zum Boden. Nur der Mann beim Tisch blickt weiterhin nach oben und durchbricht erstmals die Stille.

      «Aurinko.»

      Er wiederholt das Wort, leise, intensiv.

      «Aurinko.»

      Nun setzt er zu einer Kaskade an, wird immer lauter, die Stimme schneidend.

      «Aurinko. – Aurinko. Aurinko. – Aurinko!»

      Erst als das Echo völlig verhallt ist, setzen seine Gefährten ein. Im Gleichschritt skandieren sie es immer und immer wieder.

      «Pelastaja.»

      Der Mann am Tisch erhebt sich, greift die Vase, streckt sie der Sonne mit dem Raben entgegen und beginnt wieder mit seinem Mantra.

      «Aurinko. Aurinko. Aurinko.»

      Die Frauen und Männer, die am Boden kauern, beginnen, in ihrer demütigen Haltung Richtung Tisch zu kriechen. Der Rabe in der Sonne starrt reglos auf sie nieder, als sie sich hinter ihrem Führer zusammenscharen.

      «Aurinko - Pelastaja» – immer und immer wieder und immer lauter.

      Als die Worte schon fast wie ein Donnerschlag durch den Gewölbekeller hämmern, hebt der Mann am Tisch die kleine Vase so nahe zur Sonnenskulptur hoch wie nur möglich, hält kurz inne und schleudert das Gefäss schliesslich auf den Steintisch. Ein roter, dickflüssiger Sprühregen ergiesst sich über ihn und seine Gefährten, die sich in diesem Moment ganz zu Boden fallen lassen, während ihr Anführer kraftlos über dem Steintisch zusammen sinkt.

      * * *

      Der Pfarrer lässt den Blick über das Kirchenschiff wandern. Natürlich, er hat schon mehr Leute zum wöchentlichen Rosenkranzgebet empfangen. Es sind aber andererseits auch schon weniger gewesen. Der Altersschnitt, zugegeben, zeigt steil nach oben. Die vier oder fünf Frauen, die sich im hinteren Teil murmelnd in die Bänke drücken, gehen unverkennbar gegen die 80 oder haben sie schon überschritten. Dasselbe gilt für die drei Männer, die ihre Lippen bewegen, aber knapp das Vater Unser auswendig kennen, geschweige denn die Litanei des Rosenkranzes. So traurig es ist, aber Gemeinderätin Liliane Aemisegger ist mit ihren 55 Jahren deutlich die Jüngste an diesem Abend.

      Der Pfarrer merkt, dass er einen Moment zu lang in Gedanken versunken war und er schon wieder an der Reihe ist.«… und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes Jesus», improvisiert er und atmet erleichtert auf, als die Gemeinde – ein grosszügiges Wort für das halbe Dutzend in der riesigen Kirche - ohne zu zögern weiterfährt:

      «… der für uns am Kreuz gestorben ist.»

      Seit zwölf Jahren ist er in der Gemeinde, der Pfarrer Nyffenegger, und seit der ersten Woche hält er dieses Rosenkranzgebet regelmässig ab. Deshalb fällt es ihm leicht – nun, da er den Faden wieder gefunden hat – die Litanei fortzusetzen und gleichzeitig seine Gedanken abschweifen zu lassen. Es zieht ihn fort, den Pfarrer, nach zwölf Jahren in diesem Kaff, in dem er seine Gottesdienste vor einer schwindenden Menge abhält und es sonst nicht gerade viel an Seelsorge zu tun gibt. Verschlossen sind sie, die Menschen in Gottlingen, verschlossen bis hin zur Verstocktheit, ersticken würden sie lieber an dem, was sie plagt, als dass sie sich einem Fremden offenbaren würden, und ein Fremder ist er geblieben, der Nyffenegger. Denn er ist nicht hier aufgewachsen, sondern spät dazu gestossen, und mag er noch so viele Jahre hier verbringen – was der Herr hoffentlich zu verhüten weiss –, so bleibt er doch ein fremder Fötzel, dem keiner sagt, was ihn beschäftigt,