Joana Goede

Körpergrenzen


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      Joana Goede

      Körpergrenzen

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      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Der

       Kampf

       Gegen

       Den

       Eigenen

       Körper

       Dauert

       Ein Leben lang

       Impressum neobooks

      Der

      Er erwachte.

      Beißend stieg ihm der Geruch von Erbrochenem in die Nase. Süß und bitter zugleich schmeckte er es beim Einatmen der verpesteten Luft. Ekel überkam ihn, er würgte einmal halbherzig. Erst dann wagte er, die Augen zu öffnen. Das Heben der schweren Augenlider verursachte Schmerz, die Netzhäute brannten, als habe jemand eine ätzende Flüssigkeit darüber gegossen.

      Er sah, dass er sich in seinem Auto befand. Zumindest glaubte er, es als sein Auto zu erkennen. Es fühlte sich in gewisser Weise vertraut an, hätte aber an sich auch ein anderes sein können. Die meisten Autos glichen sich sehr von innen.

      Sein Blickwinkel war eingeschränkt, denn er lag auf der Rückbank. Seitlich, in einer Art stabilen Seitenlage, nur etwas schief. Unbequem war das. Und direkt vor ihm, das bemerkte er direkt im recht schlechten Licht, befand sich das Erbrochene. Es begann in gelb-bräunlicher Farbe quasi vor seiner Nase und zog sich bis zum vorderen Ende des Sitzes. Kurz vor der Kante, so erschien es ihm, nahm es einen eher grünlichen Farbton an. Erschrocken und angewidert zog er den Kopf zurück. Erbärmlich fühlte er sich. Und konnte sich unmöglich erklären, wie er in diese Lage geraten war.

      Vorsichtig hob er einen Arm, der wie Blei an ihm hing. Mühevoll brachte er Leben in ihn, bewegte die Finger. Fragte sich, ob er neurologische Schäden davongetragen hatte. Denn er glaubte, die Anzeichen eines Vollrausches an sich entdecken zu können. Nur wusste er nicht, wann und wo er etwas hätte trinken sollen. In seinem Kopf drehte sich alles, seine Beine erschienen ihm ewig weit weg zu sein. Er wollte fliehen vor dem Erbrochenen, das ihn abstieß. Doch es gelang ihm nicht, sich aufzurichten.

      Eine Qual, geistig und körperlich.

      Er fror bitterlich, seine Finger erschienen ihm taub.

      Der Geruch, welcher bereits beim ersten Einatmen so unerträglich gewesen war, steigerte sich in seiner Stärke und Penetranz. Erneut kam der Würgereiz, der leere Magen krampfte, zuckte, die Übelkeit machte ihn fast blind für einen Moment. In seiner Panik spannte er sämtliche Muskeln an, riss sich selbst hoch und saß endlich aufrecht. Dort oben war die Luft nicht ganz so durchtränkt mit dem unaushaltbaren Gestank.

      Sein Hals brannte wie bei einer starken Halsentzündung. Säuerlicher Geschmack lag auf der Zunge. Er gab ein Ächzen von sich, griff im Gehirnnebel, der klares Denken verhinderte, nach dem Türgriff und merkte, dass die Tür verschlossen war. Wie er sie öffnen konnte, wusste er nicht. Sein Gehirn war schon mit der bloßen Feststellung überfordert und knickte vollständig ein.

      Vielleicht war er ohnmächtig geworden.

      Denn plötzlich lehnte sein Kopf an der kalten Fensterscheibe. Er ließ ihn dort lehnen und blickte hinaus, sah nur Wald. Wald im Dämmerlicht, Wald im Schnee. Die Umgebung war ihm unbekannt. Er selbst war sich unbekannt. Sicher war er sich lediglich darin, dass es sein Auto war, in dem er sich befand. Vor sich konnte er nämlich deutlich sein Gesicht auf einem laminierten Zettel erkennen, der an der Rückseite des Beifahrersitzes hing. Der Text neben dem Bild verschwamm vor seinen Augen, doch er erkannte sich. Und er erkannte sein Auto, sein Taxi. Er musste Taxifahrer sein, schloss er und war beinahe stolz. Stolz, das herausgefunden zu haben.

      Müde machte er die überanstrengten Augen für eine Weile wieder zu. Diese eine Erkenntnis musste vorerst genügen. Er wollte schlafen. Schlafen erschien ihm als das einzig Erstrebenswerte.

      „Du könntest doch mitkommen, zu meinen Eltern“, hatte Niklas zu Minna gesagt. Er hatte ihr allerdings direkt angesehen, dass dieser Vorschlag bei ihr einen inneren Angstanfall auslöste und sie nun mit sich ringen musste, um überhaupt zu antworten. Ihre Augen hatten sich leicht geweitet, ihr Mund stand minimal offen, die Gesichtszüge hatten eine verkrampfte Haltung angenommen. Eine Haltung, die nur durch Druck zustande kam. Und für Minna bedeutete so ein Vorschlag bereits massiven Druck. Massive Sozialphobie. Sie bekam auch kein einziges Wort heraus.

       Niklas beeilte sich zu sagen: „Du musst ja nicht, wirklich nicht. Ich meine, so lange sind wir noch nicht zusammen. Es ist mir nicht so wichtig, dass du meine Familie kennenlernst. Nur hätte ich dich eben gern immer bei mir, das musst du verstehen.“

      „Ja“, gab Minna zu und zu mehr war sie nicht fähig. In ihrem Kopf überschlug sich alles. Die Vorstellung, mit fremden Menschen in einem Haus sein zu müssen, über mehrere Tage, war ihr dermaßen unangenehm, sie hätte heulen können. Tat sie aber nicht.

       Sie stellte sich automatisch Situationen vor, zu denen es kommen konnte. Wenn sie womöglich zwischen zwei anderen auf dem Sofa sitzen und sich unterhalten musste. Diese Nähe ertrug Minna nicht. Sie benötigte immer einen großen Sicherheitsabstand zu anderen Menschen, damit sie sich nicht von ihnen bedrängt fühlte. Und sie benötigte einen Rückzugsort, zu dem niemand vordringen konnte. Das hielt sie bei so einem Familientreffen für nicht gegeben.

      „Ich weiß, es macht dir Stress“, meinte Niklas beschwichtigend und bereute schon, es überhaupt vorgeschlagen zu haben. Minna kam mit anderen Menschen eben einfach nicht zurecht. Und er konnte nicht erwarten, dass das plötzlich anders wurde. Minna sagte sehr leise, weil es ihr peinlich war: „Es fühlt sich für mich so an, als wenn ich mit vielen Leuten mehrere Tage in einem Fahrstuhl eingesperrt wäre.“

      „Ja, ich weiß wohl. Es tut mir leid, ich hätte nicht fragen sollen. So etwas geht eben einfach nicht für dich“, gab Niklas zur Antwort und Minna beteuerte: „Ich würde gern, dir zur Liebe würde ich gern. Es ist nicht leicht für mich, dich allein fahren zu lassen. Ich fühle mich schlecht deswegen.“

      „Das brauchst du wirklich nicht.“ Niklas nahm sie in den Arm, er war der einzige, bei dem sie körperliche Nähe als angenehm und beruhigend empfand. Ihr schlechtes Gewissen allerdings blieb. Und sie verfluchte innerlich sich selbst und all ihre Macken, die es ihr unmöglich machten, am normalen Leben teilzunehmen. Die sie daran hinderten, Dinge zu tun, die für andere Menschen selbstverständlich und kein Problem waren. Gern hätte sie sich überwunden und wäre mitgefahren.

       Es fehlte ihr der Mut.

      Kampf

      Es hätte vielleicht noch andere Wege gegeben.

      Doch Niklas war zu müde, um über Alternativen nachzudenken. Gähnend stapfte er durch den Schnee, seine Stiefel hinterließen tiefe Abdrücke darin und das Vorwärtskommen erschien